Alumna Noomi ist ehrenamtlich im Aufsichtsrat von AFS.

Du bist 2006/07 mit AFS nach Norwegen gegangen. Wieso hast du dich damals für Norwegen entschieden und was ist deine eindrücklichste Erinnerung?

Eigentlich wollte ich nach Schweden! Meine Eltern haben dort ein Haus und ich wollte die Sprache und die Kultur kennenlernen. Ich musste natürlich auf dem Länderbogen Alternativen angeben. Das Jahr vor meiner Bewerbung waren wir bei Freund*innen in Oslo zu Besuch, da dachte ich, das wäre auch nett. Heute finde ich das ganz witzig, weil Oslo fast wie ein anderes Land wirkt im Gegensatz zu dem kleinen Dorf in dem ich gelandet bin – auf einer kleinen Insel in Nordnorwegen.

Ein eindrückliches Erlebnis waren die Nordlichter: Ich habe mich nicht so viel auf Norwegen vorbereitet oder jedenfalls nicht darauf, dass der Himmel in Flammen aufgeht. Im Winter 2006/2007 gab es sehr intensive Nordlichter in Nordnorwegen – und ich fand die gruselig! Meine Gastmutter fand meine Angst sehr unterhaltsam und hat sich Zeit genommen, sie gemeinsam mit mir anzugucken. Ich habe mich dann dran gewöhnt, aber ich verstehe sehr gut, warum die Nordlichter eine Rolle in der Religion und der Spiritualität der Inuit und der Sami spielen. Sie sind sehr eindrücklich, irgendwie wie aus einer anderen Welt, und bleiben mir unheimlich.

Hast du noch Kontakt zu jemandem aus deinem Austauschjahr. – Deiner Gastfamilie, Freund*innen?

Das letzte Mal war ich 2018 bei meiner Gastfamilie in Nordnorwegen. Im Nachhinein hat die Reise nochmal an Bedeutung gewonnen: Ich wollte meinem Freund zeigen, wo ich mein Auslandsjahr verbracht habe und ich konnte ihm meine Gastfamilie vorstellen. Es ist leider das letzte Mal gewesen, dass ich meinen Gastvater gesehen habe. Er starb sehr plötzlich mit 68 Jahren, mitten in der Pandemie. Ole Kristian Kristiansen war ein lieber (Gast-)Vater, der mir die spezifischsten Dialektwörter beigebracht hat, mich nicht ohne Frühstück aus dem Haus ließ und als ehemaliger Austauschschüler in den USA auch seine Erfahrungen mit mir teilte. Leider konnte ich nicht zu seiner Beerdigung. Meine norwegischen Freund*innen haben mit mir dann im Gottesdienst in Rotterdam von ihm Abschied genommen.

Der Kontakt zu meinem Mit-Austauschschüler aus meiner Schule in Norwegen hat zwar sehr lange gehalten, aber wir haben uns in den letzten Jahren aus den Augen verloren. Jetzt bin ich dabei ihn wiederzufinden. Leider ist das etwas schwierig, weil Dongchen in China wohnt. Er hat mich irgendwann E.T. genannt, weil manchmal die Kulturunterschiede riesig waren, was aber unserer Freundschaft nie geschadet hat.

Ich freue mich auch sehr, dass ich seit einem Jahr wieder sehr regelmäßigen Kontakt mit Merle habe. Wir waren die beiden Deutschen auf der Insel und als ich in Norwegen im Krankenhaus lag, hat sie keine Mühe gescheut, und ist in meine Stadt gekommen, um mich zu besuchen. Auch nach über 15 Jahren bin ich ihr da immer noch sehr dankbar für!

Wie beurteilst du rückblickend dein Austauschjahr?

Ich sage immer, dass ich trotz Krankenhausaufenthalt und den „normalen“ Herausforderungen, ein Bilderbuchjahr hatte. Ich hatte eine liebevolle Gastfamilie, eine engagierte Jugendgruppe, andere Austauschschüler*innen mit denen ich meine Erfahrung geteilt habe und sehr involvierte Lehrer*innen an der Schule, die mich begleitet haben.

AFS-Alumna Noomi findet sich weltweit zurecht.

Am Anfang war mir das Auslandsjahr wichtig. Das hat alles sehr in mir gearbeitet. Es hat einen Anfang gemacht, eine Tür geöffnet und darauf konnte ich aufbauen. Aber AFS hat mir so viel mehr gegeben: mitzuerleben wie meine thailändische Austauschstudentin den ersten Schnee auf dem Bremer Weihnachtsmarkt erlebte, mein erstes Camp, meine erste alleine angeleitete Aktivität, aber auch: wie navigiere ich 5 unerfahrene Austauschschüler*innen auf Skier durch den Schnee? Was mache ich, wenn ich mein Training absolut versaut habe?

 

Ich durfte danach noch so viel mehr Auslandserfahrungen machen: ein zweites (Erasmus-) Jahr in Norwegen, Austausche mit finnischen und portugiesischen Studierenden, Praktika in den USA und Norwegen, ein Masterprogramm in England und zuletzt 7 Jahre in den Niederlanden. Damals in Norwegen war das eine große Herausforderung, heute weiß ich, wie begleitet man als AFSer*in ist – was für das Alter total angemessen ist.

Wenn du noch einmal an einem Austauschprogramm teilnehmen könntest, wohin würdest du gehen und warum?

Das finde ich schwer zu sagen. Ich bin da einfach voreingenommen: So eine erste, frühe Auslandserfahrung kann wie eine große oder erste Liebe sein. Jedenfalls ist das für mich so, deswegen würde ich ganz voreingenommen sagen: Norwegen! Aber vielleicht würde ich auch Schweden ankreuzen auf dem Länderbogen…

Wenn wir auf dein LinkedIn-Profil schauen, bekommen wir schnell das Gefühl, dass du ein Allround-Talent bist. Was genau machst du beruflich und inwiefern haben deine AFS-Erfahrungen Einfluss auf deine beruflichen Tätigkeiten.

Ich bin auf jeden Fall ein sehr neugieriger Mensch. Die größte Befreiung nach dem Studium war die Einsicht, dass ich alles machen kann und ich mich nicht mit meinem Studium festgelegt habe. Und dann habe ich mich ausprobiert. AFS war da stets bei meiner Seite und so manch einen Job oder Aufgabe habe ich mit meinen “AFS-Fähigkeiten” bekommen.

Meist war es so, dass ich mit AFS immer ein Stück weiter war als in meiner professionellen Karriere. Das passt super, da kann man sich ausprobieren und muss dann “nur” noch den Transfer in den beruflichen Kontext hinkriegen (und aufpassen wo die Grenzen sind: nicht alle Gruppen kommen mit erfahrungsbasierten Lernen und Energizern klar…) Und mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich dem AFS was zurückgeben kann, indem ich Fähigkeiten aus meinem beruflichen Kontext beim AFS einsetzen kann. Seit 5 Jahre bin ich im Hochschulbereich unterwegs und speziell in den Alumnibeziehungen. Hier fühle ich mich wohl und habe das Gefühl, ich kann meine Fähigkeiten einbringen.

Du bist seit einem Jahr im AFS-Aufsichtsrat. Wie würdest du die Ziele vom Aufsichtsrat beschreiben und welche Aufgaben hast du dort genau?

Das letzte Jahr habe ich ganz viel gelernt und oft auch erstmal nur zuhören können. Ich bin seit 5 Jahren nicht mehr bei AFS Deutschland aktiv gewesen, ich musste mich erstmal wieder einfinden – AFS Deutschland ist da auch nicht so die rücksichtsvollste Umgebung. Gleichzeitig bringe ich meine ganz eigenen Erfahrungen mit: Ich bringe meine (Außen-/Innen-)Perspektive aus den Niederlanden mit, von AFS Lowlands, aus der Arbeit mit EFIL und AFS INT. Außerdem mittlerweile einen professionellen Werkzeugkasten im Ehrenamts- und Alumnimanagement.

Im nächsten Jahr möchte ich noch besser werden, für meinen AFS. Ich bin für die Kommunikation zuständig, aber auch für den Strategieprozess. Mir und meinen Aufsichtsratkolleg*innen ist es sehr wichtig, dass AFSer*innen sich beteiligen und mitmachen können. Wir wollten gemeinsam entscheiden, wo wir in Zukunft hinwollen.

Was motiviert dich zu deinem Engagement?

Ich wurde mal bei einem Bewerbungsgespräch darauf angesprochen, dass ich ja schon öfter den Job gewechselt hätte, was mich denn halten würde? Mir fiel erst auf dem Weg die Treppen runter ein gutes Beispiel ein: AFS hat mich schon lange gehalten!

Besonders EFIL hat mich sehr geprägt. Auf einem meiner ersten Trainings mit EFIL (University for Youth and Development in Mollina, 2014) war ich umgeben von Trainer*innen, die so viel mehr Erfahrung hatten als ich. Während des Vorbereitungstreffen platze es plötzlich aus mir raus: Ich habe doch gar keine Ahnung, was kann ich denn hier beitragen?! Und die Antwort einer der erfahrenen Trainerin war ganz wichtig für meine weitere (AFS) Laufbahn. Sie sagte (ich paraphrasiere): Du hast alles beizutragen! Du bringst dich mit und genau dich brauchen wir. Du bringst deine individuelle Perspektive mit.

Was möchtest du Jugendlichen mitgeben, die sich heute überlegen für einen Schüler*innenaustausch ins Ausland zu gehen?

  1. Nehmt euch Zeit. Lasst euch ein auf die Erfahrung. Nehmt euch nicht nur Zeit für die Erfahrung, sondern auch (oder besonders) für die Reflektion danach.
  2. Ein Auslandsjahr ist nur der Anfang. Wenn man dranbleibt, offen bleibt für mehr interkulturelles, findet man noch so viel mehr.
  3. Eins nach dem anderen: Im Jahr 2013 habe ich es übertrieben, ich habe zwei Praktika in zwei verschiedenen Ländern gemacht, habe in einem dritten Land meinen Master gemacht. Am Ende des Jahres hatte ich Gürtelrose (eine Nervenentzündung von all dem Stress) und gefühlt hat es drei Jahre gebraucht, bis ich all die Erfahrungen verarbeitet hatte. Man muss nicht immer alles sofort machen, nacheinander ist es auch schön und dann kann man vielleicht viel mehr genießen und mitnehmen.
  4. Es ist nie zu spät etwas Neues zu lernen, egal in welchem Alter.
  5. Kleine Sprachen scheinen einem erstmal nichts zu bringen aber irgendwann ist es dein absoluter Joker, eine Superpower.

AFS bedankt sich für das Interview. Die Fragen für AFS stellte Vanessa Schulzendorf (04/2024).

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