Marie, Paraguay, 2017, Schuljahr im Ausland mit Kreuzberger Kinderstiftung-Stipendium:

Am 03.08.2017 ging meine lang ersehnte Reise endlich los. Ich bin meine Flugdaten zum letzten Mal durchgegangen, um bei meinem ersten Flug, von Münster nach Frankfurt, auch ins richtige Flugzeug einzusteigen, denn diesen musste ich allein bestreiten. Kaum drei Stunden nach der Verabschiedung von meiner Familie und meinen Freunden saß ich am Frankfurter Flughafen und wartete auf die anderen vier Austauschschüler, mit denen ich in dieses Abenteuer starten würde. Die Sache war nur, ich hatte keine Ahnung was dieses Abenteuer bringen würde. Das Einzige, was ich wusste, war, dass wir nach unserer Ankunft eine Nacht in Asuncion (der Hauptstadt von Paraguay) übernachten würden, und danach in unsere Gastfamilien kommen würden. Aber genau das war das „Problem“. Ich hatte bis dahin noch nicht einmal ein Foto von meiner zukünftigen Familie gesehen und hatte dementsprechend keine Ahnung, was auf mich zukommt.

Nach kurzer Zeit des Wartens habe ich ein Mädchen entdeckt, das eine paraguayische Flagge an ihren Koffer gebunden hatte. Also habe ich sie gleich angesprochen. Wie sich herausstellte, war sie auch von AFS, aber in dem Freiwilligenprogramm. Bis zum Check-in habe ich mit den Freiwilligen zusammen gewartet. Kurz davor habe ich noch die anderen Austauschschüler getroffen. Zusammen sind wir in den Flieger eingestiegen und haben uns auf dem 12-stündigen Flug nach Sao Paulo ein bisschen besser kennen gelernt. Nach sieben Stunden Aufenthalt in Brasilien ging es noch 1,5 bis 2 Stunden weiter bis Asunción.

Schon im Flugzeug ist mir aufgefallen, das Paraguay bei weitem nicht so dicht besiedelt ist, wie Deutschland. Die meiste Zeit sah man Wiesen, Wälder und Flüsse. Nach über 24 Stunden Flug waren wir endlich da, an unserem großen Ziel! Kaum waren wir durch den Einreise-Check, wurden wir von AFS-lern begrüßt und wurden mit anderen Austauschschülern nach draußen dirigiert.

AFS-Camp und Gastfamilie

Uns allen sind direkt die angenehmen 25 °C (im Winter) aufgefallen. Ansonsten konnten wir noch nicht so viel von Paraguay sehen – außer einem Parkplatz auf dem schon ein Bus auf uns wartete. Ab hier wurde plötzlich in allen möglichen Sprachen gesprochen, um sich in irgendeiner Weise mit den anderen Austauschschülern zu verständigen. So blieb es auch die nächsten beiden Tage, an denen wir innerhalb von verschiedensten Workshops die wichtigsten Dinge über Paraguay lernten. Ich glaube, ich habe mir weniger als die Hälfte gemerkt, aber wie soll das auch möglich sein bei Geschichte, Tereré und Guarani.

Aber auf jeden Fall war das Ganze super interessant und wir hatten eine Menge Spaß. In den Pausen und nach den Workshops haben wir uns mit anderen Leuten unterhalten, gespielt oder waren im Pool. Dieses ganze Camp war echt unbeschreiblich und alles ging so schnell vorbei… wir haben immer noch probiert zu realisieren, dass wir gerade auf der anderen Seite der Welt sind… als wir schon auf unsere Gastfamilien treffen sollten. Also haben wir alle unsere Koffer geholt und uns vor einem Gebäude getroffen. Dort haben schon einige Gastfamilien gewartet. Nach und nach haben die meisten Schüler auch zu ihren neuen Familien gefunden. Derweilen stand ich noch mit ca. fünf anderen Leuten da und habe probiert, mir die Gesichter meiner Familie, die ich nur von einem Foto kannte, welches ich einen Tag vorher per Whatsapp bekommen hatte, vor Augen zu rufen. Es verging immer mehr Zeit, viele Familien waren schon auf dem Heimweg. Langsam habe ich dann doch noch ein bisschen Angst bekommen…

Die war natürlich vollkommen unberechtigt. Knapp zehn Minuten später kamen drei Personen auf mich zu und umarmten mich. Meine Gastmutter fing sofort an, mir irgendwas auf Spanisch zu erzählen, wovon ich rein gar nichts verstand. Meine Spanischkünste beschränkten sich zu dem Zeitpunkt noch auf zwei Kapitel einer App. Ich bin heute noch glücklich, dass meine Gastschwester flüssig Englisch spricht und ich über sie in irgendeiner Art und Weise mit meinen Gasteltern kommunizieren konnte.

Alles ist anders – aber positiv anders

Als ich im Auto saß und zum ersten Mal ein bisschen von Asunción sehen konnte, war ich beeindruckt von den riesigen Malls. Diese echt modern wirkenden Gebäude hatte ich hier einfach nicht erwartet. Aber auch sonst waren mir viele Dinge fremd. Die Straßenverkäufer, die dir echt alles verkaufen, angefangen von kleinen Snacks über Wassermelonen bis hin zu Leuchtspielzeug für Kinder. Die Straßen sind schlechter, voller und es wird sich nur mäßig an die Verkehrsegeln gehalten. Generell würde ich sagen, dass ich hier in einer anderen Welt lebe. In irgendeiner Art ist hier alles anders – aber auf positive Art und Weise. Mittlerweile sind so viele Dinge für mich zur Normalität geworden.

Zum Beispiel dieses ganz typische zu spät sein. Wirklich an jedem Tag, an dem ich zu meinem Training gehe, bin ich zu spät. Aber da hier so oder so nichts nach Plan läuft, beziehungsweise gar keiner existiert, sind die Leute hier so entspannt. Es ist echt schwer, das in Worte zu fassen, aber ich bin einfach sehr fasziniert von dieser Lebensart hier. In Deutschland hatte ich immer das Gefühl, dass alle Menschen in die gleiche Richtung laufen, um irgendwas zu erreichen, von dem sie selbst noch nicht so richtig wissen, was es ist. Die Kinder sind in der Schule schon total gestresst, weil tonnenweise unnötiges Wissen in sie reingepresst wird, was sie so oder so zu 70% wieder vergessen. Hier habe ich gelernt, dass manche Dinge einfach viel einfacher funktionieren und wir uns nicht immer zu 100% sicher sein müssen und alle erdenklichen Ausgangswege analysiert haben müssen, um etwas zu machen.

Die Menschen in Paraguay sind offener und herzlicher

Generell verhalte ich mich auch anders. Ich glaube, das liegt daran, dass die Leute dich anders wahrnehmen und auch ganz anders mit dir umgehen. An meinem ersten Tag in der Schule beispielsweise hat meine Direktorin mich der Schule vorgestellt und danach zu meinen neuen Mitschülern gebracht und es haben sich so viele Leute gefreut, mich umarmt und waren einfach nett und interessiert.

Generell sind die Menschen hier offener und herzlicher. Aber ich muss sagen, dass ich am Anfang doch schon überfordert war, als mich Leute auf dem Schulflur einfach umarmt haben. Vor allem wusste ich meistens nicht, wer das war, weil ich innerhalb so kurzer Zeit so viele Menschen kennen gelernt habe. Dementsprechend fiel es mir auch nicht schwer, mich in meiner Klasse zu integrieren. Meine Mitschüler haben mich einfach aufgenommen und ich habe schnell neue Freunde gefunden. Dazu muss man natürlich sagen, dass hier quasi jede Person von der du den Namen kennst und mal mit ihr gesprochen hast, als ein Freund gewertet wird. Trotzdem wird man sofort eingeladen und dadurch festigen sich die Beziehungen.

So verbringen paraguayische Jugendliche ihre Freizeit

Nach der Schule gehen wir immer mal wieder zusammen was essen. Ansonsten wird nach der Schule eigentlich nichts zusammen unternommen. Manche Leute haben irgendwelche Hobbys, die sie machen, aber ich habe auch unzählige Freunde, die nach der Schule nur Zuhause sind und Fernsehen oder am Handy sind. Aber dafür trifft man sich am Wochenende, und zwar nicht nur, um zu feiern, sondern auch, um in den Pool zu gehen oder Spiele zu spielen, was ich in Deutschland fast nie mache, aber echt ganz cool sein kann. Einfach mit seinen Freunden draußen sitzen, Tereré (das Nationalgetränk) trinken und Uno oder andere Spiele spielen. Ansonsten gehen die Jugendlichen gerne in die Mall. Oft nicht, um sich Klamotten zu kaufen, sondern einfach, um in Spielehallen (z.B. mit Air Hockey) zu gehen und etwas zu essen.

Ein riesiger Unterschied zu den deutschen Jugendlichen ist auf jeden Fall die Selbstständigkeit. In Deutschland sind wir viel eigenständiger und organisieren unseren Alltag einfach selber. Hier ist es so, dass dich mache Leute fragen, ob du später Zeit hast, aber dann selber etwas am Nachmittag haben, was sie einfach nicht wussten. Ich musste mich am Anfang echt daran gewöhnen, aber die Jugendlichen werden hier einfach anders behandelt.

Ich habe mich an die Gegebenheiten in meinem Gastland angepasst

In meiner Zeit hier habe ich mich schon an vieles gewöhnt und mein Verhalten an die Gegebenheiten hier angepasst. Also, ich reagiere einfach anders auf Dinge, als ich es in Deutschland tun würde, einfach, weil sie hier andere Dinge bedeuten. Am Anfang habe ich immer alle Dinge mit Deutschland verglichen. Zum Beispiel wenn einer meiner Klassenkameraden etwas gesagt hat, aber hier wird das halt einfach anders aufgefasst, als in Deutschland. Aber ich muss sagen, dass man sich an all diese Sachen gewöhnt.

Durch diesen Bericht ist mir noch mal bewusst geworden, wie viele Dinge am Anfang noch ungewohnt waren und jetzt kann ich mich nicht mal mehr an alle erinnern. Ich glaube, es gibt nur eine Sache, an die ich mich nicht gewöhnen kann oder möchte. Das ist die Sache mit der Sicherheit. In Lateinamerika ist es natürlich gefährlicher, wobei Paraguay zu einem der sichersten Länder Lateinamerikas zählt, und ich bin dadurch schon eingeschränkt. Wenn ich Freunde besuchen möchte, werde ich immer mit dem Auto gefahren, aber wenn gerade keiner Zeit hat, muss ich zu Hause bleiben. Dadurch, dass ich relativ zentral wohne, fahren zum Glück viele Busse, welche ich am Tag nehmen kann, aber abends dürfen meine Gastschwester und ich nicht mal zusammen fahren. Bei diesem Thema wird auch immer ein großer Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gemacht.

Eine andere Art zu leben

Ich glaube, ich habe schon einiges gelernt in meinem Auslandsjahr und es wird noch einiges auf mich zukommen. Viele Dinge kann ich einfach nicht in Worte fassen. Ich habe einige Erfahrungen machen dürfen, die zum Glück zum größten Teil positiv waren. Eine sehr schöne Situation für mich war, als ich das erste Mal zum Muay Thai Training gegangen bin, zu dem mich einfach ein Kumpel von meiner Gastschwester mitgenommen hat, den ich  erst einmal gesehen hatte, und eigentlich schon vergessen hatte, wie er aussieht. Also stand ich an diesem Tag an der Tankstelle und habe einfach auf einen blonden Jungen gewartet. Alles hat super geklappt und ich mache jetzt schon seit einigen Wochen Muay Thai. Aber als ich an diesem Abend nach Hause gekommen bin habe ich das erste Mal gedacht, dass ich das Ganze hier echt vermissen werde. Vor allem auch solche Situationen, die es hier so oft gibt.

Ich denke, dass mir noch viele Unterschiede zwischen Paraguay und Deutschland auffallen werden, wenn ich wieder in Deutschland bin. Zum Teil bin ich mir bei manchen Dingen über Deutschland nicht mehr so sicher. Ich habe hier in den letzten fünf Monaten echt eine andere Art zu Leben kennen gelernt. Und ich liebe es! Ich habe so viele Dinge über mich, meine Ziele und meine Art das Leben zu sehen herausgefunden. Natürlich ist nicht immer alles super einfach, aber auch nichts unmöglich. Bis jetzt hatte ich noch kein Heimweh oder habe mir gewünscht, dass mein Jahr jetzt zu Ende geht. Ich bin echt glücklich, ein Auslandsjahr zu machen, und auch glücklich, dass ich mich für Paraguay entschieden habe, anstatt in die USA zu gehen, wie ich es erst vorhatte. Ich bin sehr dankbar, dass die Kreuzberger Kinderstiftung mir durch das Teilstipendium diese großartige Erfahrung ermöglicht hat. Dieses Jahr wird mich für den Rest meines Lebens prägen.

Wenn du auch ein Auslandsjahr machen möchtest, mache es! Hör auf dich und das, was du willst! Gehe ruhig ein Risiko ein, um das zu erreichen, was dich glücklich macht! Und sehe an denen vorbei, die etwas anderes behaupten! Wenn etwas nicht klappt, versuche es noch einmal!

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