Wie kam es zu der Gründung von QueerTausch?

QueerTausch-Sprecher*in Bene (© Tim Schablitzki)
QueerTausch-Sprecher*in Bene (© Tim Schablitzki)

Bene: Die Gründung von QueerTausch entstand 2010 aus der Notwendigkeit heraus, denn es gab schlichtweg zu wenig Sichtbarkeit und eine fehlende Sensibilisierung für queere Menschen im Verein. Auch das Bewusstsein für ihre Bedürfnisse war zu gering. Im Alter von 15/16 Jahren vor und während eines Schulaustauschs sind Jugendliche an einem sehr vulnerablen Punkt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Themen wie etwa ein Coming-out wurden während meiner Vorbereitungsseminare nicht aufgegriffen.

Gibt es Kriterien für einen queer-freundlichen Jugendaustausch?

QueerTausch-Sprecher*in Flo
QueerTausch-Sprecher*in Flo

Flo: Nein, wir haben keine Kriterien definiert und sie sollen auch nicht definiert werden, denn jede Erfahrung ist absolut individuell. Vieles liegt auch in der Hand der Teilnehmer*innen und vor allem der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen von AFS vor Ort im Gastland. Über die Gesetze in den verschiedenen Ländern informieren wir natürlich vorab. So können die Teilnehmenden ein Bewusstsein entwickeln, wie sie mit ihrer Queerness im Auslandumgehen wollen.

Bene: Wir treffen keine generalisierenden Aussagen über Regionen oder Länder, das würde auch nicht mit den AFS-Werten übereinstimmen. Grundsätzlich können queere Teilnehmer*innen in jedem Land gute und schlechte Erfahrungen machen. Trotzdem informieren wir uns nicht nur über die gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch das gesellschaftliche Klima vor Ort und können dann mögliche Tendenzen aufzeigen. Grundsätzlich raten wir von einem Aufenthalt in keinem Land ab, queere Teilnehmer*innen sollten nur besonders reflektiert in ihren Austausch gehen.

Pauschale Aussagen zu bestimmten Ländern zu treffen ist schwierig, dennoch: Gibt es bestimmte Länder in denen häufiger Schwierigkeiten auftreten?

Bene: Nein. Das können wir nicht feststellen, es gibt keine Häufungen in bestimmten Ländern. Selbst im konservativsten Land gibt es queere Menschen, theoretisch kannst du überall Anschluss finden. Zu sehen, wie Subkulturen trotz der gesetzlichen Lage vor Ort ihren Raum finden und es schaffen, sich zu entfalten, kann genauso Teil der interkulturellen Lernerfahrung in einem Austauschprogramm sein.

Was sind denn Diskriminierungserfahrungen queerer Jugendlicher im Auslandsaufenthalt konkret? Gibt es Beispiele?

Flo: Wir haben schon vielen Jugendlichen in solchen Situationen helfen können. Manchmal gab es queerfeindliche Erfahrungen innerhalb ihrer Gastfamilie, manchmal auch bei einem Coming-out oder Outing durch eine andere Person. Öfters kommt es in der Kommunikation mit der Gastfamilie oder der Partnerorganisation zu diskriminierenden Erfahrungen. Wenn Vorbeugung durch Aufklärung hier zu spät ist, hilft ein Gastfamilienwechsel bzw. ein genereller Wechsel des sozialen Umfelds

Wie will und kann QueerTausch die Austauschprogramme für queere Jugendliche sicherer gestalten? Wie sieht euer Handlungsspielraum aus?  

Bene: Unser Handlungsspielraum ist auf mehreren Ebenen, hat aber Grenzen, z.B. bei administrativen Prozessen. Hier sind wir auf die Sensibilisierung der hauptamtlichen Mitarbeiter*innen angewiesen. QueerTausch ist zwar Ansprechpartner, aber auch die hauptamtliche Kommunikation zu den Partnerländern muss stimmen. Beispielsweise ist es wichtig, die Privatsphäre der Hopees (der Teilnehmer*innen vor der Ausreise) zu wahren und gleichzeitig eine geeignete Gastfamilie für queere Teilnehmer*innen auszuwählen und die Betreuung vor Ort zu sensibilisieren.

Eines unserer Ziele ist also, die Hauptamtlichen von AFS für den Umgang mit queeren Teilnehmer*innen zu sensibilisieren und vorzubereiten. Noch gibt es keine regelmäßige, vielleicht auch verpflichtende Schulung, das wäre aber sicher nicht schlecht. Wir haben aber viele Informationsmaterialien entwickelt, auf die alle Mitarbeiter*innen zugreifen können. Auch als Ansprechpartner ist QueerTausch sehr präsent und sichtbar – nicht nur für Programmteilnehmer*innen, sondern auch für AFS-Mitarbeiter*innen in Haupt- und Ehrenamt. Wir geben dann immer auch persönliche Hilfestellungen in einzelnen Situationen.

Ihr bekommt also auch Anfragen von ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen von AFS?

Flo: Ja, es kommen häufig Fragen bzgl. der Platzierung von nicht-binären Teilnehmenden, da es manchmal schwieriger ist, für sie eine Gastfamilie zu finden. Außerdem gibt es Fragen von Ehrenamtlichen, die Gasteltern betreuen, die Beratung im Umgang mit ihrem nicht-binären Gastkind brauchen.

Bene: Aber auch zu medizinischen Fragen bekommen wir Anfragen: Trans* Hopees sind während ihrer Ausreise manchmal in ihrer Hormontherapie oder brauchen eine psychotherapeutische Begleitung, weil sie zum Beispiel für eine Transition gesetzlich vorgeschrieben ist. QueerTausch ist in Kontakt mit den Teilnehmer*innen und ihren Eltern und berät auch mit den Mitarbeiter*innen in der Geschäftsstelle von AFS über Wege, eine Teilnahme zu ermöglichen. Auch bei Instagram bekommen wir viele Anfragen.

Und umgekehrt wart ihr beratend tätig beim Fall, dass nicht-queere Teilnehmer*innen in eine deutsche Regenbogenfamilie gekommen sind?

Bene: Nicht direkt, aber es kann sinnvoll sein, solche „non-traditional placements“ vorher anzusprechen. Auch die deutsche Gastfamilie möchte schließlich nicht, dass das Gastkind sich unwohl fühlt oder Mitglieder seiner Gastfamilie diskriminiert. Gleichzeitig könnte die Angabe der Queerness im Gastfamilienprogramm eine zusätzliche Hürde für Regenbogenfamilien darstellen. Dieses Problem wird durch folgenden „Filter“ umgangen: Schon im Bewerbungsprozess können die Hopees ankreuzen, ob sie auch in einer queeren Familie platziert werden möchten. Das sorgt für mehr Transparenz und weniger Missverständnisse von Anfang an. Gleichzeitig macht es Queerness sichtbar – auf Teilnehmer*innen- und Gastfamilienseite. Auch das ist ein Verdienst von QueerTausch!

 

Das hat QueerTausch bisher erreicht

Bunte Straße

2011 beschließt AFS auf seiner Delegiertenversammlung die Ergänzung der deutschen Version der AFS-Grundsatzerklärung um den Punkt der sexuellen Identität.

Haben andere Jugendaustauschorganisationen ähnliche Instanzen wie QueerTausch?

Bene: Zum Teil ja. Wir fühlen uns aber zuständig für alle Menschen im gemeinnützigen Jugendaustausch und nicht nur bei AFS in Deutschland. Wir bieten deshalb u. a. Trainings für Multiplikator*innen und beraten andere Organisationen und Gruppen. Aber auch AFS-Partnerländer wie die Schweiz, Österreich oder Costa Rica haben ähnliche Gruppen wie QueerTausch ins Leben gerufen.

Wie seid ihr beide zu QueerTausch gekommen? Was treibt euch an, euch für QueerTausch zu engagieren? Was ist der größte Lohn, den dieses Engagement gibt?

Flo: Auf meinem Nachbereitungsseminar in den Freiwilligendiensten wurde ich damals abgeholt von einer Ehrenamtlichen, die auch bei QueerTausch aktiv war, und dort emotional gut aufgefangen. Es folgte mein erstes Arbeitstreffen von QueerTausch und seitdem bin ich dabeigeblieben. Mir sind Beratung und Betreuung besonders wichtig. Ich selbst habe mich erst im Laufe meines Auslandsjahrs geoutet, vorher gab es keine Berührungspunkte mit dem Thema bei AFS.

Was mich antreibt: Ich möchte diejenigen, die Fragen zu queeren Themen haben, beraten und Unterstützung anbieten. Außerdem will ich dafür sorgen, dass queere Themen in AFS-Seminaren vorkommen und sie weniger cisheteronormativ werden – sei es in den Seminarinhalten oder auch durch das Schaffen von Sichtbarkeit und Sicherheit für queere Menschen.

Bene: Flos Erfahrung spiegelt auch meinen Weg in die Interessensgemeinschaft wieder. Ich hatte über Großveranstaltungen mitbekommen, dass es QueerTausch gibt und wollte mich engagieren, weil ich eine große Leerstelle bei AFS gesehen und gespürt habe. Ich habe Queerness in der Vorbereitung von AFS sehr vermisst, mir fehlte eine „ausgestreckte Hand“. Ich habe mich in diesem Teil meiner Identität einfach nicht aufgehoben, gesehen und berücksichtigt gefühlt. Das sollen Hopees anders erleben und sich willkommener fühlen: „Wir sind divers“ muss wirklich gelebt werden, und zwar in Bezug auf verschiedene Aspekte.

Was mir zeigt, dass es sich lohnt, ist das Feedback von Teilnehmer*innen. Manchmal wird in Erfahrungsberichten die Beratung von QueerTausch erwähnt, also dass wir wirklich helfen konnten, oder aber auch, dass es schön sei zu wissen, dass es QueerTausch gibt, auch wenn wir nicht gebraucht wurden. Auch das ist ein großes Lob und eine Bestätigung für uns als QueerTausch!

Wir haben ja vorher viel über Herausforderungen und Probleme gesprochen, gibt es einen positiven Ausblick?

Bene: Austauschprogramme sind dafür da, Menschen eine neue persönliche Erfahrung zu bieten. Eine Austauscherfahrung, bei der Queerness Platz hat, ist unserer Meinung nach ein Gewinn für alle Beteiligten. In einer neuen Umgebung die Möglichkeit zu haben, sich ganz neu und anders zu entfalten und zu entdecken, kann total bestärken und auch für die Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmenden eine große Chance sein. Gerade durch die Queerness kann der Austausch also zu einer noch schöneren Erfahrung werden!

Wir danken Bene und Flo für das Interview.

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QueerTausch bei AFS

QueerTausch ist eine Gruppe von Ehren- und Hauptamtlichen bei AFS Interkulturelle Begegnungen e.V., die sich mit Themen zu queeren, also lesbischen, schwulen, bi- und pansexuellen sowie und trans* und inter* Menschen im Schüler*innenaustausch und in internationalen Freiwilligendienstprogrammen beschäftigt.

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