Georg Jürgens (USA 1965/66) berichtet, wie er AFSer wurde und wie das seinen weiteren Weg über Journalismus und Diplomatie beeinflusst hat. Außerdem verrät er uns, welche drei Schallplatten er unbedingt weiterempfehlen kann und welche AFS – Momente er in über 30 Jahren als Diplomat erlebt hat.

Die Enge der Kleinstadt in der schwäbischen Provinz in der ich lebte und zur Schule ging, erschien mir als ich 13, 14, 15 Jahre alt war, immer drückender. Nicht mal vernünftige Jazz-Platten konnte man hier kaufen. Das Plakat am schwarzen Brett der Schule versprach ein Jahr in den USA. Ich bewarb mich sofort. Ab da verging kaum ein Augenblick, in dem mich der Traum von dem Jahr in den USA los lies. Endlich eine Einladung nach Ulm zu einem Vorstellungsgespräch. Gespannt und aufgeregt fieberte ich dem Tag entgegen. Das Gespräch verlief besser als ich erwartet hatte. Alles nette Menschen. Bevor ich mit der Eisenbahn zurück nach Hause fuhr noch ein kurzer Besuch im Plattenladen. Eine wunderbare Platte wurde mein: The Great Wide World of Quincy Jones. Zu Hause war an diesem Abend des 23. November 1963 die Stimmung gedrückt. Ich war durch das Vorstellungsgespräch voller USA-Euphorie aber meine Mutter musste mir vorsichtig beibringen: In Dallas war John F. Kennedy erschossen worden. Und das an dem Tag, der der Beginn meines Aufbruchs in die neue Welt werden sollte!

Ein halbes Jahr verging wie Blei. Vor dem Einschlafen untermalte die Big Band von Quincy Jones mein Fernweh. Im Frühsommer dann die niederschmetternde Nachricht: “…bedauern sehr, daß einer großen Zahl von Bewerbern nur eine begrenzte Zahl von Gastfamilien gegenüber stand…“ Den Sommer brachte ich irgendwie hinter mich und an einem Tag im Herbst saß ich wieder vor dem Auswahlkomitee. Zu meinem Erstaunen wurde ich dort herzlich wie ein alter Bekannter begrüßt. Man freue sich sehr, dass ich es nochmal versuche. Das Gespräch noch entspannter als vor einem Jahr. Danach Plattenladen: Oscar Peterson: Night Train. Eine Berlin-Reise aller „hopees“ erhöhte die Spannung, ob es denn diesmal klappen würde. Im nagelneuen Europa-Center eröffnete gerade ein nobles Schallplattengeschäft. Die schick gekleideten Mitarbeiter nippten noch an ihrem Eröffnungssekt, als ich begann in den Jazz-Platten zu wühlen. Count Basie: The Atomic Mister Basie. Scheußliches Cover aber Big Band vom Feinsten!

Ja, und dann klappte es im zweiten Anlauf. Anfang September 1965 nahm ich den Nachtzug nach Hamburg, von wo aus eine gecharterte 707 der PanAm (ja, die gab es damals beide noch) eine ganze Flugzeugladung AFSer nach New York brachte. In unserer ersten Nacht in New York wurden wir in einem Hotel in Tudor City, direkt gegenüber den Vereinten Nationen und wenige Schritte um die Ecke vom AFS-Gebäude, untergebracht. Mit mir im Zimmer war Peter Fröhler; dazu später mehr.

Meine erste Gastfamilie und ich, wir hatten ein etwas distanziertes Verhältnis, das schließlich – viel zu spät – dazu führte, dass ich nach New York ins AFS Hauptquartier gerufen wurde. Was sich zunächst wie eine Einbestellung zur Kopfwäsche darstellte, war das Highlight meines AFS Jahres. Zwei Wochen lebte ich im AFS Hauptquartier in der 43. Straße, wenige Schritte vom Sitz der Vereinten Nationen, durfte mich in Manhattan frei bewegen und wurde von meiner Betreuerin, Judy Inglis, und anderen AFS-Mitarbeitern häufig eingeladen und mit Vorschlägen eingedeckt, was ich alles in New York unternehmen könne. Die lange anhaltende Freundschaft, die viele AFSer aus ihrem Austauschjahr mitbringen, habe ich auch. Nur ungewöhnlich ist, dass sie zu meiner Betreuerin Judy und ihrem Mann Jay besteht und nicht zu Gastfamilie(n) oder Schulfreunden. Sie begann damals in New York.

Vor meiner Ausreise in die USA hatte unsere Heimatzeitung ausführlich (und für mich überraschend) darüber berichtet, dass ich nun ein Jahr in Amerika verbringen würde. Der Redakteur der Zeitung bemerkte, mehr oder weniger en passant, dass die Zeitung auch Interesse an meinen Erlebnissen habe. Ich begann zunächst zögerlich, dann immer öfter, alles aufzuschreiben und fügte Fotos bei. Zu meiner freudigen Überraschung wurde fast alles, was ich aufgeschrieben hatte, unverändert abgedruckt. Stolz sammelte ich die Zeitungsausschnitte, die mir meine Mutter schickte. Alles von mir, alles mit meinem Namen überschrieben! Irgendwie lag die Entscheidung auf der Hand: ich wollte Journalist werden.

Nach dem AFS-Jahr kamen Abitur und Studium in Berlin, wo ich auch einige Zeit AFS-Chairman war. Eine Europareise führte Arthur Howe jr. (AFS-President) auch nach Berlin, wo ich ihn betreuen konnte. Das Programm, das ich für ihn, seine Frau und Bärbel Helmers zusammengestellt hatte, muss gut angekommen sein. Nachdem die Howes abgereist waren, lud mich Bärbel zum Dank zum Essen ein und ein paar Tage später bekam ich einen Dankesbrief von Arthur Howe, den ich bis heute aufbewahrt habe. Drei Jahre nach meinem ersten USA-Aufenthalt flog ich wieder über den „großen Teich“, machte einen Monat Praktikum in der AFS-Zentrale und begleitete einen Bus voller Neuankömmlinge nach Minneapolis, von wo aus ich auf eigene Faust weiter an die Westküste flog.

Mit dem Berufsziel Journalist immer noch fest vor Augen ging ich mit abgeschlossenem Studium nach München auf die Deutsche Journalistenschule. Etliche Praktika während des Studiums hatten mich gut vorbereitet. Das Auswahlverfahren war ähnlich wie bei AFS. Auf einen Platz kamen rund 10 Bewerber, aber das beeindruckte mich nicht mehr. Die Ausbildung war intensiv, fordernd und gleichzeitig hoch interessant. Jeder Tag ein neues Erlebnis und eine neue Herausforderung. Einen besonderen Gänsehautmoment hatte ich immer, wenn die gewaltige Rotationsmaschine anlief und das ganze Verlagshaus zum Beben brachte.

Meine journalistische Vorerfahrung brachte mir alsbald ein ungewöhnliches Stellenangebot: Der Professor, bei dem ich meine Diplomarbeit geschrieben hatte, war in den Bundestag gewählt worden und suchte einen Mitarbeiter, der Pressearbeit für ihn macht. Das Angebot war zu verlockend um es auszuschlagen aber meine damalige Freundin wollte ich deshalb nicht alleine lassen. Also bat ich sie, meine Frau zu werden. Das ist jetzt 45 Jahre her und hält immer noch.

Wenn man als Assistent von Bundestagsabgeordneten etwas lernt, dann ist es die Erkenntnis, dass man sich schnell nach einem neuen Job umsehen sollte, um nicht vom politischen Wohl und Wehe seines Chefs abhängig zu sein. Nach rund zwei Jahren Assistentendasein traf ich auf der Straße vor dem Bundeshaus in Bonn zufällig einen meiner Dozenten aus der Journalistenschule. Auf meine Frage: „Was machen Sie denn hier?“ antwortete er: „Ich bin jetzt Leiter des Redenschreiberstabes von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Der Kanzler redet so viel, ich komme mit Schreiben kaum nach. Wollen Sie mir nicht helfen?“. Ich wollte; auch wenn ich eine Abhängigkeit von einem politischen Schicksal nun gegen eine andere getauscht hatte.

Vor diesem recht spontanen Wechsel hatte ich mich schon beim Auswärtigen Amt beworben. Das führt einmal im Jahr einen Auswahlwettbewerb durch. Aus meinem Büro im Bundeskanzleramt wirkte das Auswärtige Amt wie eine nachrangige Behörde. Somit stellte ich mich sehr entspannt dem Auswahlwettbewerb (wieder ähnliche Bedingungen wie bei AFS und Journalistenschule) mit der Absicht, vielleicht einen nicht unkritischen Artikel zu verfassen mit dem Titel: „Wie kommt das Auswärtige Amt zu seinen Diplomaten?“ Kurz darauf brachte mich ein Brief des AA in einen Zwiespalt: Ich hatte das Auswahlverfahren bestanden. Die Aussicht, als Beamter nicht mehr vom politischen Schicksal Anderer abhängig zu sein, gab den Ausschlag und ich ließ den lange gehegten Berufswusch Journalist zu werden fahren, mußte einen Diensteid ablegen und erhielt dafür den klangvollen Titel „Attaché“.  So wurde ich Diplomat und übte 33 Jahre, 3 Monate und 29 Tage einen Beruf aus, der nach Außen hin viel Sozialprestige vermittelt, in seinem Innenverhältnis jedoch manchmal recht hierarchisch ist. Jedenfalls empfand ich als „Alt-68iger“ und ehemals kritischer Journalist das so. Meine Stationen (im AA sagt man „Posten“) wurden Algier, Islamabad, Bonn, Bombay, wieder Bonn, Moskau, Genf, Berlin und Ottawa, wo ich Ständiger Vertreter des Botschafters und Leiter der Politischen Abteilung war.

Im Auswärtigen Dienst gab es immer wieder „AFS-Momente“. Einmal gehörte ich einer kleinen Delegation an, die den Bundespräsidenten in die USA begleitete. Nach einem Essen in der Deutschen Botschaft in Washington fragte mich Richard von Weizsäcker, wie ich es denn gefunden hätte. Ich erwiderte, es sei so ähnlich gewesen wie ein Lunch im Sommer 1966 im selben Raum der Botschaft. „Was haben Sie denn vor so langer Zeit schon hier gemacht?“ Ich erklärte, dass damals alle Deutschen AFSer Gast der Botschaft gewesen seien. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht: „Ach ja, AFS! Sie auch…“

In Ottawa besuchten uns Jay und Judy Inglis, die erstaunt waren über das großzügige Haus, das uns dort als Dienstwohnung zur Verfügung stand. Das Gästezimmer war über zwei verschiedene Treppen zu erreichen und die „Navigation“ im Haus musste in der Anfangsphase durch laute Zurufe unterstützt werden. Endlich hatte ich eine Gelegenheit, mich für die Gastfreundschaft meiner Corresponderin damals in New York zu revanchieren. Im Winter machten wir einen Gegenbesuch bei Jay und Judy in Vail, Colorado, wo man den Pulverschnee Champagne-Powder nennt. So schöne Skipisten habe ich sonst nirgends gesehen.

In Genf kam eines Tages meine Sekretärin und sagte, ein hoher deutscher Mitarbeiter der UNCTAD, ein Herr Peter Fröhler, habe um einen Termin gebeten. Ich musste lange nachdenken, wieso mir der Name bekannt vorkam. Endlich fiel es mir ein. Ich nahm das gelbe Buch zur Hand „Roster of Students, Winter Program, 1965 – 1966“ und da war Peter Fröhler wieder. Und das Zeichen neben seinem Namen verriet mir: Wir hatten unsere erste Nacht in den USA im selben Hotelzimmer in New York genächtigt. Als er dann im mein Büro kam, war das Erstaunen groß…

In Ottawa fiel mir unter den Kolleginnen und Kollegen eine Sachbearbeiterin für Kultur- und Pressearbeit auf. Im Gespräch erwähnte sie, ihren Urlaub in Bolivien zu verbringen. Kein übliches Urlaubsland. Ich fragte sie, wie sie darauf kommt. „Ich war dort AFSerin“ war die Antwort. Da ich prinzipiell keine(n) AFSer(in) sieze, hatten wir ab da ein besonders angenehm vertrautes Arbeitsverhältnis. Der Rest der Botschaft mag sich gefragt haben, woher das wohl kam. Ich aber musste mich gedanklich davon lösen, dass AFS nicht mehr mit USA gleichzusetzen war.

Small World Moments gab es immer wieder, etliche AFS-bezogen, neben vielen anderen Zufällen. Ach ja, bevor ich von AFS gehört hatte, dachte ich daran, Zahnarzt zu werden. Aber dann hätte ich ja von der Hand in den Mund gelebt. War doch besser so wie es kam. Und übrigens: Die Schallplatten, die mich in den AFS begleitet haben, habe ich alle nochmal gekauft. Als CD. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten!

Informationen über Stipendien für einen Schüleraustausch oder Freiwilligendienst!

 

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