Ineke Paulsen, Venezuela, 1998/99
Ineke Paulsen war 1998/99 mit AFS in Venezuela und ist heute Mitglied im Kuratorium. Sie berichtet von Eindrücken aus ihrem Austauschjahr, wie es ist in “zweiter Generation” AFSerin zu sein und wie ein Auslandsaufenthalt einen auch politisch prägen kann.
Du bist 1998/99 mit AFS nach Venezuela gegangen. Wieso hast du dich damals für Venezuela entschieden und was ist deine eindrücklichste Erinnerung?
Ich habe mich hauptsächlich für Lateinamerika entschieden und einfach mal alle verfügbaren Länder ‘angekreuzt’, Venezuela wurde mir dann zugeteilt. Eine glückliche Fügung, denn ich hatte definitiv eines der besten Jahre meines Lebens. Ich erinnere mich an viele positive Dinge, meine venezolanischen Freund*innen, den kulturellen Austausch und die vielen neuen Erfahrungen, die anderen AFS-Freund*innen, die auch in Puerto Ordaz waren, das sehr gute Wetter, unseren Ausflug in den Nationalpark Gran Sabana und eine Reise mit der Familie nach San Cristobal, das mega leckere Essen (ich bin immer noch ein riesiger Arepa-Fan, und probiere immer, wenn es sie gibt, die Tequeños) – aber ich erinnere mich auch noch an den Kulturschock, plötzlich von Soldaten mit Maschinenpistolen im Anschlag für eine reguläre Verkehrskontrolle angehalten zu werden.
Hast du noch Kontakt zu jemandem aus Deinem Austauschjahr – deiner Gastfamilie, Freund*innen?
Nur losen Kontakt zu anderen AFS-Freund*innen, die auch in Venezuela waren – zur Gastfamilie leider nicht. Meine Gastcousine ist sogar nach Deutschland gekommen und mittlerweile meines Wissens hier verheiratet, leider ist unser Kontakt aber schon vor einigen Jahren abgerissen.
Du kommst aus einer AFS-Familie, dein Vater und deine Schwester waren auch mit AFS weg. Was macht das, wenn man in der zweiten Generation AFSer*in ist?
Ich bin sehr dankbar, in einer Familie aufgewachsen zu sein, in welcher kultureller Austausch stets großgeschrieben wurde – wir hatten oft Menschen aus anderen Ländern zu Gast, über AFS oder Freund*innen. Das führte zu vielen interessanten Erfahrungen und tollen Erlebnissen!
AFSer*innen wissen, dass ein Austauschjahr weit mehr ist als die singuläre Austauscherfahrung und einen häufig das ganze Leben über prägt. Was genau machst du beruflich und inwiefern haben deine AFS-Erfahrungen Einfluss auf deine beruflichen Tätigkeiten?
Ich bin ziemlich sicher, dass meine Entscheidung Kulturwirt in Passau zu studieren damit zusammenhängt, das AFS-Jahr gemacht zu haben. Der Studiengang ist sehr international ausgelegt, mit Auslandsaufenthalt und viel Fokus auf andere Sprachen und Kulturen. Ich arbeite seitdem in verschiedenen global tätigen Unternehmen und fast ausschließlich auf Englisch – sicherlich auch ermöglicht durch diesen Austausch und damit verbunden Spracherfahrungen.
Hat dein Austauschjahr dich auch politisch geprägt? Wie schaust du mit Abstand heute auf Venezuela – auf die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Umstände im Vergleich zu deinem Aufenthalt dort?
Es bricht mir das Herz zu sehen, wie es in Venezuela nach 98/99 bergab gegangen ist. Ich war ja im Land, als Chavez gewählt wurde und in der AFS-Community hatten damals viele bereits ein mulmiges Gefühl dabei. Ich bin seitdem auch viel durch Lateinamerika gereist und überall treffe ich Venezolaner*innen, die aus ihrem Land fliehen mussten. Damals wurde in Venezuela viel diskutiert über die vielen geflüchteten Personen aus Kolumbien – das hat sich seitdem komplett gedreht und jetzt wird in Kolumbien über die vielen geflüchteten Menschen aus Venezuela geredet. Ich vermute, ich hätte mich auch ohne diese Erfahrung für geflüchtete Menschen eingesetzt – sicherlich hat mich das aber auch zusätzlich beeindruckt und beeinflusst.
Du bist seit dem letzten Jahr im Kuratorium dabei. Was hat dich motiviert Mitglied des Kuratoriums zu werden und was ist dort genau deine Aufgabe?
Ich wollte mich wieder mehr bei AFS engagieren, da ich den interkulturellen Austausch in Zeiten wie diesen wichtiger finde als je zuvor! Als Kuratorium beraten und unterstützen wir AFS und bringen unsere unterschiedlichen Fähigkeiten und Netzwerke, z.B. aus unseren hauptamtlichen Berufen, ein.
Warst du schon mal Gastfamilie oder könntest du dir vorstellen mal Gastfamilie zu werden?
Ich wohne allein und reise viel, insofern bin ich leider als Gastfamilie nicht geeignet. Sollte sich das aber ändern, könnte ich mir das auf jeden Fall vorstellen.
Was möchtest du Jugendlichen mitgeben, die sich heute überlegen für einen Schüler*innenaustausch ins Ausland zu gehen?
Macht es, es ist das Beste, was Ihr tun könnt! Und mein Vorschlag wäre, den Kontakt nach Hause auch so weit wie irgend möglich zu unterlassen. Wir hatten damals das Glück, dass telefonieren prohibitiv teuer war und Internetkommunikation auch sehr schwierig, ganz zu schweigen von Smartphones, die es noch gar nicht gab. Meiner Meinung nach hat dieser nicht stattfinde Kontakt das Jahr viel besser gemacht, da man sich vollkommen einlassen konnte auf die Situation – auch dem Lernen der Sprache hat es sicherlich sehr geholfen, einfach 100% immersed zu sein.