Angela Spizig (USA 1965/66) gehört seit 2005 dem AFS-Kuratorium an. Sie ist internationale Kulturmoderatorin und war von 2000-2014 Bürgermeisterin der Stadt Köln.
Angela Spizig wurde in der Altmark, Sachsen-Anhalt, geboren. Als sie sieben Jahre alt war, floh ihre Familie nach Westdeutschland. Sie wurde in der Stadtbibliothek sozialisiert und träumte von fernen Ländern. Dank eines Stipendiums des AFS konnte sie das Jahr 1965/66 in Winona/Minnesota verbringen.
Sie studierte Anglistik und Romanistik in Köln und finanzierte ihr Studium als Reiseleiterin für amerikanische College Gruppen, die sie durch ganz Europa begleitete. Anschließend unterrichtete sie Sprachen und Literatur am Gymnasium. Politisch engagierte sie sich bei den Grünen und war von 2000-2014 Bürgermeisterin der Stadt Köln mit den Schwerpunkten Kultur, Medien und Internationale Beziehungen. Heute ist sie als internationale Kultur-Moderatorin unterwegs.
Dein Austauschjahr mit AFS liegt nun über 50 Jahre zurück. Hast du noch Kontakt zu jemandem aus deinem Austauschjahr in Minnesota – deiner Gastfamilie, Freunden vielleicht?
Ich war bei verschiedenen Klassentreffen in Winona/Minnesota und werde auch heute noch regelmäßig eingeladen. Mit einem Klassenkameraden maile ich intensiv über die politischen Zustände in den USA. Meine beste Freundin Mary hat sich nach 50 Jahren von mir losgesagt, nachdem ich einen kritischen Halbsatz über Trump geschrieben hatte…das hat mich überrascht und geschmerzt.
Das 50. High School Treffen benutzte ich, um kurz über die Staatsgrenze nach Wisconsin zu fahren, um einen AFSer aus Norwegen wiederzusehen, der dort auch seine 50. Graduation feierte. Wir waren 1966 während der Heimfahrt auf der Seven Seas zusammen und hatten uns seitdem nicht mehr gesehen – eine wunderschöne Begegnung – immer noch ein toller Typ.
Einen richtig intensiven Kontakt habe ich mit meinem jüngsten Gastbruder, seiner brasilianischen Frau und seinen Kindern. Wir treffen uns in Washington, Paris und Köln, schreiben regelmäßig und fühlen uns sehr nah.
Rückblickend, wie beurteilst du deine AFS-Erfahrung, inwiefern hat sie dich geprägt? Welchen Einfluss, welchen Impact hatte sie auf deinen Lebensweg und deinen beruflichen Werdegang?
Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke, gibt es einen Kristallisationspunkt: mein AFS-Jahr in den USA, das mir neue Horizonte eröffnete und alle meine Lebensphasen prägte. Erst als Lehrerin für Fremdsprachen, dann als Bürgermeisterin einer Stadt mit 180 Nationen, aktuell als Moderatorin internationaler Autoren und Autorinnen. Immer geht es um Begegnung, Dialog, Verstehen wollen über Grenzen hinweg, sich mit offenem Blick auf Anderes, Neues, Fremdes einzulassen.
Du bist kulturell, literarisch und politisch sehr aktiv. Inwiefern haben dich deine AFS-Erfahrungen dabei geprägt?
Mein Jahrgang 65/66 war in den USA nach dem Mord an John F.Kennedy, nach Martin Luther Kings March on Washington, zu der Zeit, als der Vietnam Krieg in das öffentliche Bewusstsein trat. In San Francisco waren die ersten Hippies auf den Straßen, und im Radio hörte man den Song „The Eve of Destruction“- der heute leider erschreckend aktuell klingt. Die amerikanische Studentenbewegung begann mit dem „Free Speech Movement“ und wurde zur Protestbewegung – mit ihrer eigenen Jugendkultur und großartigen Musik – von Bob Dylan über Country Joe and The Fish bis Jimi Hendrix – das alles hat mich politisiert.
Dazu kamen ein fantastischer Literaturlehrer und ein Speech Lehrer, von denen ich unglaublich viel lernte, und Fächer, die wir in Deutschland nicht hatten wie „Journalism“ und „Drama Class.“ Als ich meine ersten politischen Reden im Rathaus und auf großen Plätzen halten musste, konnte ich nahtlos auf die Techniken meines Speech Teachers zurückgreifen.
Gab es bestimmte Situationen in deinem Werdegang, in denen du besonders dankbar für deine Austauscherfahrungen oder –kontakte warst?
Es ist eher ein allgemeines Gefühl, dass ich durch AFS, je nach Situation, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland jederzeit inspirierende Freunde und Freundinnen wie auch Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen finden kann.
Was möchtest du Jugendlichen mitgeben, die sich heute überlegen für einen Schüleraustausch ins Ausland zu gehen?
Ich habe es jahrelang meinen Schülern und Schülerinnen empfohlen – und mich gefreut, wenn sie zurückkamen: selbstbewusster, gereifter, aber auch offener und empathischer. Ein 17-Jähriger, fasste es für sich in die Worte „it was a character building experience“. Er war glücklich mit dieser Erfahrung – und stolz, dass er sie gemeistert hatte. Ich sage Jugendlichen sogar, dass sie sie sich auf ein solches Jahr einlassen sollen, selbst wenn sie ein zusätzliches Schuljahr investieren müssen. Mit den Freunden, die sie dabei weltweit gewinnen und den interkulturellen Erfahrungen, die sie erwerben, bereichern sie nicht nur ihr eigenes Leben und das ihrer Familien und Freunde – sie können auch unsere Gesellschaft aktiv und klug gestalten.
Du bist seit 17 Jahren im AFS-Kuratorium. Was motiviert dich zu deinem Engagement?
Es war mir immer ein Bedürfnis, dem AFS etwas zurückzugeben. Und es ist spannend, sich mit anderen AFSern aus unterschiedlichen Altersgruppen und beruflichen Bereichen darüber auszutauschen, wie man AFS in den sich immer schneller wandelnden globalen und gesellschaftlichen Bedingungen langfristig stärken und unterstützen kann. Damit noch ganz viele junge Menschen die Haltung und Werte von AFS erfahren und weitertragen können.
AFS bedankt sich für das Interview. Die Fragen für AFS stellte Lilian Adlung-Schönheit (03/2022).