Miriam, Malaysia, 2017, IJFD:

Miriam hat ihren Freiwilligendienst in Malaysia mit AFS und dem Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) gemacht. An der Outward Bound School hat sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen Persönlichkeits- und Teamtrainings mit Jugendlichen und Erwachsenen begleitet. Über ihre verschiedenen Erfahrungen und Begegnungen berichtet sie hier.

„As-Salaam Alaikum and a very good morning“,

Es ist 08:05 Uhr und ich sitze beim täglichen Morning-Meeting der Mitarbeiter der Outward Bound School Malaysia. Es ist schwül und heiß in dem kleinen Raum, in dem sich neben mir ca. 12 weitere Personen befinden. Die Ventilatoren arbeiten auf Hochtouren. Ich sehe Menschen, die reden und lachen, diskutieren und beratschlagen. Ich höre Stimmen in einer Sprache sprechen, die ich nicht verstehe. Ich fühle mich überfordert und gleichzeitig bin ich neugierig auf das, was auf mich zukommt. Fragen schießen mir durch den Kopf: „Was werde ich hier machen?“, „Was wird meine Aufgabe sein?“, aber auch: „Werden sie mich akzeptieren?“, „Werde ich hier Freunde finden?“, „Wie wird das mit der Kommunikation klappen?“.

So erging es mir an meinem ersten Tag an meinem Arbeitsplatz während meines Auslandsaufenthalts in Malaysia. Ich arbeitete 11 Monate in einer Schule, die sich auf Outdoor-Aktivitäten spezialisiert hat. Ich betreute Kurse von Teilnehmern zwischen 12 und 65 Jahren. Das Ziel unserer Arbeit war es, sowohl den persönlichen Charakter der Beteiligten, als auch die Teamdynamik der gesamten Gruppen zu stärken. Um dies zu erreichen, waren Gemeinschaftsaktivitäten vorgegeben. Wir spielten Spiele, gingen Kajak fahren, zum Jungle -Trekking, ja sogar segeln. Ein weiteres Merkmal der Outward Bound School ist das Motto „Back to the Basics“. Wir verbrachten viel Zeit in der Natur und verzichteten auf jeglichen Luxus. Den Teilnehmern ist es nicht erlaubt, ihre Handys zu nutzen, es herrscht striktes Alkohol- und Nikotinverbot und der Konsum von Süßigkeiten und anderen Naschereien wird eingeschränkt.

Mein Aufgabenbereich beschränkte sich auf helfende Tätigkeiten, da ich keine ausgebildete Fachkraft in der Branche bin. Dennoch war mir nie langweilig. Auch ich saß nicht selten gemeinsam mit den Teilnehmern im Kajak und kämpfte gegen die Wellen oder kletterte stundenlang auf unwegsamen Pfaden im malaiischen Dschungel auf und ab – bei durchschnittlich 32 Grad Außentemperatur und einer Luftfeuchtigkeit von ca. 80% eine schweißtreibende Angelegenheit. Trotz der kräftezehrenden physischen Anstrengungen, hat die Arbeit meist Spaß gemacht und ich genoss die Begegnungen mit den immer wieder wechselnden Teilnehmern. So lernte ich innerhalb kürzester Zeit eine Menge Menschen kennen, erfuhr viel von ihrer Kultur, ihren Riten und Bräuchen.

Da viele von ihnen nur gebrochen Englisch sprachen, war ich permanent mit der Sprache der Einheimischen konfrontiert. Nach 11 Monaten in Malaysia bin ich dadurch nun in der Lage, Bahasa Melayu in den Grundzügen zu verstehen, Sprechen fällt mir allerdings schwer. Glücklicherweise war der größte Teil meiner Kollegen der englischen Sprache mächtig und die Kommunikation mit ihnen klappte meist zufriedenstellend. Dennoch blieben Missverständnisse oder gar Fehlkommunikation keine Seltenheit. Dieses Problem ließ sich aber mit Gesten und Mimik und im äußersten Fall Google Translate in der Regel in den Griff bekommen.

Unterkunft im Projekt

Untergebracht war ich während meines Aufenthalts in Malaysia in einem Zweibettzimmer, das ich mit einer weiteren AFS-Freiwilligen aus Deutschland bewohnte. Wir lebten gemeinsam mit neun Kolleginnen in einem Gebäude auf dem Outward Bound Gelände. Mit ihnen teilten wir nicht nur einen Balkon und das Badezimmer, sondern auch unseren Alltag.

Das enge Zusammenleben stellte für mich zunächst eine Herausforderung dar. In Deutschland habe ich seit meinem achten Lebensjahr ein eigenes Zimmer, nun musste ich meinen Freiraum einschränken und einen Teil meiner Privatsphäre aufgeben. Zugegeben, es ist für mich anstrengend als volljähriger junger Mensch wieder in Gemeinschaft ein Zimmer zu bewohnen. Obwohl ich mich mit meiner Mitfreiwilligen von Anfang an ausgezeichnet verstand, kam es trotzdem zu Streitigkeiten und Diskussionen.

Zu einem erfolgreichen Zusammenleben gehören zahlreiche Absprachen und Kompromissbereitschaft. Schon bei Kleinigkeiten, wie z.B. den Schlafenszeiten oder den eingeschränkten Rückzugsmöglichkeiten, entsteht Konfliktpotenzial. Es war auch eine Chance, denn so haben wir gelernt, offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren und auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen. Die Vertrautheit, die sich schon nach kurzer Zeit zwangsläufig zwischen uns aufbaute, hält bis heute an. Im Rückblick ist das eine bereichernde Erfahrung, ohne die ich mir ein anderes Leben im Projekt heute kaum vorstellen kann.

Freundschaften und interkulturelle Unterschiede

Im Laufe der ersten sechs Monate wurde mir bewusst, dass es problematisch ist, Freundschaften im Rahmen meines Arbeitsumfelds zu finden. Nicht nur durch den deutlichen Altersunterschied zwischen mir und meinen Kollegen, sondern vor Allem durch die unterschiedlichen Kulturen und Religionen ließ sich die Distanz zwischen uns nur schwer abbauen.

Nicht zu vergessen ist dabei, dass Malaysia ein muslimisches Land ist und auch mein Projekt größtenteils in muslimischer Hand war. Die Religion nimmt einen großen Teil des alltäglichen Lebens der Bewohner ein. Von dem Ruf des Muezzin, über Kleidungs- und Essensvorschriften bis hin zu den Gebetszeiten – der Islam ist ein permanenter Begleiter. Auch ich musste mich an seine Regeln halten und mich der Gewohnheiten der Einheimischen anpassen. Während meiner Arbeitszeiten waren knöchellange Hosen, schulterbedeckende T-Shirts und geschlossene Schuhe Pflicht. Viele meiner Arbeitsgenossinnen trugen Hijab (musl. Kopftuch). Da das aber stark religiös belegt ist und den Glauben der Frauen ausdrückt, tat ich dies nicht. Es störte mich nicht, mich diesen Vorschriften unterzuordnen, obwohl es doch für uns, die wir aus einer westlichen Kultur stammen, zunächst befremdlich wirkte bei >30° Celsius Außentemperatur mit langer Kleidung das Haus zu verlassen.

Doch nicht nur im beruflichen Umfeld, sondern in sämtlichen Bereichen, sind in Malaysia gewisse Gebräuche zu beachten. Es ist unüblich, in öffentlichen Einrichtungen, wie beispielsweise in Einkaufszentren oder Restaurants, kurze Hosen oder schulterfreie Tops zu tragen. Deshalb trug ich aus Respekt den Gläubigen gegenüber ebenso in meiner Freizeit meist bedeckende Kleidung. Ich akzeptierte diese Veränderung gerne.

Reisen in Malaysia – und darüber hinaus

Während meiner Reisen quer durch mein Gastland bekam ich allerdings doch nicht selten die Gelegenheit, meinen Bikini aus dem Schrank zu holen. Innerhalb der 11 Monate in der Ferne erkundete ich gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin und einer dritten AFS-Freiwilligen quasi das gesamte Land. Wir bräunten uns beim Strandurlaub auf Langkawi, sahen zig-tausend bunte Fische beim Schnorcheln auf den Perhentian-Islands, genossen die kulinarische Vielfalt der asiatischen Küche in Penang, erlebten das pulsierende Großstadtleben in der Hauptstadt Kuala Lumpur und lernten bei einem Trip auf die Insel Borneo die Kultur der „Orang Asli“ (malaiisch orang: „Mensch“; asli: „original“ oder „ursprünglich“, also so viel wie Ureinwohner) in Sarawak kennen.

Unsere Wanderlust ließ sich aber nicht nur auf das Inland Malaysias beschränken, sondern trieb uns auch außerhalb der Staatsgrenzen. Weihnachten verbrachten wir so in der leuchtenden Metropole Singapur, die wir schon nach einer zwölfstündigen spannenden Nachtbusfahrt von unserem Einsatzort aus erreichten. Darüber hinaus bereisten wir in einem zweiwöchigen Urlaub das südostasiatische Nahgebiet Malaysias. Bangkok in Thailand, Ho Chi Minh und das Mekong Delta in Vietnam und die Sonderverwaltungszone Hongkong lagen auf unserer Reiseroute.

Dem schlechten Wetter bei unserem letzten Stopp im Südosten von China ist es zu danken, dass wir noch ein weiteres Mal eine Immigrationsbehörde von innen sahen. Auf der Flucht vor Regen und Nebel gelangten wir mit der Fähre nach Macao – ein Land, von dem ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Und so entdeckte ich einen mir bisher fremden Teil der Erde. Ich bin dankbar, dass ich diese Chance bekommen habe.

Meine Teilzeit-Gastfamilien

Dass nicht jedem Menschen dieses Privileg zugutekommt, ist mir noch einmal in den Zeiten bei meinen drei Teilzeit-Gastfamilien bewusst geworden. Während der wichtigsten Nationalfeiertage organisierte AFS diese für uns, damit wir mit ihnen feiern und die Kultur hautnah erleben können. Jeweils etwa eine Woche verbrachte ich bei ihnen.

Das hinduistische Lichtfest Deepavali zelebrierte ich mit einer indischen Familie, Chinese New Year (Neujahrsfest des chinesischen Kalenders) war ich bei einer taoistisch geprägten Familie zu Gast und eine muslimische Familie beherbergte mich während Hari Raya (Fest des Fastenbrechens). Unabhängig von der Religion – ihren Urlaub verbrachten meine Gastgeschwister bislang meist innerhalb des eigenen Landes.

Obwohl die Budgets meiner Gastgeber beschränkt waren, haben sie sich sehr bemüht, ein außergewöhnliches Fest zu feiern. Alle drei Familien nahmen es sich ausnahmslos zur Aufgabe, mir gebührend ihre Kultur und die damit verbundenen Riten und Bräuche nahe zu bringen. So bin ich nun stolze Besitzerin eines Saris, eines Punjabi Suits (beides traditionelle, indische Kleidung) und zweier Baju Kurungs (malaiisch/muslimische Tracht) und auch ein chinesisches Cheongsam durfte ich anprobieren.

Diese Vielfalt der Kulturen ist einer der Aspekte, die das Land Malaysia einzigartig macht. Die drei Hauptkulturen Malaysias unterscheiden sich in ihren Sitten und Bräuchen grundlegend. Sie zu vergleichen ist schwer und ich kann keine Entscheidung treffen, in welcher ich mich „am wohlsten“ gefühlt habe. Es war für mich eine große Bereicherung, die drei Kulturen in einem familiären und dadurch sehr authentischen Umfeld zu entdecken.

Betreuung durch AFS

Dazu ist zu sagen, dass AFS Malaysia sich große Mühe gab, alle Freiwilligen, nicht nur während der Feiertage, sondern im Laufe des gesamten Aufenthalts, geschützt und – so gut es ging – komfortabel unterzubringen. Ich fühlte mich durch meine Entsendeorganisation stets sicher und aufgehoben. Es war beruhigend, zu wissen, dass ich immer einen Ansprechpartner vor Ort hatte, an den ich mich im Notfall hätte wenden können. Glücklicherweise musste ich die Hilfe von AFS kaum beanspruchen.

Die Organisation AFS Malaysia ist in kleinere „Unterorganisationen“, je nach Bundesstaat, aufgegliedert. Der Hauptsitz liegt in Kuala Lumpur, doch jedes eigene sogenannte „Chapter“ besitzt ein eigenes Büro. Ich war dem Chapter AFS Perak zugeteilt. Der Standpunkt des Büros befand sich in der Bundeshauptstadt und war ca. eine Stunde von meinem Einsatzort entfernt. Dort sitzt neben zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeitern der sogenannte Chapter Präsident. Er war nicht nur für mich, sondern für sämtliche Schüler und Freiwillige, die unter AFS aus allen Teilen der Welt nach Perak kamen, der erste Ansprechpartner. Über jegliche Reisen musste er informiert werden. Erst nach seinem „OK“ konnte weiter geplant werden. Sämtliche Flüge müssen im Voraus von ihm genehmigt werden, bevor sie gebucht wurden. Mein Verhältnis zu ihm war gut und ich fühlte mich durch ihn unterstützt.

Darüber hinaus organisierte AFS Perak in regelmäßigen Abständen Ausflüge, an denen alle Schüler und Freiwilligen teilnehmen konnten, aber nicht dazu verpflichtet waren. Das Ziel dieser Kurztrips war es, uns die Kultur ein Stück näher zu bringen. So besuchten wir beispielsweise eine Töpferei, in der ich mich in der traditionellen Töpferkunst ausprobieren durfte.

Ein weiterer schöner Effekt dieser Ausflüge war das Kennenlernen der AFS-Teilnehmer aus vielen verschiedenen Ländern. So knüpfte ich zum Beispiel Kontakt zu Japanern, Italienern und Spaniern. Mit ihnen wurden Erfahrungen ausgetauscht und über die Eindrücke der fremden Kultur diskutiert. Wir lachten viel und genossen das Beisammensein mit Altersgenossen. Es war spannend, zu sehen, dass sich unsere Eindrücke doch sehr voneinander unterschieden. Jeder von uns entdeckte das Land auf seine eigene Art und Weise.

Wertvolle Erfahrungen in meinem Auslandsjahr

Für mich ist Malaysia einzigartig. Einzigartig bunt, einzigartig aufregend, einzigartig spannend und einzigartig verrückt. Ich bin froh, dass ich dieses Land als mein Gastland ausgewählt habe. Innerhalb von 11 Monaten habe ich eine Menge gesehen und unfassbar viele Menschen kennengelernt.

Die Zeit, die ich im Ausland verbrachte, machte mich zu der Person, die ich jetzt bin. Ich kenne mich nun ein wenig besser. Einige meiner Denkweisen haben sich verändert, in anderen fühle ich mich nun bestärkt. Ich konnte Vorurteile abbauen und mir ein eigenes Bild über einige Sachverhalte bilden. Ich bin offener und spontaner, erwachsener und reflektierter geworden.

Aber vor Allem bin ich dankbarer geworden: dankbar für die Freiheit, die mir meine Eltern, unser Staat, unsere Kultur schenken. Dankbar, in einer Demokratie aufgewachsen zu sein. Dankbar, eine gute Schulbildung erhalten zu haben und dankbar dafür, dass ich frei über meine Zukunft entscheiden kann. Dankbar für die Chancen, die mir gegeben werden und die Privilegien, die mir zukommen.

Die Auslandserfahrungen, die ich sammeln durfte, werden mich ein Leben lang prägen. Ich will keine einzige davon missen. Ich kann abschließend sagen, dass trotz Höhen und Tiefen, zwischen Heimweh und Fernweh ich es keine Sekunde lang bereue, mich für ein Jahr im Ausland entschieden zu haben.

Selamat tinggal! (Anm.: Auf Wiedersehen!)

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