Madita, Finnland, 2015, Schuljahr im Ausland mit AFS-Stipendium:

Dank meines AFS-Stipendiums durfte ich das letzte Schuljahr in Finnland verbringen und möchte mich hiermit zuallererst bei meinem Stipendiengeber AFS-Stipendienfonds bedanken. Ich habe in Finnland ein zweites Zuhause mit einer zweiten Familie und internationale Freunde gefunden. Eine Zeit, die ich nie vergessen werde.

Als Austauschschüler nimmt man einen besonderen Platz ein. Man ist wie ein Beobachter einer fremden Welt. Einem fallen sofort Unterschiede auf, egal wie klein sie doch scheinen. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass die Regentropfen in Finnland kleiner sind als in Deutschland. Und man hat viel Zeit, um alles kennenzulernen, und viel intimere Einblicke als jeder Urlauber. Zu jedem Land gibt es Vorurteile und Stereotypen, doch mir sind ganze andere Dinge aufgefallen. Meine Gastmutter fand es witzig, wie sehr sich mein Eindruck von Finnland von dem anderer Ausländer unterscheidet. Aber ich denke, genau das ist es, was einen Austauschschüler besonders macht. Wer sonst bekommt je einen so unverfälschten Eindruck von einer anderen Kultur, wie jemand, der innerhalb einer einheimischen Familie für zehn Monate in das Leben eines Einheimischen schlüpft?

Die Jahreszeiten und die „Feierwut“ der Finnen

Natürlich gibt es einige Dinge, an die ich mich aus diesem Jahr besonders erinnere. Noch nie habe ich so krasse Unterschiede in den Jahreszeiten mitbekommen, wie in Finnland. Von minus dreißig Grad im Winter, als ich von der Schule nach Hause kam, während die Sonne in den schönsten Farben unterging und alles in weiß getaucht war, bis zu plus dreißig Grad im Sommer, wo die Sonne den ganzen Tag nicht unterging und ich noch um dreiundzwanzig Uhr einen Sparziergang hätte machen können. Diesen Unterschied erkennt man nicht nur an der Natur sondern auch bei den Menschen. Im Winter sind sie eher kalt und zurückgezogen, während sie im Sommer den ganzen Tag draußen verbringen wollen und super aufgeschlossen und fröhlich sind.

Am unerwartetsten war für mich die „Feierwut“ der Finnen. Sie suchen quasi jede Gelegenheit, um etwas zu feiern. Da wird hundert Tage vor Schulende von den Abiturienten die Schule verwüstet oder am ersten Mai (Vappu) zu hunderten draußen gepicknickt, während alle ihre weißen Studentenmützen tragen.

Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit werden in Finnland groß geschrieben

Mir sind auch einige kulturelle Unterschiede zwischen Finnland und Deutschland aufgefallen. In Finnland sind Männer und Frauen nicht nur in der Theorie, sondern auch im wirklichen Leben absolut gleichgestellt. Es ist normal, wenn der Vater zu Hause bei den Kindern bleibt und den Haushalt schmeißt, oder das beide Elternteile arbeiten gehen. Mein Gastvater beispielsweise hat immer für die Familie gekocht und für das Putzen hatten wir einen Haushaltsplan, damit alle miteinbezogen werden.

Fairness und Gleichbehandlung haben in Finnland einen extrem hohen Stellenwert, worauf die Finnen sehr stolz sind. Die gesamte Gesellschaft ist auf Gleichbehandlung ausgelegt, so muss kein Student für die Universität bezahlen, aber Reiche mehr Geld für Strafzettel als Arme. In Finnland fragen sogar die Mädchen die Jungs, ob sie beim traditionellen „Vanhojen tanssit – Tanz der Ältesten“ ihr Tanzpartner sein möchten.

Das Schulleben in Finnland

Der Umgang zwischen Schülern und Lehrern ist in Finnland anders als in Deutschland. In Finnland werden die Lehrer mit ihrem Vornamen oder einfach mit dem Wort Lehrer angesprochen. Die Klassen sind meist kleiner als in Deutschland, dadurch bekommen einzelne Schüler mehr Aufmerksamkeit. Wenn die Lehrer den Schülern Aufgaben geben, dann gehen sie durch die Reihen, um jedem bei seinen Problemen zu unterstützen. Auch haben die Lehrer im Durchschnitt ein größeres Vertrauen zu den Schülern und die Schüler somit mehr Freiheiten. In Finnland gibt es deutlich weniger Menschen als in Deutschland. Die Meisten leben in weitläufigen, aber nur schwach besiedelten Orten, dennoch kennt dort jeder jeden. Die Menschen sind sehr hilfsbereit und gehen oft freundschaftlich miteinander um. Denn Freundschaft hat in Finnland einen hohen Stellenwert. Zwar ist es schwieriger in Finnland einen Freund zu finden, da Finnen eher zurückhaltend sind, doch sobald sich ein Finne dir öffnet, kann eine jahrelange Freundschaft entstehen. Finnische Freunde stehen dir immer zur Seite, sie sind sehr hilfsbereite Menschen, auf die du dich in jeder Lebenslage verlassen kannst.

Eine Sache, die ich während meines Auslandsjahres gelernt habe, ist andere nach Hilfe zu fragen. Es ist mir viel leichter gefallen, andere darum zu bitten, mir etwas zu erklären oder mir zu helfen, wenn ich etwas nicht allein lösen konnte. Vieles war neu für mich und auch eine fremde Sprache machte diese Dinge nicht einfacher. Auch waren die Leute viel offener, etwas einmal oder sogar immer wieder zu erklären. Egal ob es darum ging, einen neuen Stundenplan zu erstellen oder um die Bedeutung von ungewohnten Traditionen. Viele meiner Mitschüler haben mir immer gerne typisch finnische Dinge erklärt.

Die Unterschiede zwischen Finnland und Deutschland

Die Finnen sind sehr bescheidene Menschen. Sie sind der Meinung, dass es nicht viel in Finnland gibt, auf das man stolz sein kann, doch über ein paar Dinge kann jeder Finne Loblieder singen. So wie über ihr weltweit anerkanntes Schulsystem. Ich hatte viele Gespräche über Deutschland mit den unterschiedlichsten Leuten, darüber was gut und schlecht ist oder einfach anders als in Finnland. Dadurch habe ich einen neuen Blick auf mein Heimatland gewonnen und auch mehr schätzen gelernt. Vieles, auf das wir Deutschen kritisch hinabblicken, wird von Ausländern wertgeschätzt.

„Es fiel mir leichter, auf fremde Menschen zuzugehen“

Etwas anderes, das mir im Ausland leichter gefallen ist, ist auf fremde Menschen zuzugehen, was ich früher nicht mochte. Und das, obwohl es eher schwierig ist mit den schüchternen Finnen in Kontakt zu kommen – besonders wenn sie gezwungen sind, auf Englisch zu kommunizieren. Sie sind jedoch sehr neugierig gegenüber Austauschschülern und so haben sich alle mit der Zeit getraut, mit mir zu sprechen. Alle wollten etwas über mich wissen. Besonders auf meine Meinung zu Finnland waren alle neugierig. Das, was mich vielleicht am meisten geprägt hat, war die Einstellung der Menschen zu Toleranz und Weltoffenheit. Meine Gastmutter hatte eine beeindruckend starke Einstellung gegen jegliche Art von Rassismus oder Homophobie, was stark auf mich abgefärbt hat. Ich hatte eine sehr gute Beziehung zu meiner Gastmutter, sie war der wichtigste Mensch für mich in diesem Jahr und hat mir viel beigebracht. Ich hätte nie erwartet, dass man in so kurzer Zeit jemanden so ins Herz schließen kann. Und auch mit dem Rest meiner Gastfamilie habe ich mich sehr gut verstanden.

Mein Rat an zukünftige AFSer

Zuletzt gibt es noch etwas, das ich zukünftigen Austauschschülern mit auf den Weg geben möchte:

Genieße jede Sekunde deines Auslandsjahres, auch die schlechten. Es wird kaum eine andere Gelegenheit in deinem Leben kommen, in der du in so kurzer Zeit so viel über dich selbst lernen wirst und so viel Selbstbewusstsein gewinnst. Im Ausland begegnest du immer wieder neuen Situationen, die dich vor Herausforderungen stellen. Aber dich selbst zu überwinden, wird dich jedes Mal stärker machen. Bald werden auch diese Dinge zur Routine. Und fühl dich nicht schuldig, wenn du von dir gesetzte Ziele nicht in diesen zehn Monaten erreichst. Du hast dein ganzes Leben dafür Zeit.

Wenn du in ein Land kommst, dessen Sprachen du nicht sprichst, sei nicht enttäuscht, wenn du nach zehn Monaten die Sprache nicht perfekt beherrschst. Jedes neu gelernte Wort ist ein Erfolg. Auch du wirst den Tag erleben, an dem du endlich mehr als einzelne Worte verstehst, ohne genau zu wissen warum, und das ist ein großartiges Gefühl. Sei nicht zu hart zu dir selbst, was Aussprache oder Grammatik angeht, die Leute werden dich trotzdem verstehen und sehr glücklich sein, dass jemand versucht ihre Sprache zu lernen. Genieße dein Jahr.

×

Hello!

Click one of our contacts below to chat on WhatsApp

×