Matthias, Italien, 2015, Schuljahr im Ausland mit Helga von Hoffmann-Stipendium:

Ich bin seit September in Italien und zwar auf Sizilien in Catania, welches nach Palermo die zweitgrößte Stadt Siziliens ist. Mir geht es gut und ich habe sehr viele interessante und schöne Erfahrungen in den letzten 4 Monaten machen können.

Meine italienische Gastfamilie

Meine Gastfamilie besteht aus meiner Mutter Laura, meinem Vater Nino und meinen beiden Gastbrüdern Giuseppe und Antonio. Antonio, der größere meiner beiden Gastbrüder macht  auch ein Austauschjahr, und zwar in China. Daher bin ich ihm noch nie in Person begegnet. Meine Eltern leiten einen kleinen Baumarkt ein wenig außerhalb der Stadt. Mein Vater ist oft nicht zu Hause, da er schon früh morgens aufstehen muss, um den Baumarkt zu öffnen. Außerdem fährt er mittags häufig Fahrrad auf dem Land. Er ist auch Hobbyjäger, weshalb er samstags oder sonntags auch selten zu Hause ist. Ich sehe ihn als einen eher ruhigen und ausgeglichenen Menschen, der gerne Witze macht.

Meine Mutter stattdessen steht später auf und bringt meinen Gastbruder und mich zur Schule, um dann meinem Vater bei der Arbeit zu helfen. Mittags kommt sie nach Hause, um zu kochen und meinen kleinen Bruder zum Turnen zu bringen. Sie ist außerordentlich gut organisiert, mag Kunst und bedauert es, zu wenig Zeit zu haben, um sich mehr mit dieser beschäftigen zu können. Stattdessen ist sie selber kreativ und macht  kleine Dinge im Haus. Zum Beispiel hat sie an Weihnachten den Weihnachtsbaum geschmückt und eine riesige beleuchtete Krippe aufgestellt.

Wie oben erwähnt turnt mein kleiner Gastbruder professionell in einer Turnhalle im Süden der Stadt. Dorthin geht er fünfmal in der Woche für vier Stunden, um sich auf Wettbewerbe in ganz Sizilien vorzubereiten. Er ist dementsprechend muskulös und beherrscht Dinge wie einen Flickflack oder einen Vorwärtssalto aus dem Stand. Manchmal komme ich mit ihm mit in die Turnhalle. Zu Hause verbringt er einen Großteil seiner Freizeit damit, Playstation zu spielen oder notgedrungen für die Schule zu lernen. Er ist ein anhänglicher Mensch, allerdings übernimmt er in wichtigen Situationen auch mal die Verantwortung, vor allem, wenn es um Kinder geht.

Italienisch-Fortschritte

Wie für viele der Austauschschüler, die ich kenne, war auch für mich die erste Zeit in Italien am schwierigsten. Ich verstand das wenigste von dem, was um mich herum geredet wurde und war verwirrt von den vielen neuen Erfahrungen und Erlebnissen, die ich machte. Als ich im Flughafen ankam wollte meine Gastmutter ein gemeinsames Familienfoto machen und ich brauchte eine ganze Weile bis ich das verstand. Zu Hause angekommen zeigte sie mir die Wohnung, die ein Apartment in einem Mehrfamilienhaus ist, und erklärte mir, was ich im Haus zu tun habe. Dafür brauchte sie noch viel länger, als für das gemeinsame Foto. Schließlich fingen wir dann an, mein Handy als Übersetzer zu benutzen.

Nach zwei Tagen störte es mich so extrem, fast nichts auf Italienisch zu verstehen, dass ich meine Familie fragte, ob ich in meinem Zimmer Italienisch lernen könne. In den Tagen darauf machte ich extreme Fortschritte, sodass ich einigermaßen mit meiner Familie kommunizieren konnte.

Den Kulturschock bemerkte ich eher unterschwellig

An diesem Punkt begann ich auch den Kulturschock stärker wahrzunehmen, da ich  zuvor das Verhalten meiner Gastfamilie weniger verstehen konnte. Merkwürdigerweise bemerkte ich es auf weniger direkte Weise, dass ich sofort hätte sagen können welche kulturellen Sitten jetzt genau auf Deutschland und welche auf Italien zutreffen. Stattdessen merkte ich eher unterschwellig, wie ich manchmal verwirrt oder genervt von der Art und Weise war, wie manche Leute sich verhielten. Mit der Zeit begann ich mich daran zu gewöhnen und die Unterschiede besser zu verstehen. Auch wenn ich bis heute noch nicht alles nachvollziehen kann.

Meine Gastmutter half mir bei fast allen Dingen

Die größten Unterschiede, die ich bemerkt habe, war der Respekt gegenüber Erwachsenen und deren Verhalten gegenüber Jugendlichen. Der Umgang mit fremden Personen und die Vorsicht, mit der die Leute dem Leben in der Stadt begegneten, war deutlich zu erkennen

Während in Deutschland viele Jugendliche mehr oder weniger als selbständig gelten, sind die meisten italienischen Eltern wesentlich besorgter um ihre Kinder. Ich denke, dass das  sicherlich auch mit der  Gefahr im Alltag zusammen hängt, die auf Sizilien wesentlich größer schien, als in meiner Heimatstadt. Eltern geben sich Mühe, die Familie zusammenzuhalten, was zur Folge hat, dass man sich innerhalb der Familie viel mehr sieht und mehr zusammen erlebt, anstatt dass jeder sein eigenes Leben führt. Allerdings führt das auch dazu, dass man weniger persönliche Freiheiten hat.

Kinder und Jugendliche in meinem Alter müssen weniger im Haushalt tun und es wird mehr für sie getan, was auch wohl einer der Gründe ist aus denen sie für weniger selbständig gehalten werden. Dies war eines der Dinge, mit denen ich zu Beginn am meisten  zu kämpfen hatte. Meine Gastmutter half mir bei fast allen Dingen, die ich regeln musste, ob es ein Fußballspiel mit Freunden oder eine Schulbescheinigung war. Bei allem war sie dabei und das, obwohl sie für italienische Verhältnisse ihren beiden Söhnen in der Regel sehr viel Freiraum lässt. Nachdem ich ihr sagte, dass ich auch gerne alleine Dinge regeln würde, ließ sie mich nach einiger Zeit tatsächlich den Großteil meiner Aufgaben alleine bewältigen.

Mein Verhalten außerhalb der Familie musste ich weniger umstellen als ich am Anfang gedacht hatte, da sich Jugendliche untereinander  überall  recht ähnlich ausdrücken. Die Themen in den Gesprächen zwischen den meisten Jungs sind wie bei mir zuhause Fernsehen, Sport, Schule und Mädchen. Der größte Unterschied ist, dass man sich hier eher nach der Schule zum Essen als gemeinsam zu Hause trifft.

Ich habe mich verändert – und meine Gastfamilie schaut jetzt weniger fern

Innerhalb meiner Gastfamilie und im Umgang mit meinen Lehrern  habe ich mich sehr verändert. Der erste Grund dafür ist, dass in vielen Orten Italiens erwartet wird, dass Jugendliche Erwachsenen gegenüber automatisch ein ganzes Stück mehr Respekt entgegenbringen als Gleichaltrigen. Etwas, was es in Deutschland auch gibt,  aber weniger verbreitet ist. Darum werden auch kleinere Ratschläge, wie zum Beispiel zur Mode, von den Eltern in der Regel immer befolgt. Meine leiblichen Eltern allerdings wollen normalerweise gar nicht mit solchen Dingen beschäftigt werden. Es regte mich zu Beginn extrem auf, Ratschläge  befolgen zu müssen, deren Sinn ich nicht sah, auch wenn er teilweise existierte. Dass ich mich jetzt daran mehr oder weniger angepasst habe, hat mir auch geholfen, Ratschläge von anderen leichter anzunehmen, eine Sache, mit der ich in Deutschland Probleme hatte.

Man guckt in Italien weit mehr Fernsehen als in Deutschland. Meine Familie hat gar keinen Fernseher, hier in Catania wird er zu jeder Mahlzeit eingeschaltet. Der Unterschied ist für mich noch stärker, schließlich besitzt auch in Deutschland ein Großteil der Familien einen Fernseher. Mittlerweile habe selbst ich mich ganz gut an den Fernseher gewöhnt und gucke selber ab und zu mit meiner Familie. Interessanterweise habe aber auch ich auf sie abgefärbt. Sie sagen, dass sie viel weniger Fernsehen gucken würden als früher.

In der Schule hatte ich zu Beginn Probleme, meine Lehrer zu verstehen, weil sie über Themen sprachen, deren Wörter ich auf Italienisch noch nicht kannte. Mit meinen Klassenkameraden habe ich mich aber gut verstanden, was bis heute andauert, auch wenn ich am Anfang Probleme mit den kulturellen Unterschieden hatte.

Unterstützung durch AFS

Nach einem Monat, wenn normalerweise das erste Tief des seelischen Wohlbefindens sein kann, fuhren alle AFS Austauschschüler auf Sizilien nach Palermo zu einem AFS-Camp. Das Camp war dazu gedacht, uns bei unseren anfänglichen Problemen zu helfen.

Dort wurden uns  Fragen zu unserer Gastfamilie gestellt und die Ehrenamtlichen haben mit uns verschiedene kulturelle Spiele gespielt. Außerdem gab jeder Austauschschüler ein Interview mit einem persönlichen Teamer, der uns daraufhin  diesbezüglich Ratschläge gab, falls wir ein Problem hatten, mit denen wir nicht umzugehen wussten. Das half mir sehr, das Problem der eingeschränkten Selbständigkeit zu lösen, indem ich einfach mit meinen Gasteltern offen darüber sprach.

Seither habe ich viele Dinge mit den anderen AFSern unternommen. Wir sind Paintball spielen gegangen, haben gemeinsam Filme gesehen, sind auf AFS-Partys  gegangen und haben oft miteinander gegessen. Zusammen mit der Reise, die ich mit meiner Familie nach Rom unternommen hatte, die schönsten Erlebnisse, die ich bis jetzt gemacht habe. Ich habe mit meinen Hobbys, die ich in Deutschland  hatte, wieder angefangen. Ich ging ins Fitnessstudio, kaufte mir einen Bass, und übte Gitarre auf der alten Gitarre meines Gastbruders. Das Fitnessstudio habe ich  aufgrund von zu viel Arbeit in der Schule vorübergehend abgebrochen, doch ich habe jetzt das Gefühl, allmählich gut Fuß zu fassen.

Mein Rat an zukünftige AFSerinnen und AFSer

Zum Abschluss habe ich selber drei gutgemeinte Ratschläge für zukünftige AFSer:

Versucht bitte am Anfang nicht zwanghaft, viel zu viel unternehmen zu wollen, sondern sucht euch etwas, was ihr erst einmal für euren Alltag braucht. Nachdem ihr in eine Welt gekommen seid, in der ihr erstmal ohne Freunde und Hobbys dasteht. Ihr braucht eine „Base“, bevor ihr euch großen Dingen wie selbstorganisierten Reisen zuwendet, sonst erschöpft ihr euch bloß selbst.

Am Ende seid es immer ihr, die ihr entscheidet, was ihr tun wollt. Das gilt nicht für das Leben in eurer Familie, sondern für das was ihr in eurem Auslandsjahr unternehmen wollt.

Lasst euch in eurem Verhalten so wenig wie möglich von dem Kulturschock beeinflussen, sonst stoßt ihr viele Leute, denen ihr begegnet, und die vielleicht stolz auf ihr Land sind, vor den Kopf. Und das nur, weil ihr euch noch nicht an ihre Sitten gewöhnen konntet.

Damit beende ich meinen Bericht zur Halbzeit meines Auslandsjahres. Ich hoffe er hat Ihnen/euch gefallen.

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