Amelie, Chile, 2017, Schuljahr im Ausland mit AFS-Stipendium:

Anfang August 2017 war es für mich soweit. Ich konnte meinen Traum verwirklichen und ein Jahr lang auf einem fremden Kontinent, in einem fremden Land, mit einer fremden Sprache und noch unbekannten Leuten verbringen. Als ich in mein Abenteuer startete hatte ich noch gar keine Spanischkenntnisse, das war also ein richtiger Sprung ins kalte Wasser. Zum Glück wurde ich von einer total netten Gastfamilie aufgenommen, die schon bald nicht mehr fremd war und mir mit meinen ersten Worten auf Spanisch geholfen hat. Mit meiner Gastfamilie lebe ich in Copiapó. Die 170.000-Einwohner Stadt liegt im Norden Chiles, in der trockensten Wüste der Welt – der Atacama Wüste. Meine Gastfamilie besteht aus meinen Gasteltern und meinen beiden Gastschwestern.

Was in Chile neu für mich war

In Chile angekommen, fühlte ich mich erst einmal wie ein kleiner Außerirdischer, der zum ersten Mal auf der Erde gelandet ist und wahrscheinlich wirkte ich durch mein Aussehen auch für die Chilenen wie ein Fremdkörper zwischen den ganzen braun-gebräunten Latinos. An jeder Ecke konnte man was Neues entdecken und trotzdem war ich überrascht, dass vieles europäischer war als ich es erwartet hatte.

Der große Unterschied zwischen meinem neuen Zuhause und meiner Heimat in Deutschland haben die „kleinen Dinge“ gemacht. Begonnen mit den Straßen, welche meistens gepflastert sind und demnach öfters ein bisschen holprig. Neben den besonderen Fahrkünsten der Chilenen gibt es an fast jeder Ampel Künstler die mit Bällen, Feuer oder anderen Attraktionen eine sehenswerte Show präsentieren. Was auf den Straßen leider auch viel zu oft zu sehen ist sind streunende Hunde und Müll aller Art soweit das Auge reicht.

In meinem neuen Zuhause sind es ebenfalls die kleinen Dinge, die anfangs ungewohnt waren. Dazu gehört die Art das Bett zu machen, dass man nicht aus dem Wasserhahn trinken darf, manchmal einfach stundenlang gar kein fließendes Wasser zu Verfügung steht oder während dem Essen hektische Talkshows im Hintergrund laufen. Außerdem betrat ich in meiner ganzen Zeit noch kein einziges Haus, in dem man sich die Schuhe auszieht. Das sind nur einige Gewohnheiten, die für Deutsche fremd erscheinen, doch für Chilenen ganz normal sind. Normalität in Chile ist außerdem, dass alles ein bisschen langsamer abläuft – egal ob der Einkauf im Supermarkt oder eine Wartezeit von 15 Minuten, die hier gar nicht der Rede wert ist. Wo wir in Deutschland schon unhöflich wirken wenn wir 10 Minuten zu spät zu einem Termin erscheinen, ist es hier Alltag, dass alles grundsätzlich eine Stunde später anfängt als geplant. Die Chilenen sind halt ziemlich „gechillt“.

Die größte Umstellung war, dass ich nun kein eigenes Zimmer mehr habe

Aber an all diese Dinge gewöhnt man sich schnell. Nach ein paar Monaten fällt einem der Müll auf den Straßen gar nicht mehr auf und es ist einem bewusst, dass man auch für einen „schnellen Einkauf“ nicht unter einer Dreiviertelstunde aus dem Supermarkt rauskommt. Ich, als blondes und blauäugiges Mädchen, musste mich auch daran gewöhnen, dass man immer von irgendjemandem neugierige Blicke zugeworfen bekommt oder dass einem sogar das ein oder andere Mal nachgepfiffen wird. Dass kleine Kinder meine Haare anfassen wollen und ich auf Partys nach Selfies gefragt werde, war anfangs ungewohnt; zwischenzeitlich auch mal ganz lustig. Dennoch ist es öfters auch etwas nervig, doch das sind Dinge, an die ich mich auch für die nächsten Monate gewöhnen sollte.

Andere Dinge sind für mich auch noch nach 5 Monaten manchmal schwer zu verstehen. Zum Beispiel, dass man seine Kinder ungern alleine zu Hause lässt während man einkaufen geht; aber auch, dass wir nicht mit dem Fahrrad in die Schule fahren dürfen, da dies zu gefährlich ist. Der grundsätzliche Eindruck den ich von Chile dennoch bekommen habe ist, dass die Chilenen eine sehr offene und lebensfreudige Art haben. Außerdem sind sie ziemlich stolz auf ihre Nationalität und sie lassen sich von nichts und niemand stressen.

Ich musste mich in meinem Alltag nicht sehr groß umstellen. Die größte Umstellung war, dass ich nun kein eigenes Zimmer mehr habe, sondern dies mit meiner Gastschwester teile. Außerdem musste ich mich erst noch dran gewöhnen, dass ich hier nicht so viel „Bewegungsfreiheiten“ habe, da ich (gerade anfangs) nirgends alleine hingehen durfte und immer mit dem Auto gefahren wurde. Der letzte Punkt, in dem ich mich umstellen musste, war das Essen. In meiner Gastfamilie essen wir nämlich immer erst sehr spät abends.

Alle Klassenzimmer sind mit modernster Technik ausgerüstet

Das Leben der Jugendlichen in Chile unterscheidet sich prinzipiell nicht sehr von dem der Jugendlichen in Deutschland. Grundsätzlich machen sie das Gleiche, wie zum Beispiel sich mit Freunden treffen, shoppen, ins Kino gehen oder auf eine Party gehen.

Ein Erlebnis, welches ich bis zu meiner Rückkehr in Deutschland sicherlich nicht vergessen werde, ist mein erster Schultag in Chile. Anfangs war ich ziemlich aufgeregt, doch durch die Gastfreundschaft meiner Mitschüler und Lehrer verflog die Aufregung schnell. Besonders beeindruckt war ich von den krassen Gegensätzen. Die Möbel und auch das Gebäude sind teilweise sehr heruntergekommen, aber dennoch sind alle Klassenzimmer mit modernster Technik ausgerüstet (z.B. Smart-/White-boards).

Jeder Tag ist ein kleines Abenteuer auf der großen Reise

Ein Jahr von zu Hause weg zu sein bedeutet natürlich auch mal die eine oder andere Stunde, in der man vom Heimweh geplagt wird. An Tagen, an denen man krank im Bett liegt, ist das dann nochmal verstärkt der Fall. Dennoch gibt es nicht viel von diesen Tagen und sobald man dann wieder aufs Neue die Schönheit Chiles während eines Ausflugs betrachtet, will man sich gar nicht mehr vorstellen in wenigen Monaten schon wieder nach Deutschland zurückzugehen.  Was Naturvielfalt angeht ist Chile wohl kaum zu schlagen. Von Gletscher in Patagonien, über riesige Weinberge bis zur trockenen Wüste im Norden gibt es in Chile alles zu bestaunen. Gleich in meiner ersten Woche hier hatte ich das Glück die „desierto florido“ (blühende Wüste) bestaunen zu dürfen. Das ist ein einzigartiges Naturschauspiel – Blumenwiesen soweit das Auge reicht in unterschiedlichen Farben und Formen und das in der Wüste! Außerdem hatte ich die Möglichkeit mit meiner Klasse in den Süden Chiles und Argentiniens zu fahren und so die Natur am unteren Ende Südamerikas kennenzulernen. Auch das chilenische Essen muss man einfach probiert haben. Da gibt es zum Beispiel das „asado“, das heißt eine reich bestückte Grillmahlzeit, oder die „empanadas“, die typisch chilenisch gefüllten Teigtaschen.

Rundum gibt es fast jeden Tag etwas Neues zu lernen und jeder einzelne Tag ist immer wieder ein kleines neues Abenteuer in der großen Reise. In einem Auslandsschuljahr erlebt man viele schöne Momente, ob man sie mit der Familie zuhause oder im Urlaub erlebt, mit den Klassenkameraden auf einer super gelungen Party, auf Klassenfahrt oder mit Freunden im Stadtzentrum.

Ich habe gelernt, Dinge mit anderen Augen zu betrachten

Doch mein positivstes Erlebnis zu beschreiben fällt mir sehr schwer – da es nicht nur ein perfektes Erlebnis gab, sondern eine ganze Menge schöner Erlebnisse. Neben all den schönen Erlebnissen kann ich sagen, dass ich eine wichtige und schöne Erkenntnis bereits gesammelt habe:

Ich habe es zu schätzen gelernt, wie schön es doch bei mir zu Hause mit meiner Familie ist und wie glücklich wir uns in Deutschland schätzen können. Angefangen von einer kleineren Kriminalitätsrate, bis zu sozialen Sicherheit und ganz Besonders das Bildungssystem. Allerdings macht mich diese Erkenntnis auch ein bisschen traurig,
aber ich habe gelernt, Dinge mit anderen Augen zu betrachten. Zum Beispiel werde ich mein großes Zimmer in Deutschland nun mit anderen Augen sehen, da ich hier schon in einem ähnlich großen Raum stand, dieser war allerdings der Wohnraum von 5 Personen mit einem 3 Monate alten Baby. Und trotzdem haben diese Menschen so eine positive Einstellung und Offenheit, dass sie mich mit meiner Familie (d.h. weitere 5 Personen) in deren Haus zu einem leckeren „asado“ eingeladen haben.

Nun denkt man eventuell, ich bin ein verwöhnter Teenie aus Deutschland, dem nie bewusst war, dass in anderen Ländern andere Lebensbedingungen herrschen und sein Zuhause immer als total selbstverständlich betrachtet hatte. Dies ist allerdings nicht der Fall. Bis ich hier nach Chile kam, dachte ich immer mir wäre bewusst, wie gut wir es haben. Mir war klar, dass Strom, fließend Wasser, ein voller Kühlschrank oder überhaupt ein Dach über dem Kopf nicht in dem Leben jedes Menschen selbstverständlich sind. Aber durch alles, was ich hier gesehen und erlebt habe, wurde nochmal ein „Schalter umgelegt“, durch den es mir wirklich richtig bewusst wurde, wie dankbar wir für jede Selbstverständlichkeit sein sollten. Allein für diese Erkenntnis hat sich mein Auslandsjahr sehr gelohnt und ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung.

Mein Auslandsjahr wird mich mein Leben lang im positiven Sinne begleiten

An dieser Stelle möchte ich mich bei dem AFS-Stipendienfonds bedanken. Durch das Teilstipendium von AFS konnte ich mein Traum vom Auslandsschuljahr in Chile wahr werden lassen. Ich kann jedem Jugendlichen nur empfehlen, ein Auslandsschuljahr zu machen, da es eine einmalige Chance ist, eine neue Kultur kennenzulernen. Ich rate jedem, der die Möglichkeit hierzu hat, mutig zu sein und diesen Schritt in ein anderes Leben zu wagen; denn mein Auslandsjahr wird mich mein Leben lang im positiven Sinne begleiten.

Ich freue mich schon darauf, in ein paar Monaten meinen Abschlussbericht verfassen zu dürfen – obwohl ich auch ein wenig traurig bin, dass die Zeit so schnell vorbeigeht!
Saludos Amelie

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