Verena, Lettland, 2012, Schuljahr im Ausland mit Baden-Württemberg-Stipendium:

Vor fast genau einem Jahr war ich noch gespannt, was mich wohl erwartet, wenn ich endlich in das Flugzeug nach Lettland steige. Wie meine Gastfamilie ist und wie sie wohnt. Wie ich in der Schule zurechtkommen werde und ob ich schnell Freunde finde. Wie ich wohl meine Freizeit verbringen werde. Bis ich im Flugzeug saß, habe ich aber noch nicht wirklich verstanden, was ich da mache. Jetzt sitze ich ein Jahr später hier und kann kaum glauben, dass das alles wirklich passiert ist. Die Erfahrungen habe ich sicher noch nicht in vollem Umfang verstanden und verarbeitet.

Ich weiß noch, wie ich am ersten Abend in der Gastfamilie auf meinem Bett saß, geweint habe und dachte, was tu ich hier, wie soll ich das schaffen? Mit Hilfe meiner Gastfamilie habe ich mich aber eingewöhnt und konnte irgendwann ganz entspannt auf dem Sofa liegen oder mich selbst am Kühlschrank bedienen. Das sind Sachen, die ganz normal sind aber wenn man in einer Gastfamilie lebt, ist man am Anfang oft unsicher und befangen. In meiner Gastfamilie war die Rollenverteilung total anders als ich es von den meisten Familien in meinem Bekanntenkreis und meiner eigenen kannte. Mein Gastvater war Sportlehrer und immer nachmittags schon zu Hause. Er war dann einkaufen, hat gekocht, die Wohnung geputzt. Meine Gastmutter war IT-Spezialistin und hat oft bis spätabends gearbeitet. Zu meinem Gastbruder hatte ich ein schwieriges Verhältnis. Er ist 10 Jahre alt und als ich kam, musste er zum ersten Mal seine Eltern „teilen“, das war nicht immer leicht.

Man muss auf die Leute zugehen

Mit meinen lettischen Klassenkameraden war es am Anfang auch nicht ganz einfach. Man muss auf die Letten zugehen, um mit ihnen in Kontakt zu kommen, da sie zunächst eher verschlossen sind. Als ich aber ein bisschen lettisch sprechen konnte, waren die meisten gleich viel aufgeschlossener. Freunde finden ist in Lettland nicht leicht aber wenn man es geschafft hat, sind es wirklich gute Freundschaften.

Die Letten verbringen viel Zeit in der Schule und viele von ihnen singen in ihrer Freizeit in einem Chor, spielen in einem Orchester oder tanzen in einer Volkstanzgruppe. Die Letten sind wirklich ein singendes, spielendes und tanzendes Volk. Ich hatte das große Glück in meinem Austauschjahr das spektakuläre Sängerfest zu sehen, das in Lettland alle 5 Jahre stattfindet. Das war ein ganz besonderes und ergreifendes Erlebnis. Am Anfang des Austauschjahres hat mir Deutschland sehr gefehlt. Ich hatte immer den Drang, in der Stadt die deutschen Touristen anzusprechen und mich mit ihnen zu unterhalten. Am Ende wollte ich nicht als Deutsche erkannt werden und habe mit meinen Freunden dann lettisch geredet. Die Letten sind sehr patriotisch und ich fühle mich nach den 11 Monaten in Lettland sehr mit dem Land und seinen Menschen verbunden.

Ich sehe jetzt Deutschland anders

Die Zeit im Ausland hat mir ermöglicht, Deutschland anders, bewusster und deutlicher zu sehen. Für mich selbst zu erkennen, was das für ein Land ist, aus dem ich komme und sich damit verbunden zu fühlen. Am Anfang mehr, am Ende weniger und jetzt mit zwei Nationen. Ich möchte mich herzlich bedanken bei meinem Stipendiengeber, der Baden Württemberg Stiftung, die mir dieses Jahr ermöglicht hat.

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