Helke, Lettland, 2013, Schuljahr im Ausland mit Mittelosteuropa-Sprachstipendium:

„Labdien“ – „Guten Tag“, bis vor etwa einem Monat habe ich so jeden begrüßt. Ganz glauben, dass mein Auslandsjahr vorbei ist, kann ich noch nicht. Das Jahr ist viel zu schnell vergangen. In Lettland habe ich viel Neues gesehen, bin in die lettische Kultur eingetaucht und habe viele Menschen kennengelernt. Für diese Möglichkeit und die einzigartigen Erfahrungen, die ich gesammelt habe, möchte ich mich herzlich bei der Dieter Schwarz Stiftung bedanken. Sie haben mir ein wunderbares Jahr ermöglicht, das ich nie vergessen werde.

In Lettland habe ich eine zweite Heimat gefunden. Doch habe ich in dem Jahr auch gemerkt, was ich alles in Deutschland habe, und wie gut es uns geht. Über Lettland und Deutschland habe ich viel gelernt. So merkt man, dass manche Klischees über Deutsche wirklich zutreffen. Wir sind pünktlich und legen auch großen Wert darauf. In Lettland wurde darauf nicht ganz so penibel geachtet. Tischmanieren, die hier bedeutsam sind und jeder von klein auf lernt, sind dort nur halb so wichtig. In der Schule und bei meiner letzten Gastfamilie gab es keine Messer, man aß einfach nur mit Gabel oder Löffel. Essen war Nahrungsaufnahme, welche man oft möglichst schnell hinter sich bringen wollte. Im Laufe des Jahres habe ich mich immer mehr mit Lettland, den Letten aber auch mit Deutschland verbunden gefühlt.

Lettische Feste, Nationalfeiertage und Bräuche

Durch die verschiedenen lettischen Feste, Nationalfeiertage und Bräuche, die ich kennengelernt habe, fühlte ich mich immer mehr als Lettin und fing an die Letten besser zu verstehen. Den Tag der Ausrufung der Republik mitzuerleben, war schön und für mich etwas ganz Neues. Schon eine Woche vor dem Feiertag wurden überall Fahnen aufgestellt. Es gab auch viele Konzerte, Theaterstücke und Tanzaufführungen. Mit der Schule fuhren wir zu einer „Rockoper“, mit meiner Familie ging ich zu einem Konzert und mit Freundinnen zu einer großen Tanzaufführung. Auf der Straße sah man immer mehr Leute mit Ansteckern in den Farben der lettischen Fahne. Diese Vorfreude auf „den großen Tag“ und den starken Nationalstolz der Letten auf ihre Unabhängigkeit fand ich faszinierend. Es war ansteckend.

Ligo und Jani, das Fest zur Sommersonnenwende

Ligo und Jani, das Fest zur Sommersonnenwende war ein großartiges Erlebnis. Von vielen hatte man schon etwas von diesem großen Fest gehört und war gespannt, wie es sein würde. Der längste Tag des Jahres wurde von allen gefeiert. Die Mädchen und Frauen und auch manche Jungen und Männer banden sich Blumenkränze um. Ich lernte, dass jede Blume eine andere Bedeutung hatte. Mein Kranz bestand aus einer Blumenart, die für Kommunikation steht. Manche hatten sogar ihre Autos mit Eichenzweigen geschmückt. Abends kamen viele Leute bei uns vorbei und wir grillten gemeinsam. Es wurde ein Feuer gemacht und Lieder gesungen. Bei meiner Familie waren es christliche Lieder, da sie sehr gläubig sind. Mit einer Freundin ging ich zu Nachbarn. Dort sangen und tanzten wir zu typischen Jani und Ligo Liedern. Außerdem sprangen wir über ein kleines Feuer. Dies sind Erlebnisse, von denen ich gerne erzähle und die meiner Meinung nach „ typisch lettisch“ sind. Hinzu kommen noch viele Kleinigkeiten im Alltag und andere Feste, Ausflüge und Familienfeiern, die anders ablaufen als man es gewohnt ist.

Die Schule

Das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern ist einerseits lockerer als hier andererseits aber auch traditioneller. So werden die Lehrer zwar mit Vornamen angeredet. Aber zur Begrüßung oder wenn ein Lehrer den Raum betritt, erheben sich alle. Im Unterricht muss sich auch niemand melden, da man entweder einfach los redet oder vom Lehrer drangenommen wird. Noten wurden zwar nicht direkt ausgehängt, doch konnten oft alle sehen, wo die anderen Schüler stehen. Die Schulnoten wurden nicht so geheim gehalten wie in Deutschland.

Land und Leute

Kulturelle Veranstaltungen sind dort sehr beliebt und auch nicht so teuer wie hier. So war ich ein paar Mal in der National Oper, mit der Gastfamilie bei Konzerten und im Theater. Zu diesen Anlässen zogen sich alle elegant an. Die Frauen hatten Kleider und hochhackige Schuhe an und die Männer Hemd oder Anzug. Diese Art des Zurechtmachens ist meiner Meinung nach manchmal lohnenswert und ich fände es schön, sich auch in Deutschland zu manchen Anlässen so zurecht zumachen. Es wird auch viel öfter „ Danke“ gesagt. Vor dem Essen wird sich nicht oft Guten Appetit gewünscht, sondern nach dem Essen bedankt man sich. Zunächst verstand ich nicht an wen der Dank gerichtet ist. Man bedankt sich bei dem Koch für das gute Essen. Bei dem Busfahrer wird sich auch immer bedankt. Dies finde ich sehr höflich und denke man könnte sich in Deutschland öfter bei Leuten bedanken und es nicht einfach als Selbstverständlichkeit hinnehmen.

Die Geschlechterrollen

Die Rollenverteilung in Lettland ist, wie auch in Deutschland, in jeder Familie anders. Doch kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass es oft vorkommt, dass die Frau dominanter ist. In zwei von den drei Gastfamilien, in denen ich lebte, war die Gastmutter die bestimmende und richtungsweisende Person. In der letzten Familie waren beide gleichberechtigt. Das Frauenbild in Lettland ist anders als in Deutschland. Frauen tragen eindeutig weniger Hosen und sehr viel mehr Kleider und hochhackige Schuhe als man es hier tut. Männer verhalten sich dort eindeutig wie das stärkere Geschlecht. Sie halten Türen auf und lassen Frauen und Mädchen zuerst einen Raum betreten. Es lässt sich also sagen, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau mehr beachtet werden und sie eine traditionellere Sichtweise haben aber dennoch meist Frauen „die Hosen anhaben“.

„In Lettland fand ich eine neue Heimat.“

Die zehn Monate in Lettland sind unglaublich schnell vergangen. Jeden Tag gab es neue Erlebnisse, ich traf viele Leute aus unterschiedlichen Ländern, lernte eine neue Sprache, machte gute wie schlechte Erfahrungen, aus denen ich lernte und fand eine neue Heimat.

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