Mein Name ist Anouk und zurzeit verbringe ich, unter anderem dank AFS, ein Schuljahr in Peru, einem der, zumindest in meinen Augen, bis jetzt vielfältigsten Ländern dieser Erde. Ich möchte nicht sagen, dass die vergangenen sechs Monate die Schönsten meines Lebens waren, aber zumindest die bis jetzt ereignisreichsten.
Die Anreise ins Austauschjahr
Am 05. August 2015 startete ich also gemeinsam mit elf anderen Jungen und Mädchen meine Reise zunächst von Frankfurt nach Miami und zugegebener Maßen war ich aufgeregter als erwartet. Bereits Tage vorher machte ich mir zahlreiche Gedanken über meine neue Familie, meine neue Schule, meine neuen Freunde und mein neues Leben am anderen Ende der Welt. Als wir dann in Miami unseren Anschlussflug nach Lima trotz sehr kurzer Umstiegszeit erwischt hatten, waren wir beruhigt und aufgrund der ganzen Aufregung verschlief ich beinahe den kompletten Flug.
In den frühen Morgenstunden landeten wir dann in Perus Hauptstadt Lima und nach den einen oder anderen Komplikationen am Flughafen konnten wir uns endlich auf den Weg ins Arrival-Camp begeben, wo wir die nächsten beiden Tage verbringen sollten. Noch etwas erschöpft von der langen Reise und aufgrund der wenig bis gar nicht vorhandenen Spanischkenntnisse blieb offen gestanden nicht allzu viel von dem, was die sehr bemühten Betreuer vor Ort versuchten uns nahezulegen, hängen. Nach zwei trotzdem sehr schönen und lehrreichen Tagen in der Hauptstadt machten wir uns alle auf den Weg zu den im ganzen Land verteilten Städten, in denen wir also die nächsten elf Monate verbringen sollten.
Erste Eindrücke von Peru
Gemeinsam mit drei anderen Schülern und einem Betreuer setzte ich mich in den Bus und wir machten uns auf den Weg nach Chincha, einer 200 km südlich von Lima gelegenen Kleinstadt an der „Costa“ Perus. Viel wusste ich angesichts der Tatsache, dass dort mein neues Leben beginnen sollte, zu dieser Zeit noch nicht. Ich hatte im Internet nach Informationen gesucht aber auf viel mehr als die Begriffe „afro-peruanischer Teil des Landes“ und „durch den Verkehr der Panamerikana geprägte Küstenstadt“ war ich nicht gestoßen und so ließ ich mich überraschen. Gegen Abend kamen wir dann an und zugegebener Maßen war ich förmlich alles andere als begeistert. Dreckige Straßen, auf denen beinahe mehr Hunde als Menschen anzutreffen waren, und die lediglich erfüllt von den kleinen Motortaxis und hupenden Colectivos waren, welche den katastrophalsten Verkehr bildeten, den ich je in meinem Leben gesehen hatte. Außerdem fehlte mir das Grün, als Dorfkind aus dem deutschen Odenwald an dem offensichtlich dreckigsten Ort dieser Erde. Die wenige Natur, die wir auf der Fahrt zu sehen bekamen, bestand lediglich aus einigen staubigen Palmen und ansonsten aus trockener Erde und Gestrüpp. Mehr oder weniger begeistert warteten wir dann am Busplatz auf das erste Zusammentreffen mit unseren Gastfamilien, welches sich dank der peruanischen Pünktlichkeit allerdings noch etwas herauszögern sollte.
Meine peruanische Gastfamilie
Nachdem unsere peruanischen Familien den Weg zu uns gefunden hatten, trennten sich also unsere Wege und jeder war nun irgendwie auf sich gestellt. Es vergingen zwei für mich sehr frustrierende Tage in der Familie, da sie mich genauso wenig verstanden, wie ich sie, und ich mir trotz dem zugesprochenen Mut anderer Gastschüler, welche diese Erfahrung bereits gemacht hatten, in diesem Moment beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie das je besser werden sollte.
Meine Familie hier in Peru besteht aus meinen beiden Gasteltern, die eher zur oberen Mittelschicht Perus gehören. Mein Papa ist ein ruhiger angenehmer Zeitgenosse, der Momente mit der Familie sehr schätzt und eine Menge über sein Land und dessen Leute weiß. Meine Mutter dagegen würde ich eher als temperamentvolle Latein-Amerikanerin beschreiben, an deren Persönlichkeit ich mich lange gewöhnen musste. Es brauchte die ersten paar Monate, bis ich verstand, dass alles was sie sagte nur halb so schlimm war, und desto besser ich lernte, mir all dies nicht so sehr zu Herzen zu nehmen, desto besser wurde unser Verhältnis. Da meine beiden Eltern viel arbeiteten, verbrachte ich jedoch abgesehen von den Wochenenden, an denen Zeit für die Familie gefunden wurde, den Hauptteil meiner Zeit mit meinen beiden Geschwistern.
Meine Gastschwester wurde gerade 17, mit ihr ging ich zudem in eine Klasse. Mein Bruder ist 12 und dementsprechend noch sehr kindlich. Trotz den ein oder anderen Differenzen, und der Tatsache, dass meine Schwester und ich eigentlich von Grund auf zwei vollkommen unterschiedliche Menschen sind, war sie immer zur Stelle, wenn ich etwas brauchte, wofür ich ihr auch heute immer noch sehr dankbar bin. Ob es die sprachlichen Schwierigkeiten waren oder andere Anliegen, die ich hatte, bei ihr fand ich – zwar mal früher mal später – aber letztendlich immer eine Schwester. Und die Unzuverlässigkeit kann man weder ihr noch dem Rest des Landes persönlich nehmen, da es einfach einen gewissen Teil der Kultur ausmacht. Auch bei unserem Verhältnis kann ich, wie in vielen Situationen, sagen, dass sich etwas investierte Zeit und Bemühungen früher oder später immer auszahlen.
Die Schule
Nach den ersten zwei Tagen begann also mein Schulleben, welches sich trotz anfänglicher Vorfreude zunächst als noch frustrierender darstellen sollte, als das Leben zu Hause. Ich saß also fünf Tage die Woche in dem Klassenzimmer des Abschlussjahrganges einer katholischen Privatschule, welche auch meine beiden Geschwister besuchten, und verstand genau Null von dem, was um mich herum geschah. Meine Klasse war genauso euphorisch und laut, wie fast jeder andere Jugendliche dieses Landes, und um ehrlich zu sein, wusste ich alles andere als damit umzugehen. Aufgrund der Lautstärke und der verzweifelten Versuche, acht Stunden täglich nach den wenigen mir bekannten Wörtern zu filtern, in allem was ich hörte, kam ich eigentlich immer komplett erschöpft und mit Kopfschmerzen nach Hause, sodass mir nicht viel mehr übrig blieb, als mich ins Bett fallen zu lassen. Somit lebte ich, das dachte ich zumindest zu dieser Zeit noch, lediglich für die Wochenenden, an denen ich abgesehen von der Schule, aus dem Haus kam und die Möglichkeit hatte, das eigentliche Land und seine Leute zu sehen. Klar genoss ich diese Zeit und klar missfielen mir die Schultage dementsprechend mehr als alles andere.
Heute allerdings weiß ich, dass nun mal aller Anfang schwer ist und sich die Bemühungen ausgezahlt haben. Ich kann sagen, dass ich dankbar für all die zahlreichen Momente bin und alles, was ich von ihnen erfahren und mitnehmen durfte. Auch wenn es mir selbst nicht auffiel, wurde mein Spanisch langsam aber sicher besser und ebenso mein Gespür für die Kultur feiner Momente, in denen dir selbst plötzlich bewusst wird, egal wie nebensächlich sie auch sein mögen, wie ähnlich du doch den Einheimischen und diesen für dich zu Beginn noch so fremden und unverständlichen Verhaltensmuster geworden bist. Dies waren die Momente, welche mir neue Kraft gaben, welche mir doch irgendwo zeigten und immer noch zeigen, dass sich all die Anstrengungen und Frustration auszahlen und du davon letztendlich profitierst.
Schöne Momente und Erfolgserlebnisse als Austauschschülerin
Es sind die kleinen Momente dieses Austauschs, die am Ende deiner Zeit in deinem Herzen bleiben und an die du dich gerne zurück erinnerst. Und aus Erfahrung kann ich sagen, dass es doch immer irgendwie überwiegend die Schönen sind. Mögen es die kleinen Erfolgserlebnisse in Sprache und Kultur sein oder die einfach einmaligen Sonnenuntergänge am Strand mit deinen Freunden. Mögen es die Reisen mit anderen Schülern sein oder einfach nur das Kochen mit deiner Lieblings-Tante. Oft sind es die kleinen Momente, in denen du dich so lebendig fühlst, dass du sie für immer in deinem Herzen tragen wirst.
Jetzt ist bereits die Hälfte meiner Zeit in diesem wundervollen Land vorüber und ich kann von dem Phänomen des ganz bestimmten Zeitgefühls, welches vermutlich nur die anderen Austauschschüler wirklich nachvollziehen können, berichten. Ich lerne immer noch jeden Tag neue Sachen und wenn das auch immer noch nicht nur leicht ist, bin ich unglaublich dankbar, hier sein zu können, und versuche mir das so oft wie möglich bewusst zu machen. Im Moment haben wir für drei Monate Sommerferien, wer weiß, vielleicht fällt es mir unter anderem deshalb so leicht, meine Zeit so in vollen Zügen zu genießen ;). Aber, wenn mir eins hier bewusst wurde, dann das: jeden Moment froh zu sein über das, was man gerade tut, und auch in den nicht immer schönen Situationen nach dem Positiven zu filtern, denn irgendeinen Zweck hat auch die unangenehmste Erfahrung, und zwar immer!
Abschließend möchte ich von einer Frage erzählen, die ich damals kurz nach meiner Ankunft gelesen hatte. „Wer von euch wird dieses Jahr Weihnachten zu Hause verbringen, und wer von euch wird reisen?“ Ich hab mir über diese Frage also lange meinen Kopf zerbrochen und sie irgendwo zu meiner gemacht, damals vor knapp 6 Monaten. Wird es noch eine Reise sein oder würde ich die mir zu dieser Zeit noch so fremden Menschen als meine Familie bezeichnen? Um ehrlich zu sein, ich konnte es mir schlicht und einfach nicht vorstellen.
Letzte Woche jedoch feierte ich mein schönstes Weihnachten, hier in Peru. Nur aus Zufall bin ich nun auf die Stelle in meinem Tagebuch gestoßen, wo ich mir diese Frage stellte, auf die ich zu Beginn meiner Reise noch keine rechte Antwort fand. Heute kann ich sicher sagen, ich war zu Hause, bei der besten peruanischen Familie, die man sich nur wünschen kann! Und ich freue mich wie ein kleines Kind, wenn ich an die noch bevorstehende Zeit in ihrem wundervollen Land denke.
Nun möchte ich mich bei meiner Familie in Deutschland bedanken, die mir das alles hier erst ermöglicht und auch trotz den knapp 10.000 km, die uns im Moment trennen, immer hinter mir steht, ganz besonders aber bei meiner Schwester, ohne die ich vermutlich nie geglaubt hätte, dass ich das alles hier wirklich schaffen kann. Außerdem möchte ich mich bei meiner zweiten Familie hier in Peru bedanken, die mich mit viel Liebe und Geduld aufgenommen hat, und es erst möglich macht, dass ich jetzt stolz sagen kann, ich habe zwei zwar völlig unterschiedliche aber genau gleich liebenswerte Familien.
Zu guter Letzt möchte ich mich beim AFS-Stipendienfonds für die Unterstützung bedanken, aber auch bei AFS für die super Vorbereitung und Betreuung in Deutschland, die man leider keines Falles, zumindest mit meinem Komitee hier in Peru, vergleichen kann. Trotzdem möchte ich auch AFS Peru für die Betreuung und Bemühung vor Ort meinen Dank aussprechen.
Aufgrund all dieser Komponenten steh ich heute, wo ich bin, und dafür bin ich mehr als dankbar. Ich kann also jedem nur raten, sich auf eine Reise, wie die meine zu begeben, und zwar aus tiefstem Herzen! Für nichts in der Welt würde ich mein Leben, meine Zeit und die Erfahrungen, die ich hier machen darf, gegen ein anderes tauschen.