Obwohl wir im Juli 2005 als Gasteltern „in Rente“ gegangen sind, brachte uns der Sommer 2006 so wundervolle Erlebnisse, dass wir unser Glück teilen und unseren Dank an AFS weitergeben möchten… Erlebnis 1! Im August feierten wir die Hochzeit unseres 3. Sohnes und alle Gastschülerinnen waren eingeladen. Drei unserer Töchter, alle erfolgreiche junge Damen, kamen tatsächlich!

Zuerst Gabicha aus Bolivien (2000/2001): Kaum wiederzuerkennen – sehr dünn, und eine sehr selbstbewusste erfolgreiche junge Geschäftsfrau. Gabicha, die einmal Präsidentin von Bolivien werden wollte, hat zunächst an einer deutschsprachigen Fachhochschule in La Paz eine Ausbildung zur Industrie-Kauffrau gemacht. Jetzt studiert sie Ökologie. Daneben hat sie im Zentrum von La Paz ein vegetarisches Restaurant eröffnet. Die Zutaten für ihre Rezepte – von Gabicha am eigenen Herd entworfen, vorgekocht und ausgetestet – stammen aus dem Anbau einer eigenen Musterfarm. Hier wird in besonderen Gewächshäusern (zur Hälfte in den Boden eingesenkt um konstante Temperatur zu erhalten) ganzjährig Gemüse geerntet, das durch Mischbepflanzung Chemiefrei heranreift. Das Restaurant ist ein Renner und es bestehen Pläne zum Ausbau als Kette auch in anderen Städten Boliviens. Auf diese Weise verdient Gabicha Geld.

Lebensziel: Verbesserung der Lebensverhältnisse anderer Menschen

Ihr Lebensziel, ihrem Land zu dienen, möchte sie verwirklichen, in dem sie die Lebensverhältnisse der Landbevölkerung verbessert. Sie möchte die Menschen in ökologischem Anbau unterrichten und zu einer gesunden Ernährung beitragen. Den passenden Freund dazu hat sie schon gefunden. Er ist Amerikaner und lebt seit vielen Jahren als Agraringenieur in Bolivien. Die beiden haben gerade eine Zusage für ein eigenes ökologisches Forschungsprojekt in „Las Jungas“ erhalten, das von der Universität in Michigan /USA finanziert wird! Daneben befassen sie sich die beiden auch mit ökologischem Hausbau. Beeindruckende Bilder von sehr modernen Lehmhäusern (Hurrikan- und erdbebensicher), ganz aus Materialien, die sich „vor Ort“ finden, hatte sie mitbebracht!

Zwei Tage vor der Hochzeit kam ein Anruf aus Japan: Yuri (2002/2003), von der wir endlos lange nichts mehr gehört hatten, würde für 4 Tage aus Tokio einfliegen! Yuri, noch genauso ein hilfloses Wesen wie damals, versteht wenig, lächelt viel! Ach, was war das eine Wiedersehensfreude, wir haben unser „Baby“ in den Armen herumgewirbelt – und sie juchzte! Yuri macht eine Ausbildung zur Hundefrisöse und arbeitet nebenbei in einem Hundehotel – echt vornehm! Fotos von Hundediven auf Gobelinsofas brachte sie mit…. Unser Hund Max wollte sich aber nicht von ihr kämmen lassen (soviel Kultur ist der nicht gewöhnt), dafür schnurrten unsere Katzen unter Yuris fachmännischen Behandlung. Yuris Schule scheint auch ganz edel zu sein, 25 „Studenten“ waren im letzten Herbst für 10 Tage auf einem Europa- Trip, um Hundesalons hierzulande zu besichtigen. (Leider hatten wir uns damals verpasst).

Reka: Hübsche Studentin aus Ungarn

Als dritte kam Reka aus Ungarn (2004/2005) – nicht mehr so dürr, eine richtig schicke junge Studentin! Reka besitzt eine moderne Eigentumswohnung in Budapest und studiert europäische Wirtschaft an einer englischsprachigen privaten Eliteuniversität – bisher sehr erfolgreich (klar!). Reka war ja schon mal kurz hier gewesen – für sie gibt es ja Air-Berlin – kein Problem!

Vom Erscheinungsbild ihrer Reife würde ich die drei so einordnen: Gabicha wie 35 – Reka wie 25 – Yuri wie 15! Aber die drei Grazien – in tatsächlich ähnlichem Alter – haben sich prächtig verstanden! Die (Hochzeits-) Nacht hindurch bis zum frühen Morgen haben sie zusammen mit ihrer gemeinsamen Jugend – Betreuerin Laura Baum aus unserer Nachbarschaft eng umarmt getanzt. Und am nächsten Tag hatte ich an den dreien eine außerordentliche Hilfe: Wusste doch jede genau, welches Geschirr, welche Bestecke wohin gehören, wo die Handtücher sind, welches Geschirr gar nicht uns gehört – also geliehen wurde …… ja, sie kennen sich besser in meinem Haushalt aus als meine leiblichen Kinder und ruckzuck, war von der 80 Personen-Feier in unserem Haus und Garten und Zelt nichts mehr zu sehen! Das Wiedersehen war ein unvergleichlich schönes Erlebnis für uns. Man muss fast sagen, eine nachhaltigere Erinnerung als die Hochzeit (war ja schon die dritte – wohl nicht mehr so spannend!?) Die drei Mädels sind sich ja zum ersten erst mal begegnet – und wie ich hörte weiter in Kontakt miteinander! Ist das nicht schön?!?!?!?!

Reise nach Indonesien

Erlebnis 2! Nach überstandenem Fest haben mein Mann und ich uns in ein echtes Abenteuer gestürzt. Wir haben erstmals europäischen Mutterboden verlassen, und unsere Gasttochter Ade Arifin in Indonesien besucht. Die kleine Ade-Sonnenschein war unser „einfachstes“ Kind: immer fröhlich, immer aktiv, lieb und schmusig, nie Probleme! Unser Sohn Gerd hatte sie ja schon besucht und Laura Baum; die perfekte Jugend-Betreuerin (s.o.). Nun also wir, aber dass uns in Indonesien so was von einer anderen Welt erwartete, das hättet wir doch nicht erwartet. Als bulé-bulé (Weiße) wurden wir überall wie Könige aufgenommen. Ade und ihre Familie hatten ein Riesenprogramm für uns ausgearbeitet. In der Millionenstadt Jakarta lebt und arbeitet 40% der Bevölkerung auf der Straße. Wo immer sich zwischen Hochhaustürmen mit Einkaufszentren ein paar freie m2 finden, sind Wellblechhütten gebaut. Überall an den Straßen stehen dicht an dicht Stände, die Essen zubereiten und anbieten. Der Straßenverkehr ist unbeschreiblich. Wahrscheinlich eben typisch 3.Welt – aber bisher unerlebt von uns.

In Indonesien isst man mit den Fingern. Die Restaurants haben in der Regel Stehklos und selten ein Waschbecken zum Händewaschen. Man isst morgens, mittags, abends, immer: Reis mit vielerlei gebratenen Zutaten (Rindfleisch, Huhn, Fisch), wenig Gemüse, die in kleinen Schälchen gebracht werden, unangetastete Schälchen muss man nicht bezahlen. (zurück auf die Pfanne – das bekommt dann der nächste). Großereignis war die Hochzeit von Ades Bruder in traditioneller West-Sumatra Art. Da wir als Ades Eltern auftraten, wurde für uns zur Familie passende Kleidung genäht. Die Hochzeit umfasste 3 Zeremonien:

Die indonesische Hochzeit

1. Im Haus der Braut: die Familie des Bräutigams erscheint, überreicht 11 symbolische Geschenke. Die Familienmitglieder (ca. 20 auf jeder Seite), werden gegenseitig vorgestellt. Man bittet um „die Hand der Braut“ – wie man hier sagen würde. Überwältigend für uns die Farbenpracht der Kleidung der muslimischen Damen, intensives Make up auch der ältesten und als Krönung das passende Kopftuch! Die wenigen Damen „ohne“ sahen fast armselig daneben aus. Es war überhaupt ein Fest der Frauen, die Männer hielten sich im Hintergrund. Von Ades Vater war kein weiterer Familienangehöriger auf den Feiern zu sehen, von Ades Mutter aber 23 Personen aus Sumatra eingeflogen. Grund: West-Sumatra (die Heimat der Arifins) ist eine matriarchalische Gesellschaft. Der gesamte Besitz gehört den Frauen, Männer erben nichts. Eine Familie stirbt aus, wenn sie keine Tochter hat. Mr. Arifin hat keine Schwester, seine Familie gibt es nicht mehr. So finden sich in Arifins Häusern vor allem überlebensgroße Porträtfotos von Ade, einige von ihren Eltern – der Bruder ist kaum zu sehen – bedeutungslos…… Unglaublich, denn wir sind in einem muslimischen Land!

2. in der Moschee: alles barfuß im Knien – aber locker. Die Zeremonie um das Brautpaar ähnlich wie bei uns in der Kirche. Die Gäste Frauen vorne, Kinder rangeln sich auf der Erde, Männer hinten an der Wand. Nach der Unterschrift werden Esspäckchen herumgereicht. Die Gäste muffeln und lassen am Ende alle Abfälle auf dem Boden liegen (den man nicht mit Schuhen betreten darf).

Trommler, Tänzer und Pop-Musik

3. im „Hochzeitshaus“: angemietete Räume in einem Hochhaus, in Umkleideräume mit Kosmetikerin und Frisöse werden die Familienangehörigen verschönt. Als pompöse Kulisse ein „West-Sumatra-Haus“, in dem sich auf Thronartigen Sitzen das Brautpaar und die Eltern niederlassen. Traditionelle Trommler und Tänzer, dann Pop-Musik. Mehr als 1000 Gäste, die langer Reihe an den Thronenden vorbeiziehen und gratulieren, sich dann am Büfette bedienen, im Stehen essen – ein bisschen quatschen – und das war’s. Während die Gratulierten dann endlich auch essen und sich an die wenigen Tische setzen können, kommen 10-15 Arbeiter und bauen „klapp-klapp“ in wenigen Minuten die ganze Kulisse ab, setzten sich auf den Teppich essen kurz und beginnen dann schnell mit dem Aufbau einer anderen Kulisse für die nächste Hochzeit (diesmal vielleicht Java-Stil?) …… alle 2 Stunden eine andere Hochzeit ……

Ja, dann reisten wir alle zusammen nach Sumatra. Auch das junge Brautpaar (1 Flitternacht im Hotel war genehmigt, Sex vor der Ehe undenkbar), das jetzt mit im Hause Arifin wohnt, kam mit. Familie ist eben alles. Auf Sumatra erlebten wir tropische Regenwaldcanons, sahen die Bambushütten, in denen die Eltern Arifin als Kinder gelebt haben. Mr. Arifin betreibt hier auch eine Bank, die Kleinstkredite an Mittellose vergibt (wie der diesjährige Friedens-Nobelpreisträger!) Beeindruckend der Palast des letzten Königs von Minangkabau, ein reichverziertes Langhaus aus Holz mit den typischen Dächern in Büffelhorn-Form. Hier lebten und schliefen der König, seine Mutter, die Töchter. Söhne schliefen draußen im Freien – bei Regen auch mal auf dem Fußboden der Moschee. Schwiegersöhne durften im Haus übernachten, wohnten aber weiterhin bei der Familie ihrer Mutter (auch vor der Tür) ……

Weltgrößter buddhistischer Tempel

Nach einem Abstecher in Jogyakarta, wo wir im Morgengrauen den weltgrößten Buddhistischen Tempel sahen, verbrachten wir noch eine Woche auf der Hindu-Insel Bali. Gemeinsam mit den Arifins waren wir hier unter der Obhut eines adligen Balinesen (2. höchste Klasse). Die überreichen Stein- Reliefs seiner unbeschreiblich prachtvollen Häuser und persönlichen Tempel , sowie ein eigener Guide gaben uns tiefe Einblicke in die Religionen des Hinduismus und auch dem daraus entstandenen Buddhismus. Wir erlebten, wie das tägliche Leben (von Moslems oder Hindus) von der Religion bestimmt wird, mehrmals am Tag beten, vor dem Essen opfern…… Auf Java und Sumatra gibt es kein Schweinefleisch – auf Bali hatten die muslimischen Arifins ein Problem, denn den Hindus ist die Kuh heilig, hier isst man Schwein, aber kein Rind. Auch die Bedeutung der 4 Kasten wurde uns klargemacht. Bizarr das Beispiel einer Brahmanen-Dame, die wir kennen lernten: Sie hat 12 unverheiratete erwachsene Kinder, die in ihrer höchsten Klasse keine geeigneten Ehe-Partner finden könne. Auch in die Symbolik der Tempel und die Bedeutung der verschiedenen balinesischen Tänze haben wir uns „hineingelebt“.

Alles in allem sind wir in den 3 Wochen viel tiefer in die unterschiedlichen Kulturen Indonesiens eingedrungen, als das einem Touristen je möglich sein könnte. Und das verdanken wir vor allem dem großartigen gegenseitigen Verständnis mit den Eltern Arifin! Wir fühlten uns sofort als Familienmitglieder, ganz und gar zu Hause. Kein Thema, das wir nicht ehrlich miteinander besprochen hätten, keine Frage peinlich, kein roter Kopf – oft ein herzliches Lachen! Die beiden Männer waren geradezu ein Herz und eine Seele und immer einer Meinung!!!!

Genau die richtigen Gasteltern

Wir haben jetzt zu Hause oft darüber gesprochen, wie eine solches Verstehen überhaupt möglich sein kann und ob wir mit unserer kleinen Ade einfach ganz großes Glück gehabt haben….. Ein ganz und gar wichtiger Punkt ist sicher, dass AFS dieses Mädchen zielgenau für uns ausgesucht hat, dass mein Mann und ich als alte Eltern für sie hier in Deutschland weitgehend dasselbe Familienprofil abgeben, wie sie es in Indonesien auch hat! Also vielen Dank an AFS – eine rundherum gelungene Kombination von Eltern-Kind-Eltern!!!

P.S.: Wir haben in Jakarta unter Ades Freunden/innen auch eine ganze Reihe anderer ehemaliger AFSer kennen gelernt, alles ganz prachtvolle aufgeschlossene super nette junge Leute! Und doch sind wir die einzigen europäischen Gasteltern, die bisher nach Indonesien gereist sind, ihr Kind zu besuchen – das ist doch schade…….

Ade ist ein Pop-Star

P.P.S.: Ja natürlich die kleine Ade, was macht sie jetzt? Sie macht gerade ihren Balchelor in Computer-Science (Informatik) und bewirbt sich für ein Erasmus-mundus Stipendium, um in Europa den Master zu machen. Sie ist weiterhin ein Pop-Star, der mit Singen Geld verdient. Sie vertreibt nebenbei Nahrungsergänzungsmittel für eine chinesische Firma, hat bald so viele Punkte zusammen, dass sie einen neuen BMW als Belohnung erhält – den hat sie ihrem Vater versprochen. Sie arbeitet eigentlich immer – man fragt sich, wann sie schläft……. Sie ist der fröhlichste Mensch auf Erden – eben unsere kleine Ade-Sonnenschein.

P.P.P.S.: und nächstes Jahr fliegen wir nach Südamerika! Nach Bolivien….. und Brasilien, um unsere „verlorene“ Laura wiederzusuchen!“

Gastfamilie Menche, Bolivien, 2000-2005

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