Ulrich Voß (USA 1982/83) gehört seit 2010 dem AFS-Kuratorium an. Er ist Gründer und Leiter eines Beratungsunternehmens. Vorher war er bei verschiedenen großen Unternehmen im Finanzsektor. Vor 40 Jahren kehrte er von seinem Austausch zurück. Seitdem begleitet er AFS als Ehrenamtlicher und Alumnus. Seit 2018 sitzt er außerdem im Board of Trustees von AFS International.  

Du bist 1982/83 mit AFS ins Ausland gegangen. Wieso hast du dich damals für die USA entschieden und was ist deine eindrücklichste Erinnerung?
Inspiriert hatte mich dazu ein Klassenkamerad meines älteren Bruders, der mit YfU in den USA gewesen war – was ihn damals an unserer Schule im Münsterland zu einem absoluten Exoten machte. Die USA übten eine diffuse Faszination auf mich aus, weil ich das Land nicht verstand. Es war weit, weit weg für mich und mir war klar, dass ich in dem AFS-Jahr auf mich selbst gestellt sein würde – die Kommunikation mit der Heimat war eigentlich nur durch Briefeschreiben aufrechtzuerhalten.
Am eindrücklichsten für mich war, mit welcher Neugier und Freundlichkeit ich überall aufgenommen wurde – obwohl ich alles andere als der erste deutsche Austauschschüler meiner Gast-Kleinstadt in Minnesota war. Die Türen standen mir überall offen!

Hast du noch Kontakt zu jemandem aus deinem Austauschjahr, deiner Gastfamilie oder Freund*innen?
Ja, mit meinen Gasteltern, die selbst kinderlos sind. Gerade dieses Frühjahr haben sie drei Wochen bei uns im Taunus verbracht. Das war eine wunderbare Zeit – für meine Kinder sind sie in den letzten Jahren wie ein weiteres Großelternpaar geworden. Meine Gasteltern sind wirklich wundervolle Menschen – liebenswürdig, interessiert und unkompliziert. Wir haben schon Pläne geschmiedet, uns nächstes Jahr wiederzusehen.

Wie beurteilst du rückblickend dein Austauschjahr? Welchen Einfluss hatte die AFS-Erfahrung auf deinen Lebensweg und deinen beruflichen Werdegang?
Es klingt vielleicht nicht originell, aber es war „life changing“. Mein Horizont hat sich definitiv erweitert und ich denke, meiner Persönlichkeitsentwicklung hat das einen Schub gegeben. Ich habe in der Folge viel im Ausland studiert und gearbeitet, darunter mehrere Jahre in den USA. Aber nicht nur beruflich hat mich die AFS-Erfahrung beflügelt, sondern auch im Engagement in der Zivilgesellschaft.

Du bist ja auch bei AFS International aktiv. Was ist da besonders prägend für dich? Welche Veränderungen nimmst du da wahr?
Als Chairperson des Finance Committee im Board of Trustees von AFS kümmere ich mich vor allen Dingen um finanzielle Themen, aber im Board behandeln wir natürlich auch Strategie, Netzwerk-Entwicklung und weitere Aufgabengebiete. AFS ist als globales Netzwerk mit ca. 60 lokalen Partner-Organisationen eine ziemlich einzigartige Organisation, wir hängen enorm stark voneinander ab – Sending klappt nur, wenn das Hosting klappt – und umgekehrt. Schon vor einigen Jahren haben wir eine strategische Weiterentwicklung initiiert, da die traditionellen AFS-Schulprogramme stagnieren. Die Corona-Pandemie hat einen weiteren Rückschlag verursacht. Unsere Programm-Volumen in diesem Jahr liegt bei nur ca. 60% des Vor-Corona-Niveaus. Und wir tun uns schwer, die Qualität – gerade das on-time Placement – auf akzeptablem Niveau zu halten. Viele Partner haben während der Pandemie Personal abbauen müssen, die Ehrenamtlichen konnten nur eingeschränkt arbeiten und weiterentwickelt werden. Das hat die weltweite Organisation geschwächt.

Wie siehst du die Zukunft des Netzwerkes?
Unsere Mission „create a more just and peaceful world” ist heute genauso relevant wie zur Zeit der Ambulance Driver. Wir müssen aber überdenken, wie wir arbeiten. Bei unserem Kernangebot der Schulprogramme müssen wir uns klarer von der kommerziellen Konkurrenz absetzen. Das können wir durch stärkere Fokussierung auf interkulturelle Kompetenzen erreichen. Gleichzeitig müssen wir operativ effizienter und robuster werden. Es ist erstaunlich: Als global agierendes Netzwerk ist AFS nationalstaatlicher aufgestellt als die Vereinten Nationen. Wir haben erst langsam angefangen, etwa in Benelux, Skandinavien oder auch Südamerika überregional enger zusammenzuarbeiten. Jedes Land macht so gut wie alles selbst – das kostet Kapazität und Qualität. Wir müssen auch unsere Mission weiterdenken – in der neuen AFS-Netzwerk-Strategie spielt das Konzept des „Active Global Citizen“ eine ganz wichtige Rolle. Wir wollen uns stärker zu einer Educational Organisation entwickeln und kommen hierbei schon ganz gut voran. Im vergangenen Jahr haben wir das Format „Youth Assembly“ von einer anderen Stiftung übernommen. Hier kommen junge Erwachsene zusammen – vorwiegend aus dem globalen Süden – die sich sozial engagieren im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele. Wir haben ein enormes Standing bei der UN und der OECD – das müssen wir stärker nutzen. Auch haben wir in den letzten Jahren digitale Programme wie „Global Competence“ entwickelt, die zunehmende Resonanz finden.

Gilt das genauso für AFS Deutschland und siehst du da unterschiedliche Entwicklungen?
Ja, das gilt natürlich auch für Deutschland. Deutschland ist bei den Schulprogrammen im Netzwerk traditionell der zweitgrößte Sender nach Italien. Im Hosting ist Deutschland hingegen deutlich kleiner – was viele AFS-Partnerorganisationen bedauern, denn Deutschland ist für viele Jugendliche eine Traumdestination für ihr Auslandsjahr. Bei den 18+-Programmen ist AFS Deutschland bisher federführend – und für viele AFS-Partner ein verlässlicher und extrem wichtiger Sending-Partner. Auch im Ehrenamt ist Deutschland im internationalen Vergleich sehr stark aufgestellt. Also im Grunde eine prima Start-Position. Allerdings kämpft Deutschland mit den gleichen Problemen wie einige andere Länder, das schrumpfende Programmvolumen untergräbt die finanzielle Basis. Vorstand und Aufsichtsrat von AFS Deutschland arbeiten daran, das zu korrigieren.

Was möchtest du Jugendlichen mitgeben, die sich heute überlegen einen Schüleraustausch im Ausland zu machen?
Nicht lange überlegen, sondern machen! Ich würde den Jugendlichen – und vor allem ihren Eltern – mitgeben, dass sie den Wert eines Auslandsjahres in der interkulturellen Erfahrung erkennen. Es geht nicht vordergründig um den Erwerb einer Fremdsprache, ein akademisches Vorankommen oder das „Abhaken“ für den Lebenslauf – es geht um eine tiefgehende, sehr persönliche Erfahrung. In welchem Land der Erde diese stattfindet, ist eigentlich egal – wichtig sind die Gastfamilie und die Schule vor Ort, denn dort spielt sich das Leben ab. Mehr Offenheit für Länder außerhalb des englischen Sprachraums – und weniger Ängstlichkeit – wären nicht schlecht.

Du bist seit 13 Jahren im AFS-Kuratorium. Was motiviert dich zu deinem Engagement? Was bedeutet dir diese Position?
AFS ist eine Freiwilligen- und Ehrenamtsorganisation, das zeichnet uns aus. Das Kuratorium ist nur ein kleines Element in der ganzen AFS-Organisation, aber ich glaube, ich kann mich hier sinnvoll einbringen. Wir sind ja einerseits Netzwerker für die Anliegen des Vereins und andererseits kritisches Sounding Board für Vorstand und Aufsichtsrat – das ist eine durchaus facettenreiche Aufgabe, die mir Spaß macht.

AFS bedankt sich für das Interview. Die Fragen für AFS stellte Mara Brede (10/2023).

 

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