Antonia, Spanien, 2015, Schuljahr im Ausland mit AFS-Stipendium:

Vor einem Jahr fieberte ich ungeduldig meinem Auslandsjahr entgegen, das ich in der Nähe von Madrid verbringen würde. Ich schrieb Bewerbungs- und Motivationsschreiben, füllte Formulare aus, quetschte mühevoll alles, was ich in diesem Jahr brauchen würde in 23,5 Kilo zusammen. Ich verabschiedete mich von meiner Familie und meinen Freunden und saß, schneller als ich dachte, im Flugzeug nach Madrid. Mit Aufregung, Abenteuerlust, aber auch einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch.

Alles auf Anfang

Meine ersten Wochen in Spanien, in denen noch alles neu und irgendwie fremd war, waren unglaublich aufregend, wunderschön und schwierig zugleich. Ich hatte mir von Anfang an vorgenommen mich auf Spanisch im Alltag zu verständigen, da ich nach zwei Jahren Spanisch Unterricht in der Schule schon einige Sprachkenntnisse hatte. Auf Englisch umzusteigen, war keine Option für mich, da ich wusste, dass ich es auch auf Spanisch konnte. Ich brauchte zwar einige Wochen, um mich daran zu gewöhnen nur noch Spanisch zu sprechen und zu hören. Aber als ich mich daran gewöhnt hatte, machte ich auch schnell Fortschritte in der Sprache.

Spanischer Alltag

Der Alltag, den ich in Spanien hatte, war ein anderer als mein deutscher. An einem normalen spanischen Wochentag stand ich um 7:30 Uhr auf, hatte von 8:30 Uhr bis 15:30 Uhr Schule und aß nach der Schule um 16 Uhr zu Hause Mittag. Dann hielt ich bis ca. 17 Uhr die typisch spanische Siesta, anschließend lernte ich, ging mit unseren Hunden spazieren oder traf mich mit Freunden. Und zwei Mal in der Woche spielte ich von 20 bis 21 Uhr Volleyball. Abendessen gab es meist gegen 23 Uhr und nach dem nächtlichen Hunde ausführen ging ich zwischen 0 und 1 Uhr morgens ins Bett. Man sieht also, der ganze Tag ist in Spanien sozusagen einige Stunden „nach hinten verschoben“. Anfangs war das eine ziemlich große Umstellung, aber schon bald gewöhnte ich mich an diese Routine.

Meine Gastfamilie

Mit meiner fünfköpfigen Gastfamilie, die mit zwei Hunden ungefähr 40 Kilometer entfernt von Madrid wohnten, verstand ich mich von Anfang an sehr gut. Während meines Auslandsjahres sind wir unglaublich stark zusammengewachsen. Wir haben gemeinsam sehr viele Dinge erlebt, haben uns immer gegenseitig unterstützt und waren füreinander da. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Familie jetzt meine zweite Familie nennen darf. Alle Mitglieder meiner Gastfamilie waren sehr offen, direkt und impulsiv: Jeder sagte immer sofort und ohne Rücksicht auf andere, was ihn störte. So entstanden oftmals lautstarke Diskussionen und kleine Streitereien, die aber die Wirkung eines „reinigenden Gewitters“ hatten und nach denen wieder alle harmonisch zusammenlebten. Was mir meine Gastfamilie beigebracht hat ist, den Moment zu leben und zu genießen. Alles, was geplant wird, ist der heutige Tag. Meine Gastfamilie lebte nach diesem Motto. Zwar nicht so extrem, aber dennoch waren sie in allem, was sie taten, sehr leidenschaftlich und spontan und sie freuten sich an den kleinsten Dingen im Alltag. Und so seltsam, wie mir diese und andere ihrer Reaktionen und Verhaltensweisen am Anfang vorkamen, so wurde mir mit der Zeit immer klarer: Sie haben Recht! In meinem Terminkalender fand man ab November 2015 so gut wie keine Einträge mehr. Die Menschen sind spontan und flexibel, und wenn man um 15 Uhr mit Freunden verabredet ist, ist man meist vor 15:10 Uhr gar nicht am Treffpunkt.

Schulalltag in Spanien

Diese Gelassenheit, für die Spanien ja auch bekannt ist, wird aber dort mittlerweile als problematisch und verbesserungswürdig angesehen. Deswegen wurde in meiner Schule von einigen Lehrern so viel Wert auf Pünktlichkeit gelegt, dass Schüler, die mehr als zwei Minuten zu spät kamen, das Klassenzimmer in dieser Unterrichtsstunde nicht mehr betreten durften und erst zum nächsten Fach – pünktlich, wie sich versteht – zu erscheinen hatten. Der Umgang unter Freunden und auch zwischen Schülern und Lehrern ist ein anderer als in Deutschland. Untereinander ist man viel herzlicher, die „typisch spanischen“ Wangenküsschen werden bei jeder Begrüßung und bei jedem Abschied gegeben und Lehrer werden von ihren Schülern immer mit „du“ angesprochen (siezen kann sogar als unhöflich betrachtet werden). In den ersten Tagen nach meiner Rückkehr kamen mir die Deutschen sehr kühl und distanziert, ja fast unfreundlich vor.

Eine unvergessliche Erfahrung

All diese neuen Eindrücke, die vielen Gespräche, die ich mit den verschiedensten Personen führen durfte, mein Leben in einer anderen Kultur und das Kennenlernen anderer Denkweisen haben mir dabei geholfen im Laufe meines Auslandsjahres offener, selbstbewusster und toleranter zu werden. Ich bin oft an meine Grenzen gestoßen und darüber hinausgewachsen. Ich erlebte unglaublich schöne, aber auch sehr schwere Momente. So habe ich auch sehr viel über mich selbst gelernt. Die „perfekte Kultur“ existiert nicht. Genauso wenig wie die „richtige Denkweise“. Es gibt so viele verschiedene Meinungen und Standpunkte und es gilt sich in die der anderen hineinzuversetzen und sich untereinander auszutauschen, anstatt stur auf seinen eigenen Konzepten zu beharren. Deswegen denke ich, ist ein Auslandsjahr eine einzigartige Erfahrung, die Schülern die Möglichkeit bietet, sich der Welt zu öffnen. Ihren Horizont zu erweitern und zu lernen, die Dinge auch aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ein Auslandsjahr ist kein Jahr Urlaub, auf keinen Fall – aber gerade die schwierigen Momente sind es, aus denen man am meisten lernt und an deren Überwindung man wächst.

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