Juliane, Slowakei, 2013, Schuljahr im Ausland mit Baden-Württemberg-Stipendium:

Inzwischen bin ich schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Slowakei, wo ich durch die Unterstützung des Baden-Württemberg Stipendiums das letzte Schuljahr verbracht habe. Ich muss offen zugeben, dass ich noch längst nicht wieder in Deutschland angekommen bin.

Mein Auslandsjahr in Bardejov, einer Stadt im Nordosten der Slowakei, war eine einmalige tolle Erfahrung mit Höhen und Tiefen. Zu Beginn ist es mir ein wenig schwer gefallen, mich einzufinden in dem neuen Land, mit einer neuen Sprache, einer anderen Familie und auch einem etwas anderen Schulsystem. Alles war komplett neu und gerade in der ersten Zeit wusste ich oft nicht, was mich erwartet. Doch nach und nach habe ich mich immer besser eingelebt, habe die Sprache gelernt und Freunde gefunden sowie nach einem Gastfamilienwechsel einen Ort, der für mich wie ein zweites Zuhause war (ist).

Ich kann mich gut erinnern, wie viele mich vor Antritt der Reise in Deutschland gefragt haben, warum ich mir ausgerechnet Osteuropa ausgesucht habe und ob es denn nicht zu ‚langweilig‘ wäre. Ich selbst habe mir da auch ein bisschen Gedanken darüber gemacht, aber über die letzten fast 11 Monate habe ich mich total in diesen Teil Europas ‚verliebt‘.

Land und Leute

So gut wie niemand weiß, wie das Leben in der Slowakei so ist. Zugegeben, ich hatte auch keine Ahnung. Aber jetzt kenne ich die Unterschiede zwischen Deutschland und der Slowakei und möchte darüber ein bisschen mehr erzählen, angefangen bei der Mentalität der Leute. Was mich sehr beeindruckt hat, ist die Gastfreundschaft und der Optimismus der Leute in meinem Gastland. Egal, wo ich war, ob bei Freunden, den Gastgroßeltern oder sogar mir völlig fremden Personen, ich war überall willkommen. Man hat mir immer zu Essen und zu Trinken angeboten und mich oft dazu eingeladen, doch ein oder zwei Nächte zu übernachten. Die Leute haben sich so gezeigt, wie sie sind, mich sozusagen wahrhaftig in ihr Leben blicken lassen und waren über die Tatsache, dass ich da bin, sogar sehr erfreut. Meiner Meinung nach ist das in Deutschland nicht immer ganz der Fall. In Deutschland muss ein Besuch stets im Voraus angekündigt sein, die Einkäufe dafür müssen am Tag zuvor erledigt werden, die Wohnung muss geputzt sein und die Kleidung perfekt sitzen. Das ist definitiv einer der größten Unterschiede zwischen den beiden Ländern.

Was mir ebenfalls noch sehr gut in Erinnerung ist, ist der Respekt im Umgang miteinander, welcher in Deutschland teilweise nicht (mehr) in so ausgeprägter Form zu finden ist. In der Slowakei wurden beispielsweise Lehrer von den Schülern als Autoritätspersonen respektiert und wahrgenommen. Älteren Leuten hat man stets den Vortritt gelassen, für sie Türen geöffnet und sie natürlich auch immer zuerst gegrüßt. Auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen war ganz anders, als ich es gewohnt war. Mir wurden Taschen getragen, Türen aufgehalten, Getränke spendiert und weitere kleine Aufmerksamkeiten, die sich meiner Meinung nach auch so gehören.

Hierzu habe ich auch noch eine kleine Geschichte, die mir in der Schule passiert ist: Nachdem es schon zum Ende der Stunde geläutet hatte, habe ich ein bisschen länger gebraucht als meine Klassenkameraden zum Einpacken meiner Sachen und war als Letzte fertig. Doch anstatt vor mir zu gehen, haben ALLE Jungs aus meiner Klasse gewartet, bis ich draußen war und sind erst nach mir aus dem Zimmer gegangen. Natürlich ist so etwas dann doch nicht alltäglich, aber ich musste darüber schmunzeln und fand es als ein ‚Extrembeispiel‘ des Respekts, den die Männer gegenüber Frauen haben. Ich für mich habe auch beschlossen, diesen Respekt gegenüber zum Beispiel älteren Leuten beizubehalten. Natürlich hatte ich ihn auch schon vor meinem Auslandsaufenthalt, aber eben nicht in dieser stark ausgeprägten Form, welche ich für weitaus richtiger halte als die ’normale‘ deutsche Form.

Was mich auch total beeindruckt und begeistert hat, war der Optimismus und die Zuversicht der Leute. Dass das Grundeinkommen und somit auch der Wohlstand ein kleines bisschen niedriger sind als in Deutschland, das ist ja allgemein bekannt. Doch entgegen meiner Erwartungen scheinen die Slowaken trotzdem weitaus zufriedener zu sein mit dem, was sie haben, als wir Deutschen. Auf Festen wurde bis in die Morgenstunden ausgelassen zu Volksmusik getanzt. Als eine Freizeitbeschäftigung für Jugendliche war auch Wandern angesehen und jeder hat sich über die einfachsten und kleinsten Dinge, wie zum Beispiel eine Tafel Schokolade, gefreut. Das Miteinander wurde viel mehr geschätzt, auf (Marken-)Klamotten wurde kein Wert gelegt, genauso wenig wie darauf, das neuste Handy zu haben. Während meiner gesamten Zeit habe ich keinen einzigen Streit innerhalb meiner Klasse miterlebt, einfach weil jeder so angenommen wird, wie er ist. Jeder kann tragen, besitzen, tun und lassen, was er möchte und gehört trotzdem dazu. Meiner Meinung nach ist es in Deutschland schon um vieles schwieriger, sich den nötigen Respekt bei anderen einzuholen.

Ein einmaliges Osterfest

Wenn ich so an mein Auslandsjahr zurück denke, dann fällt mir immer Ostern ein, da das komplett anders und sehr interessant gefeiert wird. Ich habe noch geschlafen, als mein Gastopa mir ein Glas kaltes Wasser über den Kopf schüttet und mir „Veselu velku noc“, also „Frohe Ostern“ wünscht. Später am Tag wurde ich dann von meinem Gastbruder mitsamt Kleidern in die Dusche gestellt und mit kaltem Wasser von oben bis unten nass gemacht. Und jeder der beiden, also mein Gastopa und mein Gastbruder, haben beide auch noch Schokolade als Belohnung und Dank für diese Aktion bekommen. Die Männer dürfen die Frauen ihrer Familie (und auch die des Freundeskreises) mit Wasser bespritzen (teilweise werden die Frauen vor ihrer Haustür mit ganzen Eimern voller Wasser überschüttet). Und der Sinn dahinter: Das Wasser soll für Gesundheit und Schönheit der Frau für das kommende Jahr sorgen, deshalb bekommen die Männer für ihre Taten auch eine Belohnung. Dieses Erlebnis war so einmalig und auch wirklich interessant für mich. Zwar ist es bei den meisten Slowakinnen eine eher weniger beliebte Tradition (verständlicherweise…), aber eben mal etwas vollkommen anderes, als man es aus anderen Teilen der Welt so kennt.

Essen

Ein anderes Thema ist dann auch noch das Essen. Ich liebe die slowakische Küche! Alles ist viel deftiger und stärker gewürzt. Zudem gibt es viele ‚Nationalgerichte‘, welche sich durch ihre speziellen Zutaten in keinem anderen Land kochen lassen, was es umso interessanter macht. Auch wenn das Land noch so klein erscheint, an Essen, eigenen Lebensmittelprodukten und Getränken fehlt es ihnen eindeutig nicht. Meiner Meinung nach ist die Slowakei allein schon deswegen eine Reise wert.

Natur

Komplett beeindruckend ist auch die Natur. Ich habe noch nie so viele Wälder auf einer so großen Fläche gesehen. Das ganze Land ist übersät von Bäumen und Wiesen und man sieht nicht selten Rehe, Hasen und Füchse frei herumlaufen. Zudem gibt es auch noch viele wilde Bären, besonders in der Hohen Tatra, dem Gebirge, das im Norden des Landes liegt und einen Teil der Grenze zu Polen bildet. Hier war ich mit meiner Klasse für zwei Tage und hätte ich eine Kamera dabei gehabt, mit der ich nur ein einziges Bild hätte schießen können, so wäre es mit Sicherheit in diesem Gebirge entstanden. Entweder von der unglaublichen Aussicht, den schneebedeckten Gipfeln oder den endlosen Wäldern, die so geheimnisvoll und faszinierend wirken. Es war toll, an einem Tag in der heißen Sonne die Aussicht zu genießen, später im Wald dem Rauschen eines Flusses zu lauschen und schließlich oben auf dem Berg im Schnee zu stehen. Ein wirklich unbeschreibliches Erlebnis, das ich so gerne noch ein zweites Mal durchleben möchte.

Es gäbe noch so viele Dinge, von denen ich erzählen möchte, doch wenn ich das alles aufschreibe, dann wird dieser Bericht noch in ein paar Jahren nicht fertig sein. Somit beende ich ihn hier und hoffe, dass ich einen kleinen Eindruck geben konnte, wie ich das Land und seine Kultur während meines Auslandsjahres erlebt habe.

Ich möchte mich außerdem an dieser Stelle noch einmal sehr bei der Baden-Württemberg Stiftung und bei AFS für ihre Unterstützung bedanken, da ich nur durch sie diese ganzen Erfahrungen sammeln konnte. Es war ein Erlebnis, das mich mein Leben lang begleiten wird und aus dem ich viele neue Eindrücke gesammelt habe, die mir immer wieder weiter helfen werden. Vielen Dank, dass ich die Möglichkeit hatte, all das zu tun, was ich in den letzten 11 Monaten getan und erlebt habe.

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