Fabian, China, 2019, AFS-Kurzzeittaustausch mit Mercator-Stipendium:

Ein Reisebericht eines deutsch-rumänischen Berliners über die Eindrücke in Shanghai, China, während eines zweimonatigen Schüleraustauschs.

Ein Absatz aus meinem Tagebuch:

Fabian beim site seeing

„Gerade eben war ich noch am größten Flughafen Deutschlands in der Stadt der deutschen Skyline nach einem letzten gemütlichen Familienabend in den Fußgängerzonen Frankfurts. Noch immer bloß in Gedanken und ohne wirkliches Gefühl für das was kommt.“

Besser könnte ich meinen Standpunkt vor dem Austausch auch heute nicht in Worte fassen. Es waren meine Neugierde und der Zufall, die für dieses Erleben verantwortlich waren. Ich habe mich nie besonders mit China befasst und es war auch nie mein Traum dorthin zu reisen. Es war lediglich die AFS-Werbung in der U-Bahnlinie 2 in Berlin und das tolle Angebot durch das Mercator-Stipendium, deren Organisatoren ich meinen Dank ausspreche. All meine Vorstellungen und Erwartungen waren nur dem Geschichts- und Politikunterricht, sowie den politisch-kulturellen Diskussionen mit meinem Vater oder anderen zu verdanken. Also kannte ich hauptsächlich die Laienaussagen über China: riesig, viele Menschen, sozialistisch. Das war’s.

Doch meine persönlichen Vorstellungen und Vorfreuden für den Austausch waren der Ferne und der Fremde gewidmet. Ich wollte schon immer einfach mal weg. Irgendwohin, wo mich niemand kennt und wo ich mir ein eigenes neues Bild von allem und jedem machen kann. Meine einzige „Angst“ war, dass ich mich vor dem Ende des Austausches fürchten würde und ich nicht mehr nach Hause wollen würde. Dazu kam es sogar eine Zeit lang durch dieses Hoch in dem ich dort schwebte und von dem ich später im Text noch berichten werde.

Die Vorbereitungen fand ich sehr spannend und wichtig. Gerade Themen, wie man mit Einsamkeit umgeht, oder andere psychologische Aspekte eines solchen Austauschprogramms in der Fremde fand ich sehr ausschlaggebend für den späteren Verlauf. Dadurch, und durch die vielen Gespräche mit meinem Vater, den ehemaligen Chinaaustauschschülern oder anderen ehemaligen Chinareisenden, bin ich diese 2 Monate mit 100% Selbstsicherheit, Offenheit und ohne einen Funken Angst vor dem Neuen angegangen. Dieses war genau die richtige Einstellung, wie es sich mir später erwiesen hat. Einfach offen und neugierig sein war der Zauberspruch für mein Erleben.

Ein zweiter Absatz aus meinem Tagebuch:

Austauschschüler Fabian auf der Chinesischen Mauer

„Nach dieser ersten Touristenwoche mit Besuch Pekings und der chinesischer Mauer, die ich noch unter Deutschen verbrachte, geht es nun los zu meiner Gastfamilie nach Shanghai. Im Schnellzug mit ca. 360km/h und nur 3 Zwischenstationen auf einer Strecke von um die 1200km, habe ich mir im Rennen gegen die Zeit einen gefühlt riesigen Vorsprung verschafft.“

Wow, echt unglaublich, diese Zeilen jetzt zu lesen, wo mir doch die Zeit durch ihre Intensität wie durch die Finger verflossen ist. Doch wie schon zuvor war auch dies für den Moment genau die richtige Einstellung.

Dieses Leben in einer fremden Familie fühlte sich sehr schnell vertraut für mich an

Mit der Energie dieser rasenden Fahrt und meiner freudig lächelnden und winkenden Gastfamilie wurde ich am Bahnhof in Shanghai empfangen. Ich habe mich vom ersten Augenblick an sehr willkommen gefühlt. Mit meinem Austauschpartner bin ich direkt ins Gespräch gekommen und mein kleiner 8-jähriger Gastbruder hat alles, was er vom Grundschulenglisch schon so wusste, neugierig an mir ausprobiert. Ich habe mich mit diesen neuen Menschen in meinem Leben von Anfang an wohl gefühlt.

Meine Gastfamilie bestand aus meinen beiden Gasteltern, die beide Anfang 40 sind und in der Designbranche arbeiten, meinem gleichaltrigen Austauschpartner Yuheng und meinem kleinen Gastbruder, der während meiner 2 Monate dort seinen achten Geburtstag feierte. Mit diesen Menschen teilte ich mir nun, abgesehen von der Zeit im Internat, die meiste Zeit ein Zuhause. Doch auch mit meiner Gastoma mütterlicherseits kam ich, durch die häufigen Abendessen bei ihr, in guten Kontakt. Sie hat immer sehr lecker und deftig gekocht.

Jeder dieser Menschen hat mich herzlich und offen empfangen und mir das Gefühl gegeben, ein willkommener Teil dieser Familie zu sein. Das wurde ich auch. Gegen Ende war ich eindeutig mehr als bloß ein Gast, auch wenn es nur 7 Wochen waren. Was die größten Unterschiede zu meiner Familie in Deutschland ausmachte, waren der Alltag und die Sprache. Mein Austauschpartner sprach ein gutes Oberschulenglisch und meine Gastmutter ein gutes Anfängerenglisch und trotzdem gab es nie ein Problem wegen der Kommunikation. Mit den Anderen gebrauchten wir dann eben eine Übersetzerapp, um uns zu verständigen. Ich war sehr froh, so eine moderne und offene Gastfamilie gefunden zu haben. Und trotzdem war der Alltag um einiges strukturierter und abgesprochener als bei meiner Familie in Berlin.

Was bestimmt auch zu der Harmonie mit meiner Gastfamilie beigetragen hat, war das Gefühl, ein ganz neuer Mensch in einer ganz neuen Welt zu sein und das auch noch mit ganz neuen Mitmenschen. Ich konnte mir ein ganz neues Image aufbauen, durch das mich andere, wie auch ich selbst dann, betrachten. Ich war bloß anfangs vom Wohnort etwas enttäuscht, da ich seine Lage etwas mehr im Zentrum Shanghais erwartet hatte. Doch letztendlich habe ich mich genau in dieser riesigen und sozialistischen Blockgegend wohlgefühlt, in der ich lebte, und die 90 min Bus- und Metrofahrt bis zu den Wolkenkratzern waren auch kein Problem.

Dieses Leben in einer fremden Familie in einer fremden Welt, fühlte sich schon sehr schnell vertraut für mich an und ich habe die Freiheiten, die mir gegeben wurden, auch sehr genossen, wie z.B. meine vielen selbständigen Stadtausflüge, einfach ohne Plan und auf eigene Faust losfahren, um die Welt zu entdecken, fand ich super. Mir eigene Freunde auf einem Basketballplatz oder in einem Café zu suchen war mir auch sehr wichtig, da ich auch meinem Austauschpartner nicht 24 Stunden am Tag an der Backe kleben wollte. Ich habe genauso gerne etwas mit meiner Gastfamilie unternommen, wie z.B. Tempelbesuche, Jobbesuche, Sport oder auch einfach nur Spaziergänge mit tiefsinnigen und interessanten Gesprächen.

Am meisten genossen habe ich mit meiner Gastfamilie die kleine Reise, die wir unternommen haben. Auch wenn sie nur eine Übernachtung beinhaltete, so war es doch eine Übernachtung, die ich so niemals erwartet hätte. Die Reise ging zum „See mit den tausend Inseln“, wie der Name ins Deutsche übersetzt lautet. Diese eine Übernachtung verbrachten wir in 2 Luxushotelzimmern mit Blick auf ein herrliches Landschaftspanorama aus Seen und Bergen. Erst war strahlender blauer Sommerhimmel und abends dann mit dem spektakulärsten und hellleuchtendsten Gewitter meines Lebens. An diesem Tag sind wir sogar noch mit Gummibooten die Gebirgskaskaden entlanggefahren und alle komplett durchnässt und aufgedreht am Fuße des Bergflusses angekommen. Das hat echt total Spaß gemacht und es hat mich auch sehr gefreut, zu sehen, dass meine Gasteltern sich dieser Pause vom harten chinesischen Arbeitsalltag voll hingaben.

Durch diese Erlebnisse und die vielen total offenen Gespräche, habe ich meine Gastfamilie sehr zu lieben und zu schätzen gelernt. Daher fiel mir der Abschied auch so schwer, dass er nur durch das Anfangen der Planung für meine Wiederkehr zu besänftigen war. Somit habe ich ihnen dann versprochen, wie auch mir selbst in erster Linie, dass ich nächstes Jahr nach meinem Abschluss wiederkommen werde.

Ich würde den Schulalltag in Shanghai bevorzugen

Austauschschüler Fabian mit Gastbruder

Nach all diesem bisher erzählten Erleben innerhalb der ersten 4 Wochen Sommerferien, die ich die Hälfte meines Austauschs genießen durfte, ging es dann auch in die Schule. Natürlich hatte ich, durch die ganzen Berichte und Vorurteile über chinesische Schulen, schon das Gefühl, dass meine Zeit auf Wolke 7 sich nun vielleicht dem Ende zuneigt. Auch als ich hörte, dass ich nur Freitag und Samstag bei meiner Gastfamilie schlafen würde und die restliche Zeit im 6-Bettzimmer in der Schule und auf dem Schulgelände verbringen müsste, wurde mir schon etwas mulmig zumute.

Denn auch das Verlassen des Schulgeländes ist, für die dort übernachtenden Schüler, streng verboten und wird kontrolliert. Ohne Lehrerbescheinigung oder passenden Ausweis kam man an den Schultürstehern am Eingang nicht vorbei. Zumindest wurde mir das alles so im Voraus gesagt. Wie ich mir dann auf freundliche kluge Weise meine häufigen Lehrerbescheinigungen beschafft und mir meine Ausflüge gegönnt habe, ist dann eine andere Geschichte. Es war eine Ehre und ein Vorteil, internationaler Gastschüler zu sein. Hinzu kam allerdings auch noch, dass mein Stundenplan inklusive Abendstunden und Pflichtaktivitäten zwischen 8:00 und 20:30 Uhr zehneinhalb bis elfeinhalb Unterrichtsstunden beinhaltete. Alles Dinge, die einem Sorgen bereiten, doch zum Glück konnte ich mir mein eigenes Bild von dem Leben dort machen und habe alles gegeben, um es mir positiv anzupassen, soweit es möglich war.

Und dieses Leben und Bild, das ich mir dort gemacht habe, lässt mich heute noch sagen, dass ich den Schulalltag in Shanghai gegenüber dem viel schlechter organisierten Berliner Schulalltag bevorzugen würde. Auch wenn es eindeutig anstrengender und kräftezehrender war, in Shanghai mitzuhalten, ist für mich der Erfolg meines Lernens dort ausschlaggebend. Was ich dort in 4 Wochen lernte, ist mit dem in 10 Wochen in Berliner Schulen Gelernten nicht ansatzweise zu vergleichen. Ja, es ist ein leistungsorientiertes und keineswegs einfaches Schulsystem, doch die Motivation und die Resultate haben für mich überwogen.

In der „international class“ wird die chinesische Sprache in perfektem Englisch unterrichtet

Ich muss mein Glück diesbezüglich natürlich auch zugeben, da die „I&C foreign languages school“, wie der Name schon sagt, auf internationale Schüler spezialisiert ist. Mit der angebotenen Sprachvielfalt, die aus Deutsch, Englisch, Russisch, Spanisch, Französisch, Japanisch und Koreanisch bestand, hat sie sich diesen internationalen Titel auch echt verdient. Dazu kommt zu meinem großen Glück auch noch, dass sie eine extra „international class“ für ausschließlich Austauschschüler haben. In dieser wird die chinesische Sprache (Mandarin) und Kultur in perfektem Englisch unterrichtet. Das hat mir sehr viel bedeutet und war nach den ganzen Sorgen im Vorhinein eine tolle Überraschung. Wir waren ca. 10 Schüler in dieser Klasse, Schüler aus Korea, Kanada, Australien, Spanien, der Schweiz und Deutschland.

Das erste, das mir an dieser Klasse auffiel, war die Begeisterung der Lehrer, ihren Gastschülern die eigene Sprache und Kultur lehren zu können. Dieser gewisse Stolz und Patriotismus dabei haben mir auch sehr gefallen, gerade weil das in Deutschland ja ein sehr kritisches Thema ist. Auch das Alter des Lehrpersonals war sehr beeindruckend. Meine älteste Lehrerin war 33 und die jüngste 23. Interessanter Vergleich zu meiner jüngsten Lehrerin in Berlin, die Anfang 40 ist. Ich schätze mal, das liegt daran, dass der Lehrerberuf ein angesehenerer Beruf in China ist und es so etwas wie unseren Lehrermangel in Berlin nicht gibt.

Für Sport und Musik braucht man keine Sprache und kann jede Menge Spaß und Freundschaft damit erleben

Fabian mit jungem Chinesen

Neben all diesen Inhalten haben mich auch der riesige Sportplatz, die chinesische Begeisterung für Basketball und die entsprechenden 16 Basketballplätze beeindruckt. Für mich als ehemaligen Basketballfan war dies die perfekte Chance, die alten Fähigkeiten aufzufrischen und neue Freundschaften zu knüpfen. Auch meinen Austauschpartner und mich hat dies, und dazu die gemeinsame Begeisterung für das Musizieren, sehr verbunden. Wenn ich eines über interkulturelle Begegnungen gelernt habe, dann das, dass man für Sport und Musik keine Sprache braucht und man jede Menge Spaß und Freundschaft damit erleben kann.

Mit diesem Motto habe ich sehr viele interessante Freunde gefunden – aus allen Schichten und Altersklassen gemischt. Natürlich kamen die meisten von meiner Schule, aber ich habe mir auch erwachsene Business Manager, einen Musiklabelinhaber, eine Gesangsstudentin und eine Designerin zu Freunden gemacht. Zu allen halte ich auch noch immer den Kontakt und die Vorfreude aufs Wiedersehen. Neben Basketball gab es in der Schule natürlich auch noch die typische chinesische Morgengymnastik beim Fahnenappell. Dies war wahrscheinlich erschreckend autoritär und streng für die meisten, doch ich fand das super und hab jede Minute genossen. Ich finds nicht tragisch, wenn man mal gerade stehen oder eine Extrarunde laufen muss. Erst recht nicht, wenn der Lehrer so sympathisch und das Lehrer-Schülerverhältnis so harmonisch ist.

Mir ist auch aufgefallen, dass mir gerade die patriotischen Aspekte im Alltag gefallen haben. Mir gab es das Gefühl, ein Teil vom Team zu sein und an einem Strang zu ziehen. Natürlich ist das nicht immer der Fall, doch dort, wo es der Fall war, war es ein einmaliges Gefühl. Zum Beispiel sind wir mit Schulexkursionen zu Messen, Seminaren und anderen Events gegangen, bei denen meistens die Errungenschaften und zukünftigen Ziele Chinas das Thema waren. Ein Highlight, welches ich noch erwähnen will, ist mein Mitmachen Dürfen im aufwendig produzierten achtminütigen Videoclip, der unsere Schule präsentierte. Außerdem wurde auch ein Statement von mir in englischer Sprache zu meinem Erleben hier, begleitet von Bildern mit mir im Unterricht, für die Schule aufgenommen.

Ohne Übersetzer alleine in der Großstadt: kein Problem!

Überhaupt hat mich das Engagement der Chinesen, egal in welchen Bereich, sehr angesprochen. Diese Motivation und Stärke sind auch sehr stark auf mich übergesprungen und haben mich quasi angesteckt. Das hat mir beim Lernen der neuen Sprache sehr geholfen. Ich bin sehr stolz, behaupten zu können, dass ich, mit lediglich 4 knappen Wochen Chinesisch-Intensivunterricht in meinem Leben, alleine in der Großstadt klargekommen bin, ohne einen Übersetzer zu benutzen. Sei es nun, Essen zu bestellen, einzukaufen, nach dem Weg zu fragen, Smalltalk oder so einiges mehr. Ich bin erstaunt darüber, wie viel und mit wie viel Spaß und Elan ich dort gelernt habe. Es hat mich sogar so sehr begeistert, dass ich jetzt schon dabei bin, mich für das nächste Schuljahr an der „I & C foreign languages school“ in Shanghai einzuschreiben.

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