Tina, Italien, 2015, Schuljahr im Ausland mit Kreuzberger Kinderstiftung-Stipendium:

Nun bin ich schon seit einigen Wochen wieder in Deutschland und blicke noch einmal auf mein Austauschjahr zurück: Von September 2015 – Juli 2016 habe ich im Rahmen eines Schüleraustausches bei einer Gastfamilie in Sizilien in Augusta gewohnt und bin dort für 10 Monate zur Schule gegangen.

Meine Gastfamilie

Ich habe mich in dieser Zeit bei meiner Gastfamilie sehr wohl gefühlt, sie haben mich sehr herzlich und schon von Anfang an wie ein Familienmitglied aufgenommen. Sie haben sich sehr um mich gekümmert, haben mich anfangs mit viel Geduld bei meinen sprachlichen Hürden unterstützt und haben sich mit mir zusammengesetzt, um die Hausaufgaben zu erledigen.

Meine Gasteltern sind beide berufstätig, mein 18-jähriger Gastbruder ging so wie ich noch zur Schule. Wir haben in unserer Freizeit viel miteinander unternommen. In Italien ist mir besonders aufgefallen, dass der Zusammenhalt in den Familien eine sehr große Rolle spielt. Es ist immer jemand da, der Zeit hat und mit dem man reden oder den man einfach mal besuchen kann. Selbst zu Hause verbringt man selten seine Freizeit allein in seinem Zimmer. Man ist wirklich die meiste Zeit zusammen.

Es wird sich sehr viel untereinander geholfen. Selbst innerhalb  der Woche hat die Oma für die Familie gekocht und insbesondere mein Gastbruder und ich haben nach der Schule oft bei ihr gegessen. Jedes Wochenende hat sich dann die komplette Familie bei den Großeltern getroffen. Meistens waren wir über 20 Leute. Das Familienleben und der Zusammenhalt innerhalb der Familie haben mich wirklich sehr beeindruckt.

Ich habe immer wieder gestaunt, wie die Oma es schafft,  für so viele Leute zu kochen. Es hat wirklich jedes Mal sehr lecker geschmeckt. Wir haben dann gemeinsam zu Mittag gegessen und über die  wichtigen Dinge und Ereignisse der Woche geredet und diskutiert. Typisch italienisch ist, dass es sehr laut wurde und  mit dem „ganzen Körper“ gesprochen wurde. Italienisch ist wirklich eine wunderschöne Sprache, allerdings ist es mir anfangs nicht sehr leicht gefallen, diese schnelle und  wahnsinnig temperamentvolle Sprache zu verstehen und auch noch selber zu sprechen.

Meine Gastfamilie hat mich glücklicherweise sehr unterstützt und auf sämtliche Möbel im Haus die entsprechenden italienischen Vokabeln geklebt. Auch AFS-Italien hat für uns Austauschschüler noch einen Sprachkurs organisiert. Nach einiger Zeit fing ich wirklich an die Sprache zu verstehen und ich bin sehr glücklich, dass ich sie  nach meinem Austauschjahr auch fließend sprechen kann. Da ich anfangs wirklich sehr mit der Sprache zu kämpfen hatte, war ich dann umso  glücklicher über die kleinen Komplimente. Wenn man gelobt wird, welche tollen Fortschritte man gemacht hat und sich nun endlich auch mit seinen Mitschülern und Freunden unterhalten kann.

Die Schule

Während meines Austauschjahres habe ich die 11. Klasse, Schwerpunkt Wirtschaft, in Augusta besucht. Das italienische Schulsystem unterscheidet sich sehr vom deutschen System als auch vom Schulalltag generell. Die Schüler in Italien müssen sehr viel Lernstoff einfach auswendig lernen (manchmal bis zu 50 Lehrbuchseiten) und dieses Wissen dann in einer mündlichen Leistungskontrolle dem Lehrer vortragen. Schriftliche Tests werden nur sehr selten geschrieben. Normalerweise begann der Unterricht morgens 8.20 Uhr. Bis jedoch alle Schüler und auch der Lehrer im Klassenzimmer eingetroffen waren, war es meistens dann doch schon ein bisschen später.

Da es in Sizilien sehr warm ist, endete der Unterricht meist schon 13 bzw. 14 Uhr, dafür musste ich aber auch am Samstag zur Schule gehen. 6 Tage in der Woche zur Schule zu gehen war für mich anfangs sehr ungewohnt und ziemlich anstrengend. Die Jahres-Durchschnittstemperatur ist in Sizilien ca. 20 Grad, im Winter kann es für dortige Verhältnisse auch ziemlich kalt werden. Leider gab es in der Schule keine Heizung, sodass ich manchmal mit  Pullovern im Unterricht saß. Da habe ich die Wärme der Heizungen in Deutschland schon sehr vermisst.

Das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern war sehr unterschiedlich. Es gab einige Lehrer, mit denen meine Mitschüler sehr gut zurecht kamen und sich auch viele private Sachen erzählt wurden. Andererseits gab es, wie überall auch, Lehrer, die nur auf das Lernen fixiert waren und dadurch uns gegenüber distanzierter waren.

Zu einem weiteren Höhepunkt meines Austauschjahres mit meinen Mitschülern zählte die Klassenfahrt im Frühjahr nach Neapel. Wir haben uns viele Sehenswürdigkeiten in der Stadt und in der Umgebung angesehen und hatten in unserer Freizeit viel Spaß miteinander. Sonst verbrachte ich meine Freizeit meistens mit meiner Gastfamilie. Da ich nun die komplette Woche mit meinen Schulkameraden zusammen war, konnte ich auch engere Freundschaften schließen.

Wir haben zudem bei der Infiorata a Noto (einer sizilianischen Stadt) teilgenommen. Dabei handelt es sich um ein internationales Blumenfest. Bei diesem Projekt wurden riesige Bilder auf großen Straßen mit Blumenblüten ausgeschmückt. Während dieser kleinen Reisen lernt man viele Leute aus der ganzen Welt kennen. Außerdem erfährt man viel über ihre Lebenseinstellungen und Wertvorstellungen.

Freundschaften schließen

Es war nicht ganz einfach für mich, in dieser Zeit sofort gute Freunde zu finden. In Deutschland ist man am Anfang distanzierter und gute Freundschaften entwickeln sich erst mit der Zeit. In Sizilien hingegen wurde ich von Anfang an sehr herzlich und interessiert aufgenommen. Dadurch, dass so viele Leute nett zu mir waren, dachte ich, dass wir alle gute Freunde werden könnten, aber das kann täuschen. Es bestanden schon sehr feste Freundeskreise und es war schwer, sich ihnen anzuschließen oder jemanden zu finden, der die gleichen Interessen hat.

Es war schwer, mich auch nach der Schule mit meinen Klassenkammeraden zu treffen, da sie durch das Schulsystem sehr eingespannt und beschäftigt waren. Weiterhin gab es in meinem Ort kaum öffentliche Verkehrsmittel, um zu Freunden zu fahren (in Italien fährt man ja gewöhnlich mit der Vespa). Am Ende habe ich 2 beste Freunde gefunden, mit denen ich wirklich über alles reden konnte und hoffe, dass wir noch lange in Kontakt bleiben werden.

In meinem Ort waren wir 7 Austauschschüler aus 6 verschiedenen Nationen (Türkei, USA, Honduras, Mexiko, Thailand und Deutschland) der Organisation AFS. Wir haben sehr viel miteinander unternommen und uns im Laufe des Jahres über unsere landestypischen Traditionen und Kulturen ausgetauscht und gegenseitig viel voneinander gelernt. Ich denke, dass ich dadurch nun auch viele Ereignisse und Geschehnisse in der Welt aus verschiedenen Perspektiven betrachten kann. Dies war für mich mit einer der größten Bereicherungen meines Austauschs. Durch die Herausforderungen, die ein Austauschjahr mit sich bringt, haben wir uns sehr gut verstanden und konnten uns gegenseitig helfen und unterstützen. Es hat mich wirklich fasziniert, dass wir Exchange-Students aus 6 Nationen, alle mit unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Sprache, innerhalb der 10 Monate so eng zusammengewachsen sind und uns in einer für alle neuen Sprache, in die  italienische Kultur und ihren Alltag integriert haben.

Ich fühle mich natürlich immer noch sehr zu meinem Heimatland verbunden. Allerdings vermisse ich hier in Deutschland die temperamentvolle und herzliche Mentalität, die Sonne im Herzen und die Einstellung zu manchen Dingen wie in meiner Gastfamilie und meiner Freunde. In Deutschland sind wir ja eher besonnen und höflich distanziert.

Vielen Dank für diese Erfahrung

Ich möchte mich hiermit noch einmal recht herzlich bei der Kreuzberger Kinderstiftung bedanken, dass sie mir dieses Austauschjahr ermöglicht haben. Ich konnte sehr wertvolle Erfahrungen für meinen weiteren schulischen und privaten Lebensweg sammeln und dadurch meine Persönlichkeit weiterentwickeln. Ich stehe offener und interessierter andern Kulturen und Lebenseinstellungen gegenüber. Mir ist es wichtig, dass trotz der unterschiedlichen Mentalitäten, Traditionen und Sprachen Menschen toleranter und respektvoller miteinander umgehen sollten.

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