Jonathan, Bolivien, 2015, Schuljahr im Ausland mit Metropolregion Rhein-Neckar-Stipendium:

Das Auslandsjahr ist um, und damit auch eine wunderbare und einzigartige Zeit auf die ich immer wieder gerne zurückblicken werde. Auf dem Rückflug konnte ich mir garnicht vorstellen, ein Jahr weit weg von zu Hause gelebt zu haben. Noch weniger, in wenigen Stunden wieder nur noch Deutsch zu sprechen und nicht mehr meine Schule in Bolivien zu besuchen. Die letzte Zeit mit ihren Abschiedsfeiern und dem komischen Gefühl der Abreisestimmung machten es nicht unbedingt leichter sich angemessen darauf vorzubereiten. In meinem Bericht möchte ich noch einmal zurückblickend erzählen und einen kleinen Einblick in mein Leben in Bolivien geben.

Freundschaft in Deutschland und Bolivien

Das Erste was man von seinem Gastland zu Gesicht bekommt ist natürlich die andere Kultur, die sich zuerst einmal an der Kleidung, dem Essen und der Sprache ausdrückt. Mit der Zeit findet man aber auch in die Gewohnheiten der Menschen hinein und lernt ihre Lebensform kennen.

Eine Sache die mir während meines Auslandsjahres bewusst wurde, ist das Freundschaft in Deutschland ein teilweise ganz anderes Verständnis hat als in Bolivien. In Bolivien wurde ich bei meiner Ankunft in der Schule freundlich und offen aufgenommen und von allen Seiten neugierig beäugt und ausgefragt, womit wir beim ersten Unterschied zu Deutschland sind. Hier ist man zuerst zwar in gewisser Weise interessant, aber ich habe von Austauschülern in Deutschland gehört, die sich anfangs nicht gut aufgenommen in ihrer Klasse fühlten.

Doch mit der Zeit wurde auch ich wieder als „normal“ angesehen und plötzlich fehlte mir der gute Freund, der mit mir ein Hobby teilt oder einfach was mit mir unternehmen möchte. Das war vor allem in den Sommerferien hart und ich musste eigenständig etwas unternehmen, da meine Gasteltern arbeiteten und mein Gastbruder nicht viel Zeit für mich hatte. Das kann sich für den angehenden Südamerika-Austauschschüler zwar schlimm anhören, doch ich bin froh sagen zu können, dass ich mit der Zeit wirklich feste Freundschaften aufbauen konnte. Vor allem im letzten halben Jahr in  der Schule, der Kirche und beim Tanzen.

Was mir an der bolivianischen Kultur besonders gefallen hat, war die Offenheit und Freundlichkeit den Leuten gegenüber

Was mir an der bolivianischen Kultur besonders gefallen hat, war die Offenheit und Freundlichkeit den Leuten gegenüber, die sich auch, so wie ich finde, in der Begrüßung der Frauen und Mädchen wiederspiegelt. Diese werden mit einem Küsschen auf die rechte Backe begrüßt (auch fremde Leute) und bei besserer Freundschaft wird es erst ein Küsschen, dann eine Umarmung und wieder ein Küsschen. Das war eine der Sachen, die mir bei meiner Ankunft in Deutschland komisch vorkamen, nämlich Frauen meistens die Hand zu geben. Auch wenn ich in diesem Fall gerne diese Art von Begrüßung auf Deutschland übertragen würde, wäre das hier wohl eher weniger angebracht.

Was mir noch gefallen hat, war das immer obligatorische „gracias“ (danke) und „de nada“ (keine Ursache) nach jedem auch noch so kleinem erfüllten Gefallen. In Deutschland sind viele Menschen einfach unzufrieden mit dem was sie schon haben, das mit Bolivien verglichen doch ein materiell reicheres Land ist.

Was mir immer noch anhängt sind die farbenfrohen Tänze und die Rhythmen der traditionellen bolivianischen Musik. Das bemerkten schon meine bolivianischen Freunde und meine Gastfamilie mit viel Humor und ich wurde sogar gelobt, dafür, dass ich manche Begriffe besser wusste als einige meiner Freunde, die weniger mit den Volkstänzen am Hut haben. Auch nach Deutschland hatte ich die Möglichkeit Musik mitzunehmen, die ich spontan genutzt habe. Und falls ich mal wieder etwas Fernweh habe, kann ich darauf zurückgreifen.

Herausforderungen meines bolivianischen Alltags

Ich denke während dem Aufenthalt im Ausland lernt man vor allem kleine aber auch große Sachen aus Deutschland schätzen, die einem auf einmal fehlen können. Wenn zeitweise die Vorteile der Heimat überwiegen, kann Heimweh aufkommen, was selten zur Bewältigung der Situation beiträgt. An allererster Stelle vermisste ich das Leben in einer Großfamilie (ich habe 4 Gastgeschwister). Da sich meine Gastfamilie nicht nur in der Größe unterschied, sondern auch mit unseren gemeinsamen Aktivitäten. Wie sonntags der Gottesdienstbesuch und das Frühstück zusammen, auch wenn das weniger mit Bolivien als mit meiner Gastfamilie zu tun hatte, die ich sehr gern habe, und ihnen dankbar für ein ganz wundervolles Jahr bin.

Leider lassen die Sauberkeit und der Umweltschutz in Bolivien noch zu wünschen übrig. Darunter leidet auch das Straßenbild und wenn ich meist abends den schon sehr geschrumpften Fluss auf einer Brücke überqueren wollte, schlug mir nicht selten der klärschlammähnliche Geruch entgegen.

Pünktlichkeit ist auch etwas, das in Bolivien nicht so wichtig genommen wird, außer in der Schule natürlich. Auch wenn viele Menschen in Bolivien mir Verbesserung gelobten und den „Fluch“ der „hora boliviana“ also des bolivianischen Pünktlichkeitsverständnises benannten, änderte sich in dieser Hinsicht wenig bei ihnen. Ich selbst bin nicht der Allerpünktlichste, doch in Bolivien, ich denke in ganz Südamerika, wird eine angegebene Uhrzeit nie so wichtig genommen, meistens trudeln die Ersten so eine Dreiviertelstunde danach ein, woran ich mich mit der Zeit mehr oder weniger gewöhnte.

Das Verhältnis zu den Lehrkräften ist entspannt

Ein sehr angenehmer Teil meines bolivianischen Alltags war das sehr entspannte Verhältnis der Schüler zu den Lehrern, was mir sehr bald auffiel. Lehrer werden immer mit dem Vornamen angesprochen und trotzdem sah ich kaum einen Unterschied in Sachen Respekt zu meiner Schule in Deutschland. Natürlich gibt es in Bolivien wie überall Lehrer ohne Durchsetzungsvermögen, die nicht imstande sind, eine Klasse unter Kontrolle zu halten. Regelmäßig wurden auch Fußballturniere organisiert, an denen häufig Lehrermannschaften teilnahmen. Das wurde immer als besondere Herausforderung der Schüler angenommen. So wie das Verhalten zu den Lehrern entspannt ist, haben die Eltern großen Anteil am Schulleben, durch die lange Zeit der Schüler in ein- und derselben Klasse. Bei den häufigen Veranstaltungen unserer Stufe hatten die Eltern viel Anteil beim Verkauf und der Organisation und ich wurde von ihnen immer wieder nett angesprochen.

Mein Jahr war etwas ganz besonderes

Mein Jahr war etwas ganz besonderes, ich habe Anteil an einer Kultur von einem Land bekommen, das eher unbekannt ist in Deutschland, mir aber während dieser Zeit zu einer zweiten Heimat geworden ist. Deshalb wurde mir noch einmal ganz besonders bewusst wie dankbar ich denen sein kann, die mir dieses Jahr möglich gemacht haben, dieser Dank geht zuallererst mal an die Metropolregion Rhein-Neckar/der SAP, die durch ihre finanzielle und persönliche Unterstützung viel geholfen haben. Das regelmäßige Berichteschreiben machen, und machten es einfacher, persönliche Erfahrungen besser zu verarbeiten, und die Berichte werden eine tolle Erinnerung an die Zeit sein. Meine Rolle als Botschafter wird mir im Nachhinein noch einmal besonders bewusst, es ist nämlich immer wichtig einen guten Eindruck meines Landes und ganz besonders von meiner Region zu hinterlassen.

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