Es mag ein wenig verrückt klingen, aber ich träumte bereits mit 13 Jahren davon, einmal ein Auslandsjahr zu machen. Einfach weg ans andere Ende der Welt, ohne zu wissen, was da auf einen zukommt. Das klang unheimlich faszinierend für mich. Nun ja, mittlerweile ist fast die Hälfte meines großen Abenteuers schon rum. Die Zeit ist bisher nur so gerast und ich versuche wirklich jeden Moment zu genießen, auch wenn das nicht immer ganz so einfach ist.
Einleben in Argentinien – Kontraste
Vor 5 Monaten bin ich in Argentinien angekommen. Mit meinem großen roten Koffer, etwa 20 Spanischvokabeln und einem breiten Lachen im Gesicht. Klingt unglaublich, aber mehr braucht es anfangs gar nicht. Meine Gastfamilie hat mich ganz lieb empfangen und mir gleich am ersten Tag das Gefühl gegeben, hier zuhause zu sein. Zu Beginn war die Kommunikation natürlich noch ein wenig schwierig, aber im Nachhinein kann ich da nur noch drüber lachen. Zu Beginn hat mir meine Gastschwester ein wenig mit ihrem Englisch unter die Arme gegriffen, aber schon bald war das gar nicht mehr nötig. Nach zwei Monaten schon konnte ich mich mehr oder weniger fließend unterhalten. Das mag wahrscheinlich auch daran liegen, dass die Argentinier den ganzen Tag reden – in der Regel alle gleichzeitig. An meinem ersten Schultag wurde ich sofort von meinen Klassenkameraden umringt und mit Fragen durchlöchert. Auch als ich der ganzen Verwandtschaft vorgestellt wurde, haben mich alle gleich ganz interessiert ausgefragt.
Die Leute hier sind wunderbar offen und man kommt selbst mit wildfremden Menschen sofort ins Gespräch. Das macht einem das Leben als Austauschschüler natürlich zu Beginn recht einfach. Mir persönlich erscheinen die Argentinier um einiges gelassener als die Deutschen. Man sieht nicht alles immer so ernst, Pünktlichkeit und Organisation werden nicht überbewertet, dafür herrscht hier die Spontanität. Es ist wunderbar einfach, etwas zu unternehmen. Fragen wer gerade Zeit und Lust hat und schon geht es los. Einen Abend hat meine Schwester mit meiner Cousine spontan beschlossen, feiern zu gehen. Ich hatte eigentlich keine Lust und meinte, ich würde zuhause bleiben. 5 Minuten vor Abfahrt hat sich meine Meinung überraschenderweise geändert und ich bin doch mit. Sowas hätte ich wohl in Deutschland nie gemacht. Ich war es gewohnt, so etwas vorher zu organisieren. Lange vorher. Das Wiedereingewöhnen wenn ich zurück bin, stell ich mir schon ziemlich witzig vor.
Gemeinsamkeit beim Tee-Trinken
Eine Sache, die ich ebenfalls hier in Argentinien gelernt habe, ist das Teilen. In der Schule wird die Kekspackung in der Regel einmal durch die ganze Klasse gereicht, der Besitzer kriegt höchstens zwei Stück ab. Bei mir zuhause werden sämtliche Schuhe und Klamotten zwischen meiner Schwester, Mutter und mir rumgereicht. Das ist verdammt praktisch und der perfekte Übergang zu einer der wichtigsten Traditionen hier. Das Matetrinken. Mate, das ist das Nationalgetränk der Argentinier. Der Matebecher wird mit Yerbablättern gefüllt und mit heißem Wasser aufgegossen. Getrunken wird aus einem Strohhalm mit Siebeinsatz, sodass die Blätter nicht verschluckt werden. Alle trinken aus dem selben Strohhalm. Der Becher wird immer wieder rumgegeben, bis die Thermoskanne alle ist. Mate steht für Gemeinsamkeit und Teilen. Man trifft sich oft einfach nur zum reden und Matetrinken. Im Park, auf dem Plaza, im Stadtzentrum, sogar beim Autofahren. Mate getrunken wird immer und überall. Meine Gastschwester hat mir zum Geburtstag meine eigene „Mateausrüstung“ geschenkt. Wenn ich mich mit Freundinnen treffe, bin immer ich es, die ganz stolz ihre Mateutensilien mitschleppt.
Alltag und Familie
Jetzt im Sommer verbringen wir meist die Nachmittage bei jemandem zuhause im Pool. Am Samstag öffnen immer die Discos. Viele sind im Freien und gehen bis in die frühen Morgenstunden, bis die Sonne schon wieder aufgeht. Anfangs hatte ich mich hier immer ein wenig Fehl am Platz gefühlt, da ich die Musik nicht kannte. Das Problemchen hat sich mittlerweile aber in Luft aufgelöst. Ich persönlich gehe allerdings nicht allzu oft aus. Da treffe ich mich lieber Abends bei Freunden zuhause und wir kochen und essen zusammen. Oder wir bestellen halt was. Zum Beispiel die typischen Empanadas – kleine gefüllte Teigtaschen. Richtig lecker. Die liegen auch bei Familienfeiern häufig auf dem Tisch.
Familie ist in Argentinien unglaublich wichtig und man trifft sich häufig. Geburtstage werden mit der gesamten Verwandtschaft gefeiert und natürlich mit einem Haufen Essen, in der Regel Asado – das berühmte argentinische Grillen. Ja, hier isst man wirklich eine Menge Fleisch, was für mich als Vegetarierin nicht immer ganz leicht ist. Meine Gastfamilie hat damit zum Glück kein Problem, wofür ich unglaublich dankbar bin. Wie bereits erwähnt, hatte ich mich hier gleich am ersten Tag zuhause gefühlt. Es ist unheimlich wichtig, mit der Zeit ein wirklich gutes Verhältnis zur Gastfamilie aufzubauen. Das sind immerhin die Leute, mit denen du ab sofort die meiste Zeit verbringen wirst. Ich würde es wirklich jedem Austauschschüler ans Herz legen, viel mit seinen Gasteltern zu reden. Sie müssen wissen, was dir wichtig ist, wie du dich fühlst und was dich bewegt. Umgekehrt solltest du natürlich auch die Regeln in deiner Gastfamilie beachten und dich einbringen und mithelfen.
Herausforderungen meistern
Es ist natürlich nicht immer ganz einfach so weit weg von zuhause. Auch ich hatte schon richtig mieses Heimweh. Aber das ist normal und gehört zu einem Auslandsjahr dazu. Aus solchen Situationen lernt und wächst man eben am meisten. Wichtig ist es, nie zu verzweifeln und immer wieder aufzustehen. Suche dir Ablenkung, tue Dinge, die dich glücklich machen. Und am allerwichtigsten: rede mit jemandem. Am besten Helfen kann da meist die Gastfamilie. Als ich neulich wirklich schlimmes Heimweh hatte, habe ich mich nach nur fünf Minuten mit meiner Gastmutti schon viel besser gefühlt und als sie mich dann ganz fest umarmt hatte, waren alle Sorgen gleich wie weggeblasen. Was würde ich einem zukünftigen Austauschschüler noch mit auf den Weg geben? Probiere dich aus und mache immer alles mit! Ein Jahr ist gar nichts und im Handumdrehen bist du wieder zurück in Deutschland. Nichts ist schlimmer als im Nachhinein nicht ergriffene Chancen zu bereuen. Ich bin unheimlich dankbar dafür so eine einmalige Erfahrung machen zu dürfen und möchte mich dafür ganz herzlich bei meiner Familie und naürlich bei der Deutschen Bank für mein Stipendium bedanken. Sechs Monate bleiben mir noch von meinem Abenteuer und davon werde ich jede Sekunde in vollen Zügen genießen.