Gastfamilie Stang-Weber, China, 2008/09
Unsere ersten praktischen Erfahrungen mit AFS machten wir vor 2 Jahren als sich unsere Tochter für ein Austauschjahr bewarb. Da wir bis dahin keinerlei Erfahrungen mit Gastschülern hatten, aber neugierig auf junge Leute aus anderen Ländern waren, entschieden wir uns, es mit einem Midstay-Aufenthalt zu versuchen. So kam eine junge Thailänderin für 2 Wochen in unsere Familie. Es war für uns sehr interessant und befremdlich zugleich in diese doch ganz andere Kultur einzutauchen. Manche asiatische Denkweise haben wir erst durch unsere zweite Gasttochter verstehen gelernt. Da unsere Tochter nach Thailand abgereist war und ihr Zimmer leerstand, kam Xiao aus China zu uns. Sie war ein nettes Mädchen und wir hatten sie schnell in unser Herz geschlossen.
Mit Xiao erlebten wir die Kinder- und Jugendzeit im Eiltempo: Wir brachten ihr das Sprechen in Deutsch bei, erklärten ihr wie hier alles funktioniert, zeigten ihr das Fahrrad fahren und erlebten die Pubertät. Am Anfang hatten wir mit einigen Mißverständnissen zu kämpfen. Auf die Frage „möchtest du dies oder das“ kam die Antwort „ist mir egal“. Was denken deutsche Eltern bei einer solchen Antwort? Richtig, „kein Bock“. Xiao dachte dabei etwas ganz anderes, nämlich „aus Respekt überlasse ich euch die Entscheidung“. Sie hat sich also für chinesische Verhältnisse sehr höflich verhalten. Wir waren über diese Antwort sehr überrascht und Xiao fiel aus allen Wolken, als sie erfuhr was die Antwort „ist mir egal“ in Deutschland bedeutet. So hatten wir unser erstes Mißverständnis ausgeräumt. Deutschlernen fiel Xiao am Anfang nicht leicht. Zuviele Artikel, zuviele Fälle, einfach zu komplizierte Grammatik. Aber sie war eine fleißige Schülerin und lernte schnell. So konnten wir immer mehr von Englisch auf Deutsch übergehen.
Xiao gewöhnte sich langsam an die deutsche Kultur
Für Xiao war es verwunderlich sich mit den Nachbarn oder dem Sitznachbarn im Zug zu unterhalten. Sie kannte dies von zuhause nicht. In den chinesischen Großstädten leben die Leute anonym und interessieren sich nicht für ihre Mitmenschen. Xiao mußte erst lernen auf die Leute zuzugehen. Da sie etwas schüchtern war, hatte sie dasselbe Problem auch in der Schule. Dies erfuhren wir aber erst durch eine Klassenkameradin, da chinesische Kinder ihre Eltern nicht mit Problemen „belasten“ und sie es nicht gewöhnt sind über ihre Gefühle zu sprechen. Es hat doch ziemlich lange gedauert, bis Xiao in der Schule Anschluss fand. Zuhause war sie ganz anders und wir haben viele interessante aber auch unschöne Dinge über China erfahren. Xiaos größtes Problem am Anfang war außer Deutsch die deutsche Küche. Jeden Tag Brot, morgens Brot, in der Schule Brot, abends Brot. Das fand sie anfangs schrecklich und vermißte die 3 warmen Mahlzeiten aus China. Am liebsten aß sie Fleisch, Wurst und Leberkäse. Und sie liebte Pizza über alles. Mit der Zeit hatte Xiao sich gut eingelebt und an das Leben in Deutschland angepasst. Trotzdem fiel ihre Stimmung in der Weihnachtszeit und in der Zeit um das chinesische Neujahrsfest in den Keller. Sie hatte Heimweh und vermisste ihre Schulfreunde.
Die Zeit mit Xiao ging leider viel zu schnell zu Ende. Wir haben die 10 Monate mit ihr sehr genossen und waren sehr traurig, als sie wieder abreisen mußte. Es war auf beiden Seiten ein sehr tränenreicher Abschied. Nach ihrer Rückkehr nach China schrieb Xiao uns, dass sie in Deutschland erst erfahren hat, was Freiheit bedeutet, und dass deutsche Familien viel warmherziger sind als chinesische.
Nach den positiven Erfahrungen mit Xiao begann das Abenteuer Gastschüler von neuem: Seit ein paar Wochen ist Wen, ein Junge aus China bei uns.