Anna, Indien, 2018, weltwärts:

Anna hat ihren Freiwilligendienst in Indien mit AFS und dem weltwärts-Programm gemacht. Sie hat Kinder unterstützt und schildert im folgenden Bericht ihre Eindrücke und Erfahrungen.

Land und Leute

Komische unstrukturierte Tagesabläufe wurde zum gewohnten Alltag, Fremde zu Freunden und Bekannten und das superscharfe Frühstück zu meinem Lieblingsessen. Anfangs fühlte sich alles so an, als würde ich das Leben anderer Personen von außen betrachten, ohne dazu zu gehören, bis ich nach und nach ganz unbemerkt ein Teil davon wurde. Langsam wurde mir der Sinn hinter all den ungewohnten Dingen klar und ich konnte alles besser einordnen und einschätzen.

Beispielsweise das Hotel, in dem wir unsere erste Nacht verbracht haben, kam mir anfangs eher ungepflegt rüber. Als ich elf Monate später zum „Final Evaluation Camp“ wieder dort war, sah es aus, wie ein super nobles Hostel. Mit dem Beispiel möchte ich jetzt nicht hervorheben, dass die Standards in Indien niedrig sind, das sind sie nicht. Es gibt nun mal einfach indische und deutsche Standards, die man nicht miteinander vergleichen kann, weil jedes Land nun mal seine Schwerpunkte anders setzt. Mit der Zeit bekam ich einen besseren Blick für diese Schwerpunkte.

Durch viel Beobachten automatisierten sich bei mir dann auch der indische „Kopfwackler“ und der ausschließliche Gebrauch der rechten Hand. Meine Kinder brachten mir bei, Männer nicht zurück zu grüßen; „das gehöre sich nicht“, hieß es entsetzt. Das ständige Schwitzen und das Fehlen einer sonst gewohnten deutschen Tagesstruktur fielen gar nicht mehr auf.

Beim Surfen lernte ich eine gute Freundin in meinem Alter kennen, mit der ich mich ab und zu getroffen habe. Wir gingen gerne zusammen klettern, schwimmen und surfen. Gleichzeitig verbrachte ich meine Freizeit viel mit Freiwilligen und Leuten von der „Varanashi Organic Farm“, einem ökologischen Projekt in meiner Nähe. Auch die „Highschool-Kids“ und die Köchin meiner Einsatzstelle wurden gute Freunde.

Arbeitsplatz

Ich arbeitete in einer katholischen Einrichtung für Kinder zwischen sechs und fünfzehn Jahren. Da ich vor Ort im Projekt lebte, musste ich dafür keine Zeit aufwenden, um zur Arbeit zu kommen. Die Aufgaben waren verschieden, und da es nur einen groben Tagesablauf gab, der von Tag zu Tag variierte, machte ich mich immer selbstständig auf die Suche nach Aufgaben oder fragte immer wieder die Nonnen.

Während der Schulzeit weckte ich die Kinder, verteilte Zahnpasta, betreute deren Morgensport und sorgte dafür, dass sie ihre „Cleaning-Duty“ und Hausaufgaben erledigten bis es dann Frühstück gab. Danach ging es los in die Schule und es kehrte Ruhe ein im Shanthi Ashram. Hin und wieder bekam ich in dieser Zeit von den Nonnen unterschiedliche Aufgaben, von Computerarbeit bis zu Einkäufe erledigen. Nachmittags unterrichtete ich zwei Stunden lang Vorschulkinder in Englisch, wobei der Unterricht auch viel aus Malen bestand. Eine gute Vorbereitung auf das, was von mir erwartet wurde, gab es nicht.

Am späten Nachmittag, wenn die Kinder aus der Schule kamen, gab es erst einmal Chai. Immer öfter half ich auch beim Kochen mit. Ich verstand mich sehr gut mit der Köchin und freute mich, ihr helfen zu können. „Morgen früh 5:00 Uhr Chapatthi?“, hieß es dann kurz vorm Schlafengehen und ich freute mich auf zwei Stunden schwitzend am Feuer Chapatthi wenden. Nach dem Chai wurde geduscht, öfter gab es auch noch Gartenarbeit und dann musste gelernt werden. Spielzeit gab es während der Schulzeit so gut wie nie.

Sonntags war der einzige Tag, an dem die Kinder auf dem Schulhof nebenan spielen durften und nicht so übermäßig viel lernen mussten. Leider griffen die Nonnen oft zum Schlagstock, um ihre Autorität zu verdeutlichen. Auch wenn es selten klare Aufgaben gab, war eine Arbeitswoche doch anstrengend, weil man einfach dauerhaft im „Einsatz“ ist.

Unterkunft im Projekt

Wie bereits erwähnt, wohnte ich im Projekt. Zusammen mit einer anderen Freiwilligen auch aus Deutschland teilte ich mir ein Zimmer und wir hatten zu zweit unser eigenes Bad. Das Zimmer lag hinter der Küche in einem kleinen Anbau, weshalb wir in unserem Raum meist eher nicht von den Kindern gestört wurden. An unserem Ankunftstag begrüßten uns die Kinder voller Freude und ich wurde einfach nur völlig überrumpelt überall mit hin geschleift. Das Einleben hat mich etwas Zeit gekostet. In den ersten Wochen wirkte besonders durch die Monsunzeit das Gebäude sehr düster und ich akzeptierte nur langsam, dass dies nun für die nächste Zeit mein neues Zuhause sein würde. Drei Monate später wurde mir dann irgendwann bewusst, dass alles auf einmal ganz normal war – mein Alltag halt.

Mit den Nonnen kam ich im Ganzen ganz gut klar, wobei ich mich auch gut über sie aufregen konnte. Dass sie „meine Kids“ schlugen, tat mir im Herzen weh und ich endete heulend im Flur vor meinem Zimmer. Ich fühlte mich manchmal machtlos ihren Regeln ausgeliefert und herumkommandiert. Es gab eine klare Rangfolge und auch wenn sie meinten, dass ich eine ihrer Kolleginnen war, fühlte ich mich nicht als solche behandelt und wertgeschätzt. Dafür baute ich eine wunderschöne Bindung zu den Kindern auf und rief mir immer wieder ins Gedächtnis, dass ich das alles nur für sie tue, um ihnen den Alltag zu verschönern. Mit einem Adventskalender, gefüllten Nikolaus-Flipflops, einer Schatzsuche und auch mal einem Eis gelang es uns, den Alltag etwas zu versüßen.

Besonders in den ersten Monaten fanden sehr viele katholische Feste statt, zu denen wir wie selbstverständlich auch mitgenommen wurden. Von einem Nachbarn wurden wir zusammen mit den Nonnen auch zu der Hochzeit seiner Tochter eingeladen. Nachdem man dann zwei Stunden an unseren Sarees rumgezupft und mir ein Mädchen dick Eyeliner aufgetragen hatte, während sich ein anderes Mädchen um meine Haare kümmerte, bekamen wir dann tatsächlich die Chance, an einer indischen Hochzeit teilzuhaben. Letztendlich musste ich dann aber feststellen, dass die Hochzeit zwar riesig war, aber doch nicht so pompös, wie ich es mir aus Erzählungen vorgestellt habe.

Der Abschied fiel eher unspektakulär aus, da die Kinder zu dem Zeitpunkt in die Sommerferien nach Hause gingen. Ich habe das Gefühl, dass Inder Abschiede nicht so endgültig betrachten wie wir Deutschen. So ganz nach dem Motto; man sieht sich immer zweimal im Leben.

Betreuung

Während der elf Monate gab es vier Seminare vor Ort von der AFS-Partnerorganisation „FSL India“: On-Arrival Camp, Quarter-Evaluation, Midterm-Evaluation und Final Evaluation Camp. Durch diese Treffen konnten wir uns mit den anderen Freiwilligen austauschen und bekam eine Auszeit vom Arbeitsalltag. Zudem stattete uns unser zuständiger Koordinator jeden Monat einen Besuch ab und wir mussten einen „monthly report“ einreichen. Die wöchentlich vorgeschriebenen Gespräche mit unserer Kontaktperson im Projekt gab es nicht in der gewünschten Form. Wenn uns etwas auf dem Herzen lag, konnten wir aber eigentlich fast immer mit ihr reden. Von Kontakt zu AFS war ich nur in Notfällen ausgegangen, und da es bei mir keine Notfälle gab, kam es auch nie zu Kontakt. In regelmäßigen Abständen bekam ich eine Mail, für einen Zwischenbericht.

In meinem Projekt kam es zum Konflikt, weil uns anfänglich vom Projekt verboten wurde, Urlaub zu nehmen. Meine Mitfreiwillige und ich wendeten uns an unseren Koordinator, welcher sich für uns einsetzte und den Nonnen die Regeln zum Urlaubnehmen noch einmal eingehend erklärte. Zwar besserte sich die Situation etwas, doch die Nonnen blieben uns gegenüber unfreundlich gestimmt, wenn wir ein paar Tage Urlaub nahmen. Es wurde uns aber kein weiteres Mal verboten, Urlaub zu nehmen, und unser Koordinator erkundigte sich immer wieder über unsere „Urlaubssituation“.

Sprache und Kommunikation

Bei meiner Ankunft fühlte ich mich selbst mit meinen eigentlich guten Englischkenntnissen komplett aufgeschmissen. Die Koordinatoren habe ich nur schwer verstanden und der Höhepunkt kam dann, als der Pastor von unserer Kirche mich fragte, ob ich überhaupt Englisch könnte. Bevor man nach Indien geht, sollte einem also vorher bewusst sein, dass es definitiv einen, wenn auch kleinen, Unterschied zwischen Englisch und „Indisch-Englisch“ gibt. Außer zwei kleinen unstrukturierten Unterrichtsstunden in Kannada hatte ich keine weiteren Vorkenntnisse in der Sprache vor Ort. Lediglich etwas Hindi hatte ich mir vor der Abreise angeguckt, doch das hat mir nur in meiner „Norden-Reise“ einen kleinen Vorteil verschafft. In meinem Projekt hatte ich nur drei „Kannada-Lessons“, doch zusammen mit den Kindern und meiner anfänglichen Motivation konnte ich einen guten Wortschatz aufbauen – an Grammatik mangelte es mir leider bis zum Ende hin. Dafür kam ich mit meinem „solpa“ (Anm.: „ein bisschen“) Kannada super zurecht.

Ich habe Unterhaltungen vom Kontext her verstanden, konnte mit Taxifahrern telefonieren, Einkäufe erledigen, mich mit den Arbeitern verständigen und mit meinen Kindern rumspaßen. Oft wendete man sich an mich, um mir und den anderen Freiwilligen die Arbeitsabläufe oder anderes zu erklären. Dann hieß es, dass ich sehr gut Kannada kann, obwohl ich meine Kenntnisse absolut mangelhaft finde. Wobei ich stolz auf das war, was ich wusste. Dennoch hätte ich gerne mehr gelernt, doch die Chance habe ich leider verpasst.

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