Melissa, Brasilien, 2018, weltwärts:

Melissa hat ihren Freiwilligendienst in Brasilien mit AFS und dem weltwärts-Programm gemacht. Sie hat bei „Fundação Futuro“ das vielseitige Kursangebot für Jugendliche am Übergang ins Berufsleben mitgetragen und sich in der Bibliothek des Projekts engagiert. Über ihre Erlebnisse berichtet sie hier.

Land und Leute in Brasilien

AFS-Chapter São Paulo, Brasilien

Schon vor meiner Ausreise hatte ich mich sehr auf Brasilien gefreut, das Land, die Kultur und die Leute dort zu erleben und kennenzulernen. Besonders spannend fand ich, dass in Deutschland (natürlich) eher ein Halbwissen über Brasilien vorherrscht und ich mich deswegen auch nach etwas Recherche ziemlich unvoreingenommen auf das Jahr und dieses „fremde“ Land einlassen wollte.

Was mir zu jeder Zeit und sofort von Anfang an auffiel und was ich auch sehr schätzen und lieben gelernt habe während meines Austausches, war die unglaubliche Offenheit, Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit der meisten Brasilianer. An die Begrüßung – eine feste Umarmung und je nach Region ein, zwei oder drei Küsse auf die Wangen – musste man sich zwar erst einmal gewöhnen, aber danach fand ich es umso schöner, jeden so herzlich zu begrüßen, sei es der Arbeitskollege oder ein guter Freund.

Am Anfang waren natürlich unzählige Dinge neu, an die man sich mit der Zeit gewöhnt hat, vor allem für mich auch das Essen, beziehungsweise die Essgewohnheiten. Generell kommt bei den meisten brasilianischen Familien jeden Tag „arroz, feijão e carne“ auf den Tisch, also Reis mit Bohnen und ein Typ Fleisch. Gerade anfangs fiel es mir doch schwer, mich daran anzupassen, dieses Gericht fast jeden Tag zu essen, doch mit der Zeit wurde auch das ein Teil des Alltags.

„An den Wochenenden wurde sich oft getroffen für Spieleabende, zusammen essen oder ins Kino gehen.“

Zunächst war es für mich nicht leicht, brasilianische Gleichaltrige kennenzulernen, da ich nicht zur Schule gegangen bin, sondern gearbeitet habe und eben sehr viel schneller Freundschaften in einem Umfeld wie der Schule entstehen können, zumal es in Brasilien auch ziemlich normal ist, statt vormittags auch je nach Schule abends Unterricht zu haben. Aber nach einiger Zeit entwickelten sich dann schöne Freundschaften und an den Wochenenden wurde sich oft getroffen für Spieleabende, zusammen essen oder ins Kino gehen und natürlich ging es auch gemeinsam auf ein paar „baladas“. Auch das Orchester, dem ich innerhalb meines Austauschjahres beitrat, war eine schöne Abwechslung zu meiner Arbeit im Projekt und ich fand dort gute Freunde mit denen ich in den Proben und bei Auftritten viel Spaß hatte.

Letztendlich habe ich im Laufe des Jahres so viele Facetten von Brasilien erleben dürfen, so viele verschiedene regionale kulturelle Einflüsse in Musik und Essen, aber natürlich auch die unglaublich diverse Natur und ich bin froh, ein so breit gefächertes Bild dieses Landes gesehen zu haben.

Mein Projekt im weltwärts-Freiwilligendienst

AFS-Freiwillige Melissa mit ihrem Englischkurs

Die Einrichtung, in der ich immer von Montag bis Freitag gearbeitet habe, heißt „Fundação Futuro“ und ist ein Projekt, in dem Jugendliche (von öffentlichen Schulen) zwischen 14 und 18 Jahren durch verschiedene Kursangebote auf das Arbeitsleben vorbereitet werden, um so ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Neben aufbauenden Fachkursen wie Verwaltung gibt es dort allerdings auch noch zusätzliche Kurse wie Hip-Hop, Capoeira oder Theater.

Da ich anfangs noch nicht gut Portugiesisch sprach, habe ich zunächst vormittags in der Küche geholfen und später am Mittag dann die Lehrer in den Kursen unterstützt, beziehungsweise auch selbst an diesen teilgenommen, was mir auch ermöglichte, die Jugendlichen in meinem Projekt etwas näher kennenzulernen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Zu Beginn des neuen Semesters fing ich dann an, zwei Tage die Woche im Team mit einer Lehrerin Englisch zu unterrichten. Es hat mir großen Spaß gemacht, die Klassen zu unterrichten und dabei mit den Schülern auch ab und zu über interkulturelle Themen zu sprechen. An den anderen Tagen der Woche half ich, wo Dinge anfielen, im Büro, den einzelnen Kursen oder der Küche. Den letzten Monat meiner Arbeitszeit verbrachte ich dann letztendlich in der projekteigenen Bibliothek, wo ich die Bücher registrierte, katalogisierte und ordnete.

„Über das Jahr hinweg habe ich gemerkt, wie mir immer mehr Verantwortung übertragen wurde.“

Über das Jahr hinweg habe ich gemerkt, wie mir immer mehr Verantwortung übertragen wurde und mir bei meinem „Projekt Bibliothek“ schließlich sogar komplett freie Hand gelassen wurde. Zwar hatte ich mich den ersten Monat über in der Küche eher etwas gelangweilt, da es für mich noch nicht so viel zu tun gab, aber gerade das motivierte mich auch, die Initiative zu ergreifen und mich selbst nach Aufgaben umzusehen.

Zu meinem Projekt bin ich immer 10 Minuten mit einem „Mototaxi“ gefahren, also einem Taxi, nur eben als Motorrad. Durch meine vielen unterschiedlichen Einsatzfelder im Projekt variierten auch meine Arbeitszeiten dementsprechend. Generell habe ich etwa von 9 bis 17 Uhr gearbeitet. An Tagen, an denen ich abends bis 20:30 Uhr unterrichtet habe, konnte ich allerdings dementsprechend später anfangen.

Meine Gastfamilien

Melissa bei ihrem Freiwilligendienst in Brasilien mit ihrer Gastfamilie

Die ersten drei Monate meines Austauschjahres lebte ich in einer Gastfamilie, die aus meiner Gastmutter und ihren beiden Töchtern bestand, wobei die ältere meiner Gastschwestern nicht mehr zuhause wohnte, uns aber vor allem an den Wochenenden und an Feiertagen oft besuchen kam. Da meine zweite Gastschwester das Down-Syndrom hatte, brauchte ich anfangs eine kurze Zeit, um mich darauf einzustellen, jedoch verbrachte ich nach einer kurzen Eingewöhnungsphase eine wunderbare Zeit dort und besuchte die Familie auch nach meinem Umzug so oft es möglich war. Da meine Gastmutter aufgrund ihrer Arbeit in eine andere Stadt umziehen musste, kam ich dann schließlich in meine zweite Gastfamilie und auch hier hatte ich wieder das Glück, sehr gut aufgenommen zu werden und schon bald fühlte ich mich auch dort wie zuhause.

Meine zweite Gastfamilie bestand aus meinen Gasteltern und ebenfalls zwei Gastschwestern, die allerdings auch schon erwachsen waren und selbst kleine Kinder hatten, was für mich besonders schön war, da sie oftmals mit ihnen die Wochenenden bei uns verbrachten. Zwar war die Umstellung ziemlich groß, da ich in der ersten Familie in einer kleinen Wohnung und in der zweiten dann in einem ziemlich großen Haus gewohnt habe und auch die täglich im Haus anwesenden Angestellten waren für mich zunächst gewöhnungsbedürftig, allerdings bin ich sehr froh, in beiden Familien – so verschieden sie auch gewesen sein mögen – eine Zeit meines Austausches verbracht und so noch mehr verschiedene Erfahrungen gesammelt zu haben.

„Ich bin sehr froh, in beiden Familien eine Zeit meines Austauschs verbracht zu haben.“

Rückblickend kann ich auf jeden Fall sagen, dass in Brasilien die Familie bei vielen einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Oft haben wir Familienmitglieder empfangen oder besucht und die meiste Zeit wurde auch nicht allein im Zimmer, sondern mit allem gemeinsam im Wohnzimmer verbracht. Dementsprechend schwer fiel mir dann letztendlich auch der Abschied (von beiden Familien), aber da ich immer noch in Kontakt mit ihnen stehe freue ich mich auch auf ein baldiges Wiedersehen.

Die Betreuung durch AFS im Gastland

AFS Komitee Assis, Brasilien

Im Vorfeld der Ausreise habe ich natürlich auch an den beiden 5-tägigen Vorbereitungsseminaren von AFS Deutschland teilgenommen und war damals schon schlichtweg begeistert. Die Seminare waren nicht nur eine gute Gelegenheit die Leute kennenzulernen, die mit einem ausreisen werden, sondern auch ein Raum, um sich auszutauschen und schon allein die Erfahrung der Seminare hat meinen Horizont damals erweitert. Wir haben meiner Meinung nach über wirklich viele wichtige Themen diskutiert und es war eine intensive Zeit, durch die ich letztendlich bestimmt schon viel reflektierter in den Austausch gestartet bin. In Brasilien hatten wir dann drei Seminare von AFS Brasilien in Rio de Janeiro; bei Ankunft, das Mid-Stay und kurz vor Abreise. Gerade da die Freiwilligen in Brasilien zum größten Teil weiträumig verteilt waren, war dies auch eine gute Gelegenheit, sich über Erfahrungen mit der Gastkultur auszutauschen.

Die Betreuung vor Ort, also in der Stadt, in der ich mein Austauschjahr verbrachte, empfand ich persönlich als sehr gut. Es gab ein sehr aktives und junges Komitee und somit häufig Veranstaltungen oder Aktivitäten, in die man gut eingebunden wurde. Bei Fragen habe ich gerne und ausführlich Antwort bekommen und auch mit meiner Vertrauensperson habe ich mich regelmäßig austauschen können.

„Ich habe mich durch AFS vor allem gut vorbereitet und auch im Gastland gut betreut gefühlt.“

Ich hatte bis auf kleinere Unstimmigkeiten kaum Probleme während meines Austauschjahres, weder mit Gastfamilie noch mit dem Projekt, und musste daher persönlich nie auf die Hilfe von AFS Brasilien oder AFS Deutschland zurückgreifen, allerdings gab es im Bezug auf die Gruppe aller Freiwilligen in Brasilien durchaus manchmal Kommunikationsschwierigkeiten zwischen AFS Deutschland und AFS Brasilien, denen man mit Geduld begegnen musste. Im Vorfeld gab es gravierende Probleme und Schwierigkeiten mit der Ausstellung des Visums, bei der es zu einigen Kommunikationsschwierigkeiten mit AFS Deutschland kam und ich hoffe, dass in Zukunft dieser Austausch von Informationen optimiert werden kann.

Generell habe ich mich aber durch AFS vor allem gut vorbereitet und auch im Gastland gut betreut gefühlt.

Sprache und Kommunikation

Ich kam in Brasilien ohne wirkliche Portugiesischkenntnisse an. Im Vorfeld wurde uns ein kostenloser Online-Kurs angeboten, jedoch wurden darin nur die grammatikalischen Basics und grundlegende Vokabeln erklärt und daher eignete ich mir so ziemlich alles erst vor Ort an. Da meine Gastmutter so gut wie kein Englisch sprach, verständigten wir uns anfangs mit Händen und Füßen und für einfache Fragen benötigte man manchmal sehr lange. Ehrlicherweise muss man auch sagen, dass gerade zu Beginn in Sachen Verständigung der Übersetzer auf dem Handy der beste Freund war und oftmals eine große Hilfe, gerade bei wichtigen Erklärungen.

Mein Chef im Projekt und die Präsidentin unseres lokalen Komitees konnten beide gut Englisch, was es mir bei Nachfragen einfacher gemacht hat, jedoch habe ich schon nach kürzester Zeit versucht, mit allen Portugiesisch zu sprechen, was auch zu meiner Überraschung ziemlich schnell gut funktionierte. Das lag wohl zum einen daran, dass ich mit einer anderen Freiwilligen dort nochmal ca. zwei Monate Portugiesisch-Unterricht hatte, aber auch an der ständigen Konfrontation mit der Sprache im Alltag und auch an den langen und ausführlichen Gesprächen mit meiner Gastmutter, mit der ich mich viel über alles Mögliche auszutauschen versuchte und so viel neues Vokabular dazulernte.

„Die letzten Monate über wollte ich dann auch eigentlich nur noch Portugiesisch sprechen und es fühlte sich schon geradezu komisch an, wenn man mal irgendwo doch wieder auf Englisch angesprochen wurde.“

Gerade zu Beginn war der ständige Umgang mit der Sprache natürlich auch anstrengend und man fühlte sich manchmal überfordert, vor allem wenn jemand schnell sprach oder mehrere Menschen gleichzeitig auf einen einredeten. Doch ich war wirklich beeindruckt, wie schnell ich Fortschritte machte und nach den ersten Monaten ging die Verständigung immer problemloser. Die letzten Monate über wollte ich dann auch eigentlich nur noch Portugiesisch sprechen und es fühlte sich schon geradezu komisch an, wenn man mal irgendwo doch wieder auf Englisch angesprochen wurde.

Zurückblickend war wohl eine meiner größten Sorgen vor dem Freiwilligendienst, die Sprache gar nicht oder nur schwer erlernen zu können und ich bin wirklich froh, dass sich diese Angst überhaupt nicht bestätigt hat. Mir wurde immer sehr hilfsbereit begegnet, wenn es um die Sprache ging, und ich hatte eher das Gefühl, dass die Sprache wie von selbst kommt, wenn man sich für sein Umfeld interessiert und versucht, mit den Menschen zu interagieren.

Globales Lernen und Entwicklungspolitik

AFS-Freiwillige Melissa mit Freunden in Brasilien
Ich habe in meinem Austauschjahr so viele Menschen getroffen, die mich inspiriert und die meine Denk- und Sichtweise auf viele Dinge nachhaltig geformt und beeinflusst haben. Meine Erfahrungen mit verschiedenen Menschen aus einer anderen Kultur haben mich offener und reflektierter gemacht, nicht nur im Bezug auf Aspekte, mit denen ich persönlich übereingestimmt habe, sondern gerade in den Punkten, in denen man nicht gleicher Meinung war. Gleichzeitig bin ich aber auch vielem Interesse gegenüber meiner Kultur, meinen Erfahrungen und meiner Sichtweise begegnet – und das bedeutet globales Lernen für mich. Es ist nicht ein einseitiger Vorgang, bei dem man sich Wissen über eine andere Kultur oder andere Denkweisen aneignet. Vielmehr ist es ein ständiger aktiver Austausch, bei dem alle Parteien einen Beitrag zum gegenseitigen besseren Verständnis leisten und sich mit Akzeptanz begegnen und versuchen, andere Sichtweisen nachzuvollziehen.

Über Entwicklungszusammenarbeit habe ich gelernt, dass es durchaus noch andere Wege gibt, als einen Freiwilligendienst, damit Länder auf dieser Ebene kooperieren, Förderung der Arbeitskräfte vor Ort, beispielsweise. Gerade in meinem Projekt ist die Zahl der mittlerweile fest beschäftigten Lehrkräfte viel höher als die der Freiwilligen, und natürlich fragt man sich da, inwiefern man dann dort eine produktive Kraft war, die Entwicklungszusammenarbeit unterstützen konnte. Wichtig war für mich deshalb, ganz praktisch zu sehen, wo ich mein Projekt sinnvoll unterstützen konnte, wo ich vor Ort Arbeit abgenommen habe und ob ich vielleicht – gerade, da ich mit Jugendlichen gearbeitet habe – dazu beitragen konnte, Vorurteile abzubauen und einen Anstoß für eine offenere Sichtweise zu geben.

„Insgesamt war mein Freiwilligendienst eine der wertvollsten Erfahrungen, die ich bis jetzt machen durfte.“

Mit dem Gefühl, die Welt gerettet zu haben, wird mit Sicherheit nie ein weltwärts-Freiwilliger nach Hause fahren, das wäre auch ganz falsch. Man hat gegeben, aber auch viel genommen innerhalb des Jahres, und daher denke ich, dass ein möglichst großer Ausgleich zwischen diesem Geben und Nehmen in der Entwicklungszusammenarbeit eigentlich ein sehr großes Ziel sein muss und dieses Wort „Entwicklungszusammenarbeit“ eben nicht mal so schnell erklärt werden kann, sondern ein verschachteltes Konstrukt mit mehreren Ebenen ist, das man sehr reflektiert betrachten sollte.

In der Zukunft werde ich versuchen, meine Erfahrungen durch weiteres Engagement als Freiwillige einzusetzen und außerdem werde ich natürlich weiterhin mit Freunden, Familie, aber auch anderen über mein Austauschjahr sprechen und dabei versuchen, ein möglichst differenziertes Bild meiner Erfahrungen im Freiwilligendienst zu geben. Denn insgesamt war mein Freiwilligendienst eine der wertvollsten Erfahrungen, die ich bis jetzt machen durfte, und hat mich in so vielen Weisen weitergebracht, und ich werde auch weiterhin versuchen, das in meinem Leben zu nutzen, um zu mehr interkulturellem Interesse beizutragen.

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