Franka, Ghana, Republik, 2018, weltwärts:

Franka hat ihren Freiwilligendienst in Ghana mit AFS und dem weltwärts-Programm gemacht. Sie hat in einer Schule gearbeitet, die Bibliothek organisiert und Kinder unterrichtet.

AFS-Freiwillige Franka beim Abschied aus Ghana mit wichtigen Menschen

Ich fühle mich, als hätte ich ein ganzes Leben gelebt – dabei war ich doch nur ein Jahr weg… Als ich auf dem Weg zurück nach Deutschland im Flugzeug saß, fühlte ich mich wie in dem Film Inception, als wäre ich aus einem langen Traum aufgewacht während für alle anderen nur eine Minute vergangen war. In diesem Bericht werde ich mein Bestes versuchen, über diesen langen Traum zu erzählen.

Land und Leute

Als erstes möchte ich ein paar Worte sagen zu Ghana und den GhanaerInnen. Ich habe unglaublich viele interessante, hart arbeitende, herzliche und liebenswerte Menschen in diesem Jahr kennen gelernt. Natürlich kann nicht jede Begegnung eine enge Freundschaft werden, aber alles in allem habe ich unglaublich viele Leute in mein Herz geschlossen, v.a. meine Gastfamilie, aber auch meine KollegInnen und meine SchülerInnen.

AFS-Freiwillige Franke mit Teilen ihrer Gastfamilie in traditioneller ghanaischer Kleidung (Kente)

Viele Unterschiede sind mir jetzt nach meiner Rückkehr deutlich intensiver aufgefallen, als bei meiner Ankunft – natürlich, damals war alles neu, nicht nur Land und Leute. Einer der größten Unterschiede in meinem persönlichen Leben, mit dem ich am Anfang auch hart zu kämpfen hatte (und nun andersherum genauso Probleme habe), ist, dass man in Ghana deutlich weniger Privatsphäre hat, als in Deutschland. Die meisten Leute, und so auch meine Gastfamilie, leben mit sehr viel mehr Leuten zusammen, als in unseren kleinen Familien in Deutschland. „Wide extended family“ – das war die Beschreibung, die ich vorher über meine Gastfamilie erhalten hatte. Und so habe ich mir dann auch mein Zimmer mit meiner Schwester (zwischenzeitlich sogar mit meinen zwei Schwestern) geteilt, hatte zwei kleine Brüder (am Ende 2 und 4 Jahre), die ständig zu mir kamen und meine Aufmerksamkeit wollten und wurde außerdem alle fünf Minuten von meiner Grandma gerufen, um etwas für sie zu erledigen – sei es fegen, abwaschen, putzen oder meine Geschwister baden. Und auch den Rest des Tages war ich immer mit Leuten zusammen – während dem Unterricht in meinem Projekt, in den Pausen, sogar auf dem Heimweg. Aber auch ganz allgemein findet das Leben in Ghana einfach viel mehr auf der Straße statt als bei uns. Leute unterhalten sich stundenlang am kleinen Shop gegenüber, pinkeln in aller Öffentlichkeit, stillen ihr Baby, wann immer es schreit, spielen Karten unter großen Mangobäumen an der Straße, telefonieren immer und überall (auch wenn sie dafür die Unterhaltung mit ihrem Gegenüber ohne einen Kommentar mitten im Wort abbrechen und später an genau der gleichen Stelle wieder aufnehmen) oder kochen draußen.

AFS-Freiwillige Franka beim Fufu-Stampfen mit ihrer Gastschwester

Ich kann so viele kleine Dinge aufzählen, die für mich jetzt „typisch Ghana“ sind, sei es aus dem Trotro heraus Plantainchips zu kaufen und die Person, die neben mir sitzt und die ich noch nie gesehen habe, dazu einzuladen mit zu essen, das Geräusch, Fufu zu stampfen und es danach mit den Händen und einer scharfen Soup zu essen oder sonntags stundenlang in den Gottesdienst zu gehen und dort laut und immer in Bewegung zu beten und vorne in der Kirche zu tanzen. Aber auch an Dinge, die ich persönlich nicht so gut finde, habe ich mich gewöhnt, sei es, dass viele Kinder geschlagen werden oder dass der Müll häufig einfach auf die Straße geworfen wird.

Das alles gehört dazu zu meiner neuen zweiten Heimat, die so sehr von Gegensätzen geprägt ist. Wenn ich eines gelernt habe in diesem Jahr, dann, dass Ghana ein unglaublich vielseitiges Land ist; wann immer ich dachte, dass ich eine Eigenschaft entdeckt habe, die „typisch ghanaisch“ ist, habe ich eine andere Eigenschaft bemerkt, die das genaue Gegenteil ist, aber dennoch ebenso „typisch ghanaisch“ ist. Auf der einen Seite sind GhanaerInnen ihren Familien sehr verbunden und wohnen als ausgedehnte Familien zusammen – auf der anderen Seite verbringt man nie aktiv Zeit miteinander. Zwar ist jeder dein Bruder und deine Schwester – aber vertrauen kann man niemandem außer sich selbst. Während ich noch nie gesehen habe, wie sich GhanaerInnen küssen (außer in einigen wenigen Familien küssen Eltern ihre Kinder und auch dies meist nicht in der Öffentlichkeit), denn solche Zärtlichkeiten sind vor aller Augen nicht angemessen, tanzen die Teenager in den Clubs miteinander auf eine Art und Weise, dass man Angst hat, das Mädchen sei nach dem Tanz schwanger. Auch das Generationenverhältnis ist ein ganz anderes als bei uns – zwar leben die verschiedenen Generationen viel enger beisammen und stehen viel mehr in Kontakt miteinander (ich war auch kaum mit Gleichaltrigen zusammen, nur meine Gastgeschwister und meine jüngeren Mitarbeitenden, ansonsten hatte ich sehr viel Kontakt zu Kindern, sowohl daheim als auch in der Schule, und mit meinen Mitarbeitenden hatte ich vor allen mit den Älteren in den 30ern und 40ern ein sehr enges Verhältnis), andererseits muss Älteren sehr viel mehr Respekt entgegengebracht werden als bei uns und wenn jemandes Älteres etwas befiehlt, dann wird das auch ohne Widerrede getan.

AFS-Freiwillige Franka mit ihrer Frauengruppe in der Kirche

Ein weiterer unglaublich wichtiger Punkt im Leben der meisten GhanaerInnen ist Religion. Und das äußert sich nicht nur darin, dass sonntags jeder in die Kirche geht, nein, es zeigt sich ständig im Alltag. Angefangen bei ein paar Floskeln oder Ritualen, wie der Antwort auf die Frage „How are you?“ – „By God’s grace“ oder das tägliche Beten vor dem Essen oder beim Assembly der ganzen Schule spielt Religion eine so wichtige Rolle, dass ich kaum eine Diskussion führen konnte, bei der nicht schließlich ein (unwiderlegbares) Bibelargument gefallen ist. Zwar habe ich in Accra einige Menschen getroffen, die sich zwar als spirituell, allerdings nicht als religiös, bezeichneten, in meiner doch recht kleinen, konservativen Stadt habe ich allerdings in meinem ganzen Jahr nur eine einzige nicht-religiöse Person getroffen und die hat diese Überzeugung vor allen verschwiegen.

Eines kann ich aber auf jeden Fall über Ghana sagen, „life is not easy“. Diesen Satz habe ich das ganze Jahr über tagtäglich gehört – und ihn am Anfang nicht ernst genug genommen. Vielleicht hat AFS mich einfach zu sehr darauf vorbereitet, den Globalen Süden nicht als arm und hilflos darzustellen – und so habe ich Ghana auch nicht gesehen. „Iss auf, die Kinder in Afrika hungern“ – ich habe noch nie jemanden gesehen, der mehr Essen bekommen hat, als meine kleinen Brüder. Viele GhanaerInnen benutzen mehrere Handys, da eins ihnen nicht reicht. Meine SchülerInnen hatten ordentlichere Kleidung an, als ich je in meiner Schule in Deutschland gesehen habe und mein Gastonkel hat ein Auto. Aber am Ende muss meine Vollzeit arbeitende ghanaischen Kollegin, die alleinstehend ist, also nur für sich selbst zahlt, und in einem Zimmer mit Gemeinschaftsbad und –küche wohnt, ihre Eltern um Geld fragen, da ihr Verdienst nicht reicht. Am Ende muss die Lehrerin in der Nachbarklasse als zweifache Mutter jeden Abend für die komplette Familie ihres Ehemanns kochen und den Haushalt machen. Am Ende hat meine Schwester nur eine richtige Mahlzeit am Tag bekommen, weil ghanaische Familienverhältnisse sehr viel komplizierter sind, als unsere, und sie nicht in der Position war, nach mehr Essen zu fragen. Natürlich gibt es hier in Deutschland auch eine Menge Armut, die man keinesfalls unterschätzen darf, aber als „normale“ Deutsche haben wir ein sehr viel einfacheres Leben als „normale“ GhanaerInnen.

Meine Einsatzstelle

Ballettklasse von AFSerin Franka bei der Aufführung am Graduation Day

Jetzt habe ich so viel über meine Mitarbeitenden geschrieben, da möchte ich erst mal ein paar Worte über mein Projekt sagen. Ich habe an einer Schule, bestehend aus Creche, Nursery, Kindergarten und Primary unterrichtet, das heißt meine SchülerInnen waren noch sehr jung (6 Monate bis 10 Jahre). Der Name meiner Schule ist Zoé Montessori School – wobei man dazu sagen muss, dass sie nicht viel mit einer deutschen Montessori Schule gemeinsam hat, obwohl einige Lehrkräfte sehr vertraut mit den Prinzipien sind, die Umsetzung ist jedoch nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Sie befindet sich in Sunyani, einer 200.000 Einwohner Stadt südwestlich von Kumasi.

Eigentlich gab es dort immer etwas für mich zu tun – natürlich musste ich mich am Anfang erst einmal zurechtfinden und vorbereitet wurde ich leider nicht groß, aber durch viel Nachfragen und Beobachten, habe ich schnell vieles gelernt. Ich war das ganze Jahr über einer festen Klasse zugeteilt (zuerst Nursery 1, den 2-jährigen, später, zu Beginn des neuen Schuljahres, Kindergarten 2, den 5-jährigen), wobei ich aber immer noch eine, teilweise sogar zwei, ghanaische Kolleginnen an meiner Seite hatte. Bei den Jüngeren bestanden meine Hauptaufgaben hauptsächlich aus Füttern, Windeln wechseln, auf der Toilette helfen und mit den Kindern singen, bei den Älteren aus Hausaufgaben schreiben und korrigieren, während den Übungen in der Klasse herumgehen und den Kindern mit Problemen helfen oder Geschichten erzählen, ab und zu habe ich auch mal eine kleine Unterrichtseinheit übernommen. Dort habe ich dann auch immer den gesamten Schultag (von morgens um 8.00 Uhr bis um 14.30 Uhr) verbracht – mit einigen Unterbrechungen, da ich auch noch weitere Aufgaben übernommen habe. Ich habe meiner Schulleiterin viel assistiert, vor allem bei computerbezogenen Problemen hat sie mich häufig um Hilfe gebeten. So habe ich, auch während meiner Freizeit, die Examen für die gesamte Schule überarbeitet, getippt und gestaltet, Stundenpläne formatiert und Elternbriefe entworfen. Außerdem habe ich die Schulbibliothek geleitet und bei der Organisation von Events geholfen, wie dem Graduation Day oder dem Gosple Festival.

Nach Unterrichtsschluss begann dann meine Lieblingsaufgabe, ich habe mit interessierten Schülerinnen und Schülern Ballett trainiert und ihnen ein paar Tänze beigebracht, die wir auch zu drei Gelegenheiten aufgeführt haben – was immer große Begeisterung geerntet hat und ich bin sehr stolz auf meine Kinder, dass sie immer so motiviert und voller Elan bei der Sache waren. Ich wurde sogar in meinen Ferien für zwei Wochen an eine andere Schule (Fountain Gate International in Kenyasi) eingeladen, wo ich in zwei Wochen einen Crashkurs Ballett gegeben habe. Alles in allem war ich meistens bis ca. 16.00 Uhr in der Schule, hatte also etwa eine 40 Stunden Woche, wenn meine Hilfe einmal länger gebraucht wurde, bin ich aber auch immer gerne länger geblieben.

Schülerinnen von AFSerin Franka am Unabhängigkeitstag - bereit zum Marschieren

Allerdings war natürlich auch nicht alles immer positiv. Probleme taten sich meistens dann auf, wenn meine Kolleginnen krank oder anderweitig beschäftigt waren und ich die Klasse über einen längeren Zeitraum alleine hatte. In der alleinigen Verantwortung fühlte ich mich häufig überfordert und wusste nicht mehr, wie ich die Klasse mit 28 Kindern in einem doch recht schwierigen Alter unter Kontrolle halten sollte. Im Endeffekt war ich nach einer Woche alleine mit meiner Klasse am Ende so verzweifelt, dass ich heulend ins Büro meiner Schulleiterin kam, nicht da ich sauer auf meine Kinder war, sondern weil ich ein so schlechtes Gewissen hatte, dass ich meinen Frust über meine Überforderung an den Kindern ausgelassen hatte und sie deshalb auf eine Art und Weise behandelt hatte, die mir selbst respektlos erschien. Daraufhin hat meine Schulleiterin für den Rest des Tages persönlich meine Klasse übernommen und sich am nächsten Tag zu einem sehr, sehr langen Gespräch (mindestens 3 Stunden) mit mir zusammen gesetzt, mir Tipps gegeben und sich meine Perspektive angehört und mit mir nach Lösungen für meine schulischen, aber auch außerschulischen, Probleme gesucht. Außerdem hat sie sichergestellt, dass ich nie wieder über einen so langen Zeitraum hinweg mit meiner Klasse alleine war. Abgesehen von diesem Tiefpunkt hatte ich in meinem Projekt aber eine sehr gute Zeit.

Eine meiner wichtigsten Aufgaben habe ich aber noch vergessen zu erwähnen – und das war einfach für die Kinder da zu sein, ein offenes Ohr für sie zu haben und mein Bestes zu tun, dass es alles gut geht. Bei so vielen Kindern in meiner Klasse und zusätzlich auch mit den anderen SchülerInnen im engen Kontakt war es nicht möglich, auf alle individuell einzugehen, aber ich habe immer mein Möglichstes gegeben auf alle Rücksicht zu nehmen – deshalb habe ich mich auch sehr über die Abschiedsworte einer meiner Schülerinnen gefreut, die meinte, ich hätte immer sicher gestellt, dass wirklich alle ihre Hausaufgaben haben und auch ansonsten immer gut versorgt seien.

Meine Gastfamilie

AFS-Freiwillige Franka mit Gastoma und Gastbrüdern in Schuluniform

Eine weitere Verbindung zu meiner Schule war auch meine Gastfamilie, denn meine zwei kleinen Brüder haben dieselbe Schule besucht. Dementsprechend habe ich auch sehr nah an der Schule gewohnt und habe die ca. 10 Minuten meist zu Fuß zurückgelegt. Ab und zu bin ich auch mit meinen Brüdern im Schulbus mitgefahren, aber meist hatte ich morgens noch im Haus zu tun und nachmittags in der Schule, sodass ich zu Fuß einfach flexibler war.

Ein wenig war es so, als hätte ich das letzte Jahr zwei Jobs gehabt – zum einen war ich Freiwillige in der Schule, zum anderen aber auch daheim Au-Pair Mädchen. Auch im Haus habe ich immer viel gearbeitet, jeden Morgen habe ich den Hof gefegt, die Abflussrinne sauber gemacht und meine Brüder gebadet, gefüttert und angezogen, nachmittags nach der Schule habe ich beim Kochen geholfen, den Abwasch gemacht, meinen Brüdern bei den Hausaufgaben geholfen und sie dann bettfertig gemacht – baden (GhanaerInnen duschen zweimal am Tag), Zähneputzen, anziehen, Gute-Nacht-Geschichte oder noch ein bisschen spielen und oft genug sind meine Geschwister nicht eher ins Bett als dass der Kleine auf meinen Armen eingeschlafen ist. Und auch wenn meine Grandma ausgegangen ist (die Eltern meiner Brüder arbeiten außerhalb und kommen nur am Wochenende nach Hause), hatte ich immer die Verantwortung für die Beiden. Es war also immer etwas los… Am Anfang war es mir alles etwas viel (auch wegen der oben erwähnten fehlenden Privatsphäre), aber schon noch ein paar Wochen war ich froh, so integriert zu sein.

Die kleinen Gastbrüder von AFSerin Franka wollen groß sein und selbst Wäsche wasche

Was mir das Eingewöhnen auch noch erschwert hat war, dass meine Gastfamilie schon seit 2001 Freiwillige und SchülerInnen von AFS aufnimmt. Insofern waren sie also Fremde im Haus gewöhnt und haben sich kaum für mich interessiert – während für mich alles neu und aufregend und ungewohnt war und ich nicht wirklich wusste, wie ich gut Anschluss finden sollte. Auch, dass mir von meinen VorgängerInnen immer in den höchsten Tönen vorgeschwärmt wurde („Sinje hat sich immer um die Kinder gekümmert.“, „Mariam hat immer Banku gekocht.“, „Richard war so ein netter Kerl und er hat uns so geholfen.“), hat es mir am Anfang nicht gerade leicht gemacht. Schön, dass die das alles konnten, ich kann es nicht und mir erklärt ja auch keiner was! Sie haben so viele tolle Menschen hier gehabt, wie soll ich da je mithalten? Sie werden mich nie so mögen wie die vor mir! So ungefähr sahen meine Gedanken am Anfang aus. Nun weiß ich, dass sie mich genauso sehr lieben, wie die AFS Leute vor mir, dass ich eine Menge Dinge gelernt und meine Familie viel unterstützt habe, dass sie mich nie vergessen werden und auch mit mir und mit niemandem sonst meine ganz besonderen, persönlichen Erfahrungen gemacht haben und, dass die arme neue Freiwillige sich nun auch anhören muss, wie toll ich war und sich deswegen schlecht fühlt.

Dementsprechend schwer fiel mir auch der Abschied von meiner Familie. Ich habe sie alle sehr ins Herz geschlossen und mit allen meine ganz eigenen Erinnerungen gesammelt und ich werde nie vergessen, was diese Leute für mich getan haben. Ich habe eine ganz andere Beziehung zu ihnen als zu meiner Familie hier in Deutschland, aber ich liebe sie genauso bedingungslos. Wann immer jemand etwas tat, was mir nicht gefiel, habe ich nie meine Beziehung zu ihnen in Frage gestellt – Familie kann man sich schließlich nicht aussuchen, man liebt sie trotz allem. Ich weiß, ich habe dort ein Zuhause, das mir jederzeit für solange ich will offen steht und in dem ich immer willkommen bin. Auch jetzt habe ich noch viel Kontakt zu meiner Familie, chatte und telefoniere mindestens einmal die Woche mit ihnen. Leider ist es schwer, mit allen Kontakt zu halten, da alle viel beschäftigt sind und meine Grandma und mein Grandpa sowie natürlich meine zwei kleinen Brüder kein Whatsapp haben, aber mit meinen älteren Geschwistern oder meinem Onkel rede ich alle paar Tage.

Gastschwestern

Ein Eindruck, der sich sehr stark im Laufe des Jahres verändert hat und der mir auch einige Probleme beschert hat, war der von den Strukturen, die in meiner Familie herrschen. Meine älteren Gastgeschwister, zwei Jungen und zwei Mädchen zwischen 13 und 23 Jahren, sind alle nicht die echten Kinder oder Enkel meiner Grandma. Drei von ihnen sind Kinder ihrer Brüder oder Cousins (was ich allerdings erst nach einem halben Jahr herausgefunden habe!) und eine ist gar nicht mit meiner Familie verwandt. Und obwohl mir am Anfang alles so harmonisch vorkam und nach einer glücklichen, großen, lauten Familie, habe ich bald gemerkt, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Zum einen ist der Stellenwert für Kinder im Allgemeinen einfach ganz anders als in deutschen Familien. Ich musste nicht den ganzen Tag irgendwelche Hausarbeiten für meine Eltern machen, ich durfte ihnen widersprechen und ich konnte gehen und kommen, wann immer es mir passte und wenn ich etwas brauchte, hat meine Mutter mir Geld dafür gegeben. In Ghana ist das anders, die Arbeit im Haus hört nie auf und vor allem beim Kochen (schwerer körperlicher Arbeit!) und der Kindererziehung wird immer Hilfe benötigt, der Respekt gegenüber Älteren ist so groß, dass man nicht widerspricht (egal ob es dein großer Bruder, deine Mutter oder deine Grandma gesagt hat), da es immer etwas zu tun gibt, ist man nicht so flexibel und das Geld ist meist knapp. Natürlich ist nicht jede ghanaische Familie so – und auch nicht jede deutsche – aber auf einen Großteil der Familien und eben vor allem auf meine Familie trifft es zu.

Nun sind meine Geschwister wie gesagt nicht die Kinder meiner Grandma gewesen, das heißt, sie mussten sich viel mehr unterordnen, konnten nicht nach mehr Essen fragen und bekamen an allem die Schuld – wenn ein Messer hinter einem Schrank verschwunden war, hieß es, meine Schwester hätte es geklaut, wenn das Unkraut nachwuchs, mein Bruder hätte es nicht ordentlich gejätet. Vor allem zwischen meiner Grandma und meinen Schwestern gab es sehr viel Streit, da meine ältere Schwester fand, dass sie mit 21 anders behandelt werden sollte und viel widersprach und ihre eigene Meinung sagte. Zwar wurde ich nie aktiv in den Streit mit hineingezogen, aber immer beschwerten sich beide bei mir über die jeweils andere und wollten meine Bestätigung, dass sie im Recht seien, während ich nicht zwischen die Fronten geraten wollte. Und somit herrschte zu den Hochzeiten dieser Streitigkeiten zum einen immer eine angespannte Atmosphäre im Hause, zum anderen versuchten beide Seiten mich immer zu beeinflussen. Soviel also zu dem harmonischen Familienleben, das ich am Anfang gesehen habe. Mit der Zeit habe ich mich aber auch daran gewöhnt und immer versucht, so neutral wie möglich zu bleiben. Außerdem habe ich zu solchen Gelegenheiten viel mit meinem Gastbruder geredet, der sehr vernünftig ist und mir meist die genauen Gründe und Zusammenhänge des Streits erklären konnte, ohne jemandem daran die alleinige Schuld zu geben.

Ein weiterer Konflikt, den ich hatte, war mit meiner Gastschwester, die von Anfang an meine Sachen genommen hat – zuerst nur Kleidung und Ladekabel etc. später hat sie aber auch mein Geld genommen, was für mich ein tiefer Vertrauensbruch war. Als ich das bemerkt habe, habe ich sie darauf angesprochen und ihr auch gesagt, wie sehr es mich verletzt. Sie hatte wirklich ein sehr schlechtes Gewissen deswegen und es ist danach nie wieder vorgekommen. Wann immer sie Geld hatte, hat sie mir einen Teil zurückgegeben.

Alles in allem habe ich einfach gelernt, dass man manchmal seinen Mut zusammen nehmen und Probleme ansprechen muss, um Lösungen zu finden. Wann immer ich etwas angesprochen habe, ging es mir danach besser und wir haben gemeinsam eine Lösung für das Problem gefunden. Während wir auf dem On Arrival gelernt haben, dass Ghana eher ein Land der indirekten Kommunikation ist, habe ich dort gelernt, Probleme sehr viel direkter und offener anzugehen, als ich es hier in Deutschland getan habe.

Betreuung durch AFS

Natürlich war zusätzlich zu meiner Gastfamilie und meinem Projekt auch AFS ein Ansprechpartner – obwohl ich dank meiner engen Beziehungen zu Familie und Projekt eigentlich nie in einer Lage war, in der ich AFS um Hilfe hätte bitten müssen. Mit meiner von AFS zugeteilten Kontaktperson hatte ich so gut wie überhaupt keinen Kontakt, ich habe sie dreimal in größerer Gruppe getroffen und einmal mit ihr telefoniert, allerdings habe ich auch nie aktiv den Kontakt gesucht, da ich immer genug andere Bezugspersonen hatte. Hätte ich mich mit einem Problem an sie gewandt, hätte sie mir immer nach besten Kräften geholfen. Ansonsten war nur ein offizielles Mitglied von AFS in Sunyani, der uns aus Accra abgeholt hat und in unsere Familien und Projekte gebracht hat; das war es dann auch eigentlich mit der Betreuung. Danach bin ich aber auch gut alleine zurecht gekommen und ich habe mich auch weiterhin sehr gut  mit dem AFS Mitglied verstanden, wann immer wir Zeit dazu fanden, haben wir uns samstags gemeinsam mit den anderen Freiwilligen getroffen und immer viel Spaß gehabt.

Was mir sehr geholfen hat, waren die Seminare mit den anderen Freiwilligen und den AFS Mitgliedern aus Accra (On Arrival, Mid Stay, End of Stay). Vor allem das erste Seminar finde ich sehr wichtig, da ich die ersten Tage gebraucht habe, um ein wenig zu realisieren, dass ich jetzt wirklich da bin und auch, um mich ein wenig an Land und Leute, Essen und Mentalität zu gewöhnen. So war ich zumindest schon einmal ein wenig darauf eingestellt meine Familie und mein Projekt kennen zu lernen und wurde nicht völlig ins kalte Wasser geworfen. Und auch der Austausch mit den anderen Freiwilligen und die Reflektion auf den späteren Seminaren waren immer interessant und lehrreich.

Zu AFS Deutschland hatte ich während des Jahres keinen Kontakt, nur einmal habe ich mich mit einem persönlichen Problem an einen meiner Teamer von der Vorbereitung gewandt, der mir auch innerhalb von 2 Stunden eine sehr hilfreiche, lange Antwort geschickt hat. Auch die Vorbereitungsseminare kann ich nur aus vollster Überzeugung loben, nicht nur habe ich eine Menge unglaublich interessanter und bewundernswerter, herzlicher Menschen kennen gelernt, auch habe ich viele Denkanstöße bekommen und mich allein schon durch die Vorbereitungsseminare sehr weiterentwickelt und dafür möchte ich mich ganz herzlich bei AFS Deutschland bedanken und kann diese Organisation nur aus tiefstem Herzen weiterempfehlen. Auch habe ich vor, mich weiter für AFS zu engagieren. Ich habe einen Satz in meinem Tagebuch gefunden, den ich an meinem ersten Tag in Ghana geschrieben habe und der beschreibt meine Meinung von AFS wirklich sehr treffend: „Ihr habt mir beigebracht (beigebracht, nicht nur gesagt), jeden zu lieben und wert zu schätzen.“ Das ist der AFS Spirit!

Da AFS aber dafür bekannt ist, dass es sich ständig weiterentwickeln möchte und offen ist für Kritik, möchte ich an dieser Stelle auch noch etwas anbringen, wo ich mir im Nachhinein eine bessere Vorbereitung gewünscht hätte und zwar geht es hierbei um die Projekte. Natürlich verstehe ich, dass ihr nicht jeden einzeln und individuell auf sein Projekt vorbereiten könnt und dass ihr ohnehin nur recht begrenzte Informationen über die Projekte habt (das würde ich zumindest aus den doch recht unspezifischen Infos schließen, die wir vorher über unsere Projekte erhalten haben), auch sind keine Fachkräfte bei den Vorbereitungsseminaren, die uns irgendetwas beibringen könnten, aber ich denke es hätte mir sehr geholfen, wenn wir uns vorher in Gruppen zusammengesetzt hätten und über einige Probleme gemeinsam reflektiert hätten. Zum Beispiel hätte eine Gruppe zum Thema Schule über Fragestellungen nachdenken können wie was sind geeignete Konsequenzen für Fehlverhalten, wie halte ich eine Klasse unter Kontrolle, wie verschaffe ich mir Respekt ohne Einzuschüchtern oder wie gestalte ich meinen Unterricht interessant und lehrreich. Andere Gruppen könnten sich zum Beispiel bilden für die Arbeit mit Kranken oder im Bereich Umwelt. Ich denke v.a. in der Phase als ich allein mit meiner Klasse war und am Anfang meines Jahres hätte es mir geholfen vorher über so etwas intensiver zu diskutieren, wovon nicht nur ich profitiert hätte, sondern vor allem auch mein Projekt, weil ich dann besser vorbereitet gewesen wäre und von Anfang an besser hätte mitarbeiten können. Natürlich findet man vor Ort seine ganz eigenen Strategien und Lösungen, aber ein paar Anregungen wären am Anfang hilfreich gewesen.

Sprache und Kommunikation

AFS-Freiwillige Franka mit anderen Freiwilligen und Schüler*innen im Schulbus

Sowohl in der Schule als auch in meiner Familie habe ich mich von Anfang an auf Englisch unterhalten. Zwar habe ich auf der Straße, auf dem Markt oder im Trotro ein paar Brocken der lokalen Sprache, Twi, gelernt, meine Kenntnisse sind aber leider über ein paar Basissätze nicht hinausgekommen. Mit dem ghanaischen Englisch hatte ich zu Anfang ein paar kleine Probleme – vor allem am Telefon. Und dabei wird in Ghana meist doch so gerne telefoniert… Deshalb musste ich am Anfang häufig nachfragen und meinen Gegenüber bitten das Gesagte noch einmal zu wiederholen. Nach ein paar Wochen hatte ich mich aber an den Akzent gewöhnt und mein eigenes Englisch angepasst, am Ende hat mir ein Amerikaner gesagt, dass mein Englisch sehr lustig sei – sowohl mit deutschem als auch mit ghanaischem Akzent.

Insgesamt hatte ich aber nie echte Verständigungsprobleme (außer wenn jemand auf Twi auf mich eingeredet hat und es der Person egal war, dass ich sie nicht verstehe) und bis auf meine veränderte Aussprache und deutlich mehr Sicherheit im Englischen über jedes beliebige Thema zu reden, natürlich auch durch ein paar neue Vokabeln, hat sich an meinen Sprachkenntnissen nicht viel geändert. Nur meine Grammatik hat ein bisschen gelitten… Den Unterschied zwischen he und she oder ein s in der dritten Person nehmen die meisten in Ghana nicht so genau.

Engagement nach der Rückkehr

Deshalb ist es mir auch besonders wichtig, meine Erfahrungen weiterzugeben und globales Lernen weiter zu unterstützten – selber immer weiter global zu lernen, aber auch andere dazu anzuregen. Deshalb möchte ich mich nun zurück in Deutschland für AFS engagieren und habe bereits darüber nachgedacht als Returnee Teamende oder Kontaktperson für Leute, die nach Deutschland kommen, zu werden. Einer der ghanaischen AFS-Mitarbeiter, der eine neue Arbeit sucht, meinte sehr passend, egal wo es ihn hin verschlüge, ganz kann man AFS nie verlassen.

Außerdem habe ich angefangen, mich in meiner Heimatstadt für die Geflüchteten zu engagieren. Der Helferkreis, den ich die letzten Tage begleitet habe, unterstützt die Kinder bei den Hausaufgaben und dort wollte ich mich ab jetzt zweimal wöchentlich engagieren und mich parallel noch umhören, was man sonst noch so tun kann. Die Initiative Start with a friend finde ich zum Beispiel sehr interessant.

Aber ich sehe es auch in meiner Verantwortung, meine Erfahrungen weiter zu teilen. Ich wurde bereits zu einem Vortrag von der Schule meines Bruders eingeladen (der mir großen Spaß gemacht hat) und auch in meiner eigenen Schule wollte ich mich mal melden, ob sie Interesse haben, etwas über meine Erfahrungen zu hören. Ansonsten fragen mich natürlich Familie, Verwandte und Bekannte nach meinen Erfahrungen. In naher Zukunft wollte ich eine Ghana Party für alle Interessierten schmeißen – mit ghanaischem Essen, ghanaischer Musik und Fotos aus dem letzten Jahr.

Entwicklungszusammenarbeit

Mit dem Thema Entwicklungszusammenarbeit habe ich mich das Jahr über natürlich auch beschäftigt, allerdings habe ich mich nie wie eine „Entwicklungshelferin“ gesehen. Eher würde ich mir vielleicht eine Bezeichnung wie „Kulturvermittlerin“ oder etwas Ähnliches geben. Ich habe nichts „weiterentwickelt“, ich habe meine Kultur, meine Ansichten und meine Hobbys mit anderen Menschen geteilt, die dadurch sicher einiges gelernt haben über mich persönlich, Deutsche im Allgemeinen und darüber, mit anderen Blickwinkeln umzugehen, und genauso haben sie auch mir diese Dinge beigebracht. Das einzige, was sich weiterentwickelt hat, ist mein eigener Charakter und der Charakter der Menschen, mit denen ich dort in engem Kontakt stand. Das Thema Entwicklungszusammenarbeit sehe ich immer noch sehr kritisch. Auf der einen Seite ist es nicht zu leugnen, dass Ghana wirtschaftlich schwächer ist und deutlich mehr Menschen in Armut leben als bei uns (was nicht heißt, dass man in Ghana auf Bäumen lebt, keine geteerten Straßen hat oder Handys nicht kennt) und daran muss sich etwas ändern. Und ich habe einige GhanaerInnen getroffen, die die Lösung darin sahen, dass die Länder des Globalen Nordens kommen und die ghanaische Wirtschaft aufbauen – was ihnen nicht weiterhelfen würde, denn davon würde (fast) nur der Globale Norden profitieren. Uns komplett von diesen Ländern abzuwenden, hilft aber auch niemandem weiter. Wir müssen eine Möglichkeit finden auf einer Augenhöhe zusammen zu arbeiten und gemeinsam eine Lösung zu finden.

Alles in allem bin ich einfach unendlich dankbar für dieses Jahr und kann euch allen – AFS, der gesamten Owusu Ansah Familie und der Zoé Montessori School – nur sagen: Medase! (Anm: „Danke!“ auf Twi)

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