Als wir nach einer gut 15-stündigen Reise in Santo Domingo aus dem Flugzeug stiegen, fanden wir uns einer anderen Welt wieder. Bereits am Flughafen realisierten wir, dass dieses Jahr für alle etwas ganz besonderes werden würde. Ein Jahr, welches mit unserem Alltagsleben im Heimatland nicht im Entferntesten etwas zu tun haben würde.
Neuentdeckungen
Um festzustellen, dass hier vieles anders ist als in Deutschland, musste man gerade einmal den Flughafen verlassen und einen Blick auf die Straße werfen. Was wir dort sahen, irritierte vor allem die Europäer ziemlich: Zwischen einigen neuen SUVs schlängelten sich vorrangig alte, völlig kaputte Autos durch die überfüllten Straßen in der Hitze der Hauptstadt. Autos, die so alt und demoliert waren, dass man sie wahrscheinlich nicht einmal auf einem Schrottplatz in Deutschland finden würde. Doch das war nicht alles, was uns an der Verkehrssituation leicht schockierte. Es schien überhaupt keine Verkehrsregeln zu geben. Jeder fuhr wie er wollte. Es wurde gehupt, geschimpft und sogar rote Ampeln wurden von den teils vollkommen überfüllten Fahrzeugen einfach ignoriert. Auf Nachfrage an einen AFS-Volunteer erhielten wir nur ein wissendes Grinsen als Antwort.
Durch diesen Verkehr ging es nach unserer Ankunft dann mit Kleinbussen in Richtung Welcome-Camp und damit machten wir uns auch auf den Weg in ein neues Leben. Nach guten vier Monaten Aufenthalt kann ich rückblickend sagen, dass ich hier eine Zeit verbringe, die mit Nichts von zuhause vergleichbar ist, die ich aber trotzdem sehr genieße, vor allem wegen der vielen Unterschiede.
Während der ersten Tage wurde mir nach und nach bewusst, was für ein wunderschöner Ort die Dominikanische Republik eigentlich ist. Und damit meine ich nicht den Strand, den man aus diversen Flyern im Reisebüro zur Genüge kennt. Nein, jede Ecke auf der Insel ist ganz und gar von der Schönheit der tropischen Natur geprägt. Das betrifft sogar Stellen, wie die Autobahn, die quer durchs Land führt. Das mag sich vielleicht lächerlich anhören, aber tatsächlich, die Autobahn von Norden nach Süden ist gesäumt von einer traumhaften Landschaft voller Bäume, Flüsse, kleiner Seen. Zwischen meiner Heimatstadt Bonao und der Hauptstadt bietet sich einem ein Bergpanorama, so dass man sich vorkommt, als reise man gerade durch die sommerlichen Alpen.
Ein weiterer riesiger Unterschied zu meiner Heimat ist die Art der Leute, zu kommunizieren. Im Kontakt mit Einheimischen stellte sich heraus, dass dieses 100-mal erzählte Klischee von den so freundlichen Latein-/Mittelamerikanern tatsächlich stimmt. Wir wurden hier mit einer Herzlichkeit empfangen, die man sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Selbst bei Begegnungen mit wildfremden Menschen im Supermarkt entstehen hier häufig total schöne Gespräche, wenn nicht sogar manchmal so etwas wie Freundschaften. Dominikaner sind glaube ich so etwas wie die Weltmeister im sympathischen Smalltalk halten. Das heißt nicht, dass sie mit jemandem ein Gespräch gezwungenermaßen und aus Höflichkeit führen, sondern, dass sie sich einfach für so ziemlich alles interessieren und sich grundsätzlich gerne austauschen. Besonders wir „Gringos“ (so nennen Dominikaner Leute aus den USA, wobei für sie alle nicht dunkelhäutigen Menschen per se aus den Staaten kommen, womit wir Europäer auch unter diese Titulierung fallen) sind scheinbar spannende Gesprächspartner. Ich für meinen Teil jedenfalls genieße diese offene Art der Menschen und die damit verbundenen Gespräche sehr. Durch sie lernt man viel über das Land und die Kultur und man bekommt die Welt aus einem ganz anderen Blickwinkel geschildert.
Eine neue Sprache
Grundsätzlich fühle ich mich hier trotz mancher Kleinigkeiten, die einen im Alltag stören, sehr wohl. Seit ich mich an die Hitze und die viel zu hohe Luftfeuchtigkeit von ca. 80% gewöhnt habe, genieße ich es sehr, dass hier das gesamte Jahr „Sommer“ ist. Mit meiner Familie komme ich seit dem ersten Tag sehr gut klar. Glücklicherweise sprechen, bis auf meine Gastmutter, in meiner Familie alle Englisch, was mir gerade die ersten Tage erleichtert hat. Im Nachhinein allerdings betrachte ich die Englischkenntnisse meiner Gastfamilie eher als Nachteil. Denn durch die Möglichkeit im Haus Englisch zu sprechen, braucht es umso mehr Selbstdisziplin, zu versuchen, sich auf Spanisch zu unterhalten, da man, falls man sich mal nicht versteht, sofort wieder ins Englische wechseln kann. Und diese Möglichkeit hat sich zumindest für mich als Nachteil herausgestellt. Da wir uns zuhause immer noch viel auf Englisch unterhalten, haben sich meine Sprachkenntnisse in Spanisch noch nicht so sehr verbessert. Das stelle ich gerade in Gesprächen mit anderen Austauschülern fest, die vor ihrer Abreise kein Wort Spanisch sprachen und jetzt die Sprache nahezu perfekt beherrschen. Für die kommende Zeit motiviert mich das, mehr zu lernen und vor allem mich konsequenter auf Spanisch zu unterhalten.
AFS-Camps
Neben meinem „normalen“ Alltag mache ich die spannendsten Erfahrungen in den Camps, auf Trips und einfachen Treffen mit den anderen AFSern. Ich empfinde die vielen Gespräche mit den Austauschülern aus aller Welt als sehr bereichernd. Man tauscht sich über viele allgemeine Themen aus, aber auch diverse Erfahrungen – Freuden sowie Probleme – werden miteinander geteilt. Das bringt so manchem Austauschüler, der vielleicht gerade eine schwierigere Zeit hat, neuen Mut. Diese schwierigeren Zeiten hat meiner Erfahrung nach ab und zu jeder. Auch ich nehme mich davon nicht aus, obwohl ich mit der Gesamtsituation meines Auslandsjahres total zufrieden bin. Aber ich glaube unabhängig davon, wie wohl man sich in seiner Familie und in seiner Schule fühlt, hat man manchmal Tage, an denen es einem schlecht geht und man am liebsten den nächsten Flieger nach Hause nehmen würde. Ich persönlich habe diese Tage zum Glück sehr selten und wenn, dann stelle ich jetzt fest, dass sie auf gewisse Weise auch wertvoller Teil der Erfahrungen sind, die man hier während des Auslandsjahres sammelt.
Eine besonders intensive Erfahrung
Eine besonders intensive Erfahrung, die ich zum Schluss gerne noch teilen möchte und die glaube ich auch noch einmal den Wert eines solchen Auslandsjahres deutlich macht, war der Trip auf den Pico Duarte. Der Pico Duarte ist der höchste Berg der Dominikanischen Republik und mit 3079 m auch der höchste Punkt in der gesamten Karibik. Auf besagten Berg sind wir zusammen mit fast allen Austauschülern in einem 5-tägigen Trip gewandert. Zwar wurde allen vorher ausführlich mitgeteilt, dass diese Reise nicht gerade einfach werden würde und sowohl physisch als auch psychisch sehr anspruchsvoll sei, dennoch war es härter als alle sich das vorgestellt hatten. Es begann damit, dass wir unter freiem Himmel auf Betonboden schliefen, was bei den relativ kalten Temperaturen in den Bergen alles andere als angenehm war. Hinzu kam, dass es während der gesamten fünf Tage keine Dusche gab, was für uns „duschen“ im 3-5 Grad kalten Fluss bedeutete. Wir mussten zum Teil um vier Uhr morgens aufstehen und hatten Tagesabschnitte von bis zu 30 km und 2500 Höhenmetern vor uns. Sprich, die Bedingungen waren sehr prekär und die Wanderung hat körperlich selbst die trainiertesten an den Rand des Machbaren getrieben. Trotzdem hat sich der Trip mehr als gelohnt. Unterwegs wurden wir mit atemberaubender Natur belohnt, abends erwarteten uns lange Gespräche am Lagerfeuer und am Tag ein motivierender Zusammenhalt untereinander, der dafür gesorgt hat, dass keiner trotz der schweren Bedingungen aufgegeben hat. Oben angekommen bekamen wir noch eine Führung zu Relikten aus den Zeiten der dominikanischen Ureinwohner.
Wenn ich beschreiben sollte, was das AFS-Jahr für mich ausmacht, dann sind es solche Erfahrungen und Begegnungen, die ein Austauschjahr zu dem prägenden Erlebnis machen, das es für mich – und ich glaube auch für alle anderen – ist.
Abschließend möchte ich mich bei meinem Stipendiengeber AFS NRW-Stipendium bedanken, dass sie mir dieses einzigartige Jahr mit ermöglicht haben.