Vera, Indien, 2019, weltwärts

Ich habe einen Freiwilligendienst in Indien gemacht. Geplant waren elf Monate doch durch die Corona-Pandemie sind es nur etwa acht geworden. Ich habe in einem kleinen Dorf namens Thazhuthali in Tamil Nadu in der Nähe von Pondicherry gewohnt. Mein Projekt hieß Sristi Village Foundation. Es ist eine Community für geistig Behinderte, die dort wohnen, zur Schule gehen und Landwirtschaft lernen. Es gibt dort eine Special School, eine große Farm und eine kleine Dairy Farm.

Karthik, der Chef und Gründer von Sristi ist ein sehr engagierter Mensch. Es setzt sich stark für die Behinderten ein und steht voll und ganz hinter seinem Projekt. Das hat mich sehr beeindruckt. Mit der Zeit hat er sich ein großes nationales und internationales Netzwerk aufgebaut, so kommen immer viele Freiwillige nach Sristi.

Land und Leute in Indien

Am Anfang war ich überrascht, mit wie wenig die Menschen leben. Sie besitzen nur ein Bruchteil von dem, was wir hier in Deutschland haben. Am Ende meines Freiwilligendienste war es jedoch völlig normal für mich und ich habe festgestellt, dass man gut mit so einem minimalen Leben auskommt. Zum Beispiel das nicht vorhandene Toilettenpapier hat mich am Anfang etwa irritiert, doch daran habe ich mich schnell gewöhnt. Es war auch sehr ungewohnt, mit den Händen zu essen, aber am Ende war das völlig normal. Die Menschen sind sehr kreativ, wenn es um Problemlösungen geht. Das hat mich sehr fasziniert.

Mir ist aufgefallen, dass die Menschen, vor allem in den Dörfern, ein sehr strikten Tagesablauf und insgesamt ein wenig abwechslungsreiches Leben haben. So isst man zum Beispiel zum Frühstück immer nur ein Gericht und das Abendessen variiert zwischen zwei Gerichten. Nur wenige Menschen sind bereit, Neues auszuprobieren und viele haben Angst vor unbekannten Dingen. Das ganze Leben besteht nur aus Arbeit, Essen und Familie. Viel Freizeit, wie wir sie kennen haben die Menschen nicht. Sie machen keine Urlaube oder Ausflüge, außer zum Einkaufen oder in den Tempel, treffen sich nicht mit Freunden oder gehen in einen Sportverein. Wenn die Männer mal zwischen Feierabend und Abendessen nichts zu tun hat, sitzen sie meistens vor ihrem Haus und quatschen mit den Nachbarn. Die Frauen haben eigentlich nie frei, weil sie sich immer um den Haushalt, das Essen oder die Kinder kümmern müssen. Ich könnte mir nicht vorstellen, mein Leben so zu Leben. Mir würde es wahrscheinlich irgendwann zu langweilig werden, aber die Menschen in den Dörfern kennen nichts anderes.

In unserem Projekt gab es immer 5-10 Freiwilligen aus vielen verschiedenen Ländern. Wir haben uns alle sehr gut verstanden und viel zusammen gemacht. Wir sind gemeinsam über die Wochenenden in verschiedene Städte gereist und haben viele nette Abende in unserem Haus verbracht. Mit den Mitarbeitern und den Bewohnern von Sristi habe ich mich auch sehr gut verstanden. Sie waren total nett und offen. Die meisten waren nur ein paar Jahre älter als ich. Wir haben gemeinsam auf der Farm gearbeitet, haben mit der ganzen Community Feste gefeiert z.B. Weihnachten, Neujahr oder Pongal und haben viel getanzt. Nach einigen Monaten war ich mit vielen Mitarbeitern und Bewohnern gut befreundet.

Wir Freiwilligen haben uns auch mit ein paar Jungs aus dem Nachbardorf angefreundet und haben auf unserem Nachhauseweg oft mit ihnen gequatscht. Insgesamt habe ich nicht so viel mit gleichaltrigen Indern unternommen, sondern eher mit anderen Freiwilligen, aber wir sind oft mit netten Leuten und vielen Kindern ins Gespräch
gekommen.

Die Menschen waren sehr gastfreundlich. Wir wurden oft zu Functions zum Beispiel Hochzeiten oder Geburtstagen eingeladen und auf unserem Nachhauseweg wurde uns ab und zu ein Tee angeboten. Selbst wenn man nicht eingeladen war, wurde man auf den Functions trotzdem sehr herzlich empfangen.

Mein Arbeitsplatz

Eigentlich wollte ich in einem landwirtschaftlichen Projekt arbeiten. Das war Sristi Village auch, jedoch gab es noch einen sehr großen sozialen Anteil, da Sristi eine Community für geistig Behinderte ist und auch ein Special School hat.

Freiwilligendienst in einem landwirtschaftlichen Umweltprojekt

Am Anfang habe ich hauptsächlich auf der Farm mitgeholfen. Zu meinen Aufgaben zählten dort Unkraut rupfen, Löcher für Pflanzen graben, Gemüse und Bäume pflanzen, Erde und Sand von einem Ort zum anderen schleppen, Mulch herstellen, eine Bestandsaufnahme der Pflanzen machen und in einer Karte darstellen, fotografische Dokumentation eines neu angelegten Teils der Farm und viele andere Dinge, die in der Farm angefallen sind. Es gab auch eine kleine Dairy Farm mit einigen Kühen. Nachmittags habe ich hier oft beim Melken geholfen.

Außerdem habe ich mich ein paar Wochen um 5 Hundewelpen, ein paar Kälbchen und ein Katzenbaby gekümmert. Ich habe auch oft in der Küche beim Gemüse schneiden geholfen, denn dort wurde immer Hilfe gebraucht. Nach und nach habe ich auch immer öfter in der Special School mitgearbeitet. Dort habe ich mich mit um die Kinder gekümmert, mit ihnen gespielt und bin ab und zu mit den ganz kleinen und der Lehrerin in den Kindergarten im benachbarten Dorf gegangen. Eine Zeit lang haben wir Freiwilligen auch versucht, einen Sport- und Zirkus-Club für die Bewohner von Sristi zu veranstalten. Das funktionierte leider nur ein paar Wochen lang. Ich habe unserem Chef auch geholfen, ein paar Berichte über die Schüler anzufertigen. Insgesamt hatte ich sehr vielfältige Aufgaben und ich konnte mir jeden Tag aussuchen, ob ich in der Schule oder auf der Farm arbeiten wollte. Manchmal habe ich auch vormittags in der Schule und nachmittags auf der Farm gearbeitet oder umgekehrt.

Pro Woche habe ich ca. 28 bis 33 Stunden gearbeitet. Das hing immer davon ab, wie viel zu tun war und wie das Wetter war. Während des Monsuns konnten wir nur beschränkt auf der Farm arbeiten und im Sommer ging es auch nur sehr früh und sehr spät. Wir waren meistens jeden Tag sehr lange im Projekt. Im Sommer bin ich oft gegen 7:30 Uhr gekommen und habe dann ab 8 Uhr mit einer kurzen Frühstückspause bis 11 oder 12 Uhr in der Farm gearbeitet, je nachdem, wie es die Temperaturen zugelassen haben. Um 13 Uhr gab es Mittagessen und dann hatten wir bis 15 Uhr Mittagspause. Danach habe ich nochmal bis kurz vor 18 Uhr gearbeitet. In den kälteren Jahreszeiten oder wenn ich in der Schule geholfen habe, bin ich meistens etwas später gekommen, habe eine kürzere Mittagspause gemacht und habe dafür schon etwas früher aufgehört zu arbeiten. Nach der Arbeit haben wir oft noch mit den Mitarbeitern und Bewohnern von Sristi gequatscht und rumgealbert, haben gemeinsam getanzt oder waren im Wasserloch schwimmen. Zwischen 17:30 und 18:30 Uhr haben wir uns dann auf den Heimweg gemacht.

Manchmal habe ich auch am Wochenende gearbeitet. Meistens mussten wir Freiwilligen samstags oder sonntags mithelfen, wenn wichtiger Besuch kam oder ein besonderes Fest stattfand. Aber man konnte es jederzeit mit einem freien Tag in der nächsten Woche ausgleichen.

Am Anfang meines Aufenthalts war ich manchmal etwas unterfordert und habe mich gelangweilt, weil einem niemand gesagt hat „Mach dies, mach das.“. Ich musste mir die Arbeit selbst suchen und immer fragen wo ich helfen kann. Nach ein paar Monaten wusste ich dann, was gemacht werden musste und wo ich wann helfen konnte. Da war ich dann gut ausgelastet.

Ich habe zwei Dörfer von meinem Projekt entfernt gewohnt. Der Weg dahin war 3,5 km lang. Zweimal am Tag ist ein Bus gefahren. Wenn man den Bus verpasst hat oder früher nach Hause gehen wollte, musste man laufen. Das hat ca. 50 min gedauert. Am Anfang war dieser lange Weg ziemlich nervig, aber ich habe mich mit der Zeit daran gewöhnt. Wenn wir mehrere Freiwillige waren, war der Weg auch ganz lustig. War man alleine, konnte man sehr gut nachdenken. Manchmal haben uns auch Schulbusse ein Stück mitgenommen oder unser Chef hat uns mit seinem Auto mitgenommen, wenn er zur gleichen Zeit gekommen oder gefahren ist.

Unser Freiwilligenhaus, das Beste was mir passieren konnte

Ich habe nicht in einer Gastfamilie gewohnt, sondern mit den anderen Freiwilligen aus unserem Projekt in einem kleinen Haus in einem kleinen Dorf. Als ich erfahren habe, dass ich nicht in einer Gastfamilie wohnen werde, fand ich das etwas schade, weil man dann nicht ganz so tief in die Kultur und das Leben der Menschen eintaucht. Doch während meines Aufenthalts und auch im Nachhinein bin ich sehr, sehr froh, dass ich in diesem Freiwilligenhaus gewohnt habe und denke, dass es sogar besser war als in einer Gastfamilie.
Ich bin vielleicht nicht ganz so tief in die indische Kultur eingetaucht, wie Freiwillige, die in einer Gastfamilie gewohnt haben, dafür habe ich zusätzlich einen Einblick in die Kulturen und Lebensstile der anderen Freiwilligen in unserem Haus bekommen. Sie kamen zum Beispiel aus Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, der Schweiz, Argentinien, Kanada oder anderen Teilen Indiens. Wir haben uns alle sehr gut verstanden, haben viel zusammen unternommen und hatten viel Spaß. Außerdem waren wir freier als in einer Gastfamilie, weil uns niemand vorgegeben hat, wann wir zu Hause sein müssen und wir machen konnten, was wir wollten.

Das Einleben war ziemlich einfach. Ein Freiwilliger aus Frankreich war schon einige Monate da. Er konnte mir und den anderen vier Neuen, die zeitgleich mit mir angekommen sind, alles zeigen und erklären. Da wir fast alle neu waren gab es auch noch keine Gruppenkonstellationen, in die man sie einfügen musste.

Umweltprojekt im AFS Freiwilligendienst in Indien

Da viele Freiwillige nur ein paar Monate blieben, gab es oft Abschiede. Die waren immer traurig, aber dafür kamen kurze Zeit später neue coole Leute. Mein Abschied war sehr merkwürdig. Da alle Freiwilligen aufgrund der Corona-Pandemie nach Hause mussten, waren ich und mein Mitfreiwilliger von AFS die Letzten. Wir hatten die traditionelle Abschiedsrunde im Projekt und haben dann unser Haus leer verlassen. Unser Chef meinte, es wäre das erste Mal seit 2014, dass das „Orange House“ leer wäre und kein Freiwilliger dort wohnen würde. Das war schon ein komisches Gefühl. Ich finde es sehr schade, dass die nächsten Freiwilligen niemanden haben werden, der sich schon auskennt und ihnen alles zeigen kann. Das war für mich am Anfang eine große Hilfe.

Insgesamt war unser Freiwilligenhaus das Beste, was mir passieren konnte.

Betreuung während des Freiwilligendienstes

Ich wurde durch FSL India in Indien betreut. Das hat eigentlich ganz gut funktioniert. Wir wurden am Flughafen von einem Mitarbeiter in Empfang genommen und hatten danach erstmal ein On-Arrival Seminar. Alle Mitarbeiter von FSL waren sehr nett.. Nach dem Seminar haben uns unsere Koordinatoren in unsere Städte begleitet, wo wir von den Gastfamilien/Projektmitarbeitern empfangen wurden.

Meine Koordinatorin ist ca. einmal im Monat in mein Projekt gekommen, um zu fragen, wie es uns geht und ob es irgendwelche Probleme gibt. Die gab es zum Glück nicht. Außerdem mussten wir einmal im Monat einen Fragebogen ausfüllen über unser Leben in der Unterkunft und die Arbeit im Projekt. Weiterhin mussten wir jeden Tag unsere Arbeitszeiten in einen Plan eintragen und unserer Koordinatorin abgeben.

Ich habe in Deutschland an zwei Vorbereitungsseminaren teilgenommen. Dann hatte ich ein 5-tägiges On-Arrival Seminar in Indien mit FSL. Im November hatte ich die 2-tägiges Quarterly Evaluation und im Februar die Mid-Term Evaluation. Eigentlich sollte es noch eine Final Evaluation in Indien geben, aber dazu kam es nicht mehr.

Von AFS Deutschland habe ich erwartet, dass sie mir helfen, wenn meine Partnerorganisation mir nicht mehr weiterhelfen kann und dass sie mich in Ausnahmefällen sicher zurück nach Deutschland bringen. Den ersten Fall musste ich nicht in Anspruch nehmen, da ich keine großen Probleme hatte. Der zweite Fall wurde ja leider wahr. Hier fand ich die Arbeit von AFS Deutschland sehr gut. Sie haben schnell gehandelt, uns immer gut informiert und alle rechtzeitig aus Indien rausgeholt.

Sprache und Kommunikation

In unserem Freiwilligenhaus haben wir immer Englisch gesprochen. Im Projekt habe ich mit den Mitarbeitern auch Englisch gesprochen. Mit den Bewohnern des Projekts war es eine Mischung aus Englisch, Zeichensprache und ein paar Brocken Tamil, die ich gelernt habe. Bei meiner Ankunft konnte ich sehr gut Englisch, jedoch hatte ich keine Sprachkenntnisse in Tamil, der Sprache in Tamil Nadu.

Leider habe ich keinen Unterricht in Tamil bekommen. Uns wurde nur von FSL India eine Sprach-App zur Verfügung gestellt, mit der wir lernen konnten, aber die war nicht gut geeignet, da man sich die Sätze und Wörter, die man dringend brauchte, mühsam zusammensuchen musste und sie keine Grammatik vermittelt hat. Es wäre gut, wenn wieder Sprachunterricht angeboten werden würde. Ein bisschen Tamil habe ich durch die Mitarbeiter und Bewohner von Sristi und Freiwillige, die schon länger da waren, gelernt. Alle waren immer bereit, einem was beizubringen. Am Ende konnte ich einfache Gespräche verstehen und ein paar wichtige Sätze sagen.

Globales Lernen und Entwicklungspolitik

Für mich bedeutet globales Lernen, dass man nicht nur über sein eigenes Land mit seiner Politik, Wirtschaft, Kultur und Lebensweise lernt, sondern auch über andere Länder und das Leben der Menschen dort. Das ist sehr wichtig, da wir heute durch die Globalisierung viel stärker vernetzt sind und man Menschen überall auf der Welt viel näher ist als noch vor ein paar Jahren. Durch globales Lernen können Vorurteile ausgeräumt werden und Rassismus verringert werden, da man merkt, dass die Menschen gar nicht so anders sind, wie man vielleicht vorher dachte. Ich denke, ein Aufenthalt im Ausland ist ein wichtiger Bestandteil des globalen Lernens, weil man dadurch ein Land aus nächster Nähe kennenlernt und das Leben der Menschen selbst erleben kann.

Über Entwicklungszusammenarbeit habe ich gelernt, dass sie meistens sehr willkommen ist und von den Menschen gerne angenommen wird. So hat sich zum Beispiel mein Projekt immer über neue Freiwillige gefreut. Dabei muss man jedoch mit dem Land, indem man Entwicklungszusammenarbeit leistet, zusammenarbeiten und gemeinsam beschließen, was gebraucht und was getan wird und dies auch gemeinsam umsetzen. Außerdem muss man sehen, dass man die richtigen Maßnahmen trifft. Es bringt nichts, nur Geld in einen bestimmten Bereich zu pumpen, für den das Land aber vielleicht gar nicht die nötigen Voraussetzungen, wie zum Beispiel das Wissen oder die Arbeitskräfte hat. Dann muss man auch dafür sorgen, dass das Wissen weitergegeben wird und Fachkräfte ausgebildet werden. Entwicklungszusammenarbeit geht auch in beide Richtungen. Während man Menschen in einem sozial und ökonomisch schwächere Land helfen kann, kann man sich auch gleichzeitig selbst was abschauen und eventuell übernehmen. Es sollten auch nicht zu schnelle und extreme Änderungen vorgenommen werden, denn das kann für die Menschen überfordernd sein und sie gegenüber der Entwicklungszusammenarbeit negativ stimmen.

Die Menschen sollten bei Projekten immer mitgenommen werden und ihnen darf nicht das Gefühl gegeben werden, dass alles was sie früher hatten schlecht und sinnlos war.

Ich gebe meine Erfahrungen weiter, indem ich Leuten von meinem Auslandsaufenthalt erzähle. Außerdem habe ich Indien einen kleinen Blog geschrieben, in dem ich über meine Erlebnisse und die indische Kultur berichtet habe. Weiterhin werde ich Bekannten, die auch eine Zeit lang ins Ausland gehen wollen, einen Freiwilligendienst empfehlen, sowie weltwärts, AFS und mein Projekt in Indien.

Ich werde mich für globale Entwicklung einsetzen, in dem ich meine eigenen Erfahrungen weitergebe. Außerdem versuche ich weiterhin, mein Projekt in Indien zu unterstützen, zum Beispiel mit Spenden, die sie zu Corona-Zeiten sehr dringend brauchen. Ich habe auch fest vor, nochmal für einige Monate dorthin zurück zu kehren, wenn es die Situation wieder zulässt.

×

Hello!

Click one of our contacts below to chat on WhatsApp

×