Yasmin, Kamerun, weltwärts, 2022
Land und Leute, Gastfamilie
In Kamerun wird das Familienleben groß geschrieben. Die Familie ist sehr wichtig und so durfte auch ich ein Teil von ihr werden. In meiner Gastfamilie haben wir nicht nur im selben Haus gewohnt, wir haben gemeinsam gelebt und den Alltag geteilt. Wir haben gemeinsam beim Putzen geschwitzt, beim Kochen gesungen und, wenn das Essen erst spät am Abend fertig war, haben wir es gemeinsam verschlungen. Die Menschen meiner Gastfamilie waren die ersten und zu Anfang die einzigen Kontakt- und Vertrauenspersonen, die ich in Kamerun hatte. Ich habe noch nicht begonnen, im Projekt zu arbeiten, denn ich sollte mich erst einmal einleben.
Am Anfang war eigentlich alles neu. Ich musste meine Gastmutter fragen, wie ich mich zu waschen habe. Denn ich konnte mich zwar unter die Dusche stellen, aber das Wasser lief trotzdem nicht. Sie zeigt mir also, wie ich im Nebenbau Wasser in einen Eimer schöpfe und wie ich mich mit einer kleinen Schüssel Wasser begieße. Ich war auf ihre Hilfe angewiesen. Abgesehen vom Zelten, habe ich meine Wäsche noch nie mit der Hand gewaschen und ich ich gestehe, dass ich beim Zelten keinen Wert darauf gelegt habe es gründlich zu machen, denn nach einer Woche konnte es wieder in die magische Wäschetonne. Meine Gastgeschwister belächelten mich bei meinen ersten Versuchen, mit Hand und Schweiß zu waschen, was mich ein wenig einschüchterte. Alles was an mir unbeholfen wirkte, empfanden sie als witzig. Meine Versuche in der Küche zu helfen, auf Französisch Kartenspiele zu erklären und mich im Haus zurecht zu finden. Ich sah mich nicht in der Rolle der großen und älteren Schwester, denn es waren die kleinen Geschwister, die mir halfen, mit der neuen Ordnung und meinen Gefühlen klarzukommen. Am Ende bin ich glücklicher Weise zur wahren großen Schwester herangewachsen.
Während des Jahres haben wir viel voneinander gelernt. Ich konnte ihnen mit Nachhilfe im Zeichnen, im Deutsch sprechen und im Schwimmen eine Menge zurückgeben. Meine deutschen Gerichte kamen leider nicht ganz so gut an. Ihnen fehlte das Fleisch und die Schärfe. Witzig zu sehen, wie Kartoffelbrei und Knödel in eine scharfe Sauce gedippt wurden. Und ich dachte mir “Warum nicht?”
Für mich war es nach dem Drei-Monate-Einleben „normal“ französisch zu sprechen, mit einem Eimer zu duschen, viel zu scharfes Essen zu mir zu nehmen (dabei wurde ich von Mal zu Mal immer weniger rot, doch die Nase lief trotzdem unentwegt weiter) und es war „normal“ auf Motos durch die Stadt zu irren. Deshalb hatte ich mehr Energie, um mich der Aufgabe einer großen Schwester zu stellen. Ich war tief in das kamerunische Familienleben eingeflochten. Ich übernahm die Verantwortungen im Haushalt, in der Erziehung meiner Gastgeschwister und auch im Lösen von Familienkonflikten. Dabei ist es gar nicht so leicht, sich überall “Einmischen” zu sollen, während es Unterschiede in den Werten gibt.
Und die unterschiedliche Wertvorstellung war für mich eine große Herausforderung. Erstens lebt die Familie eine starke Hierarchie. Mein Gastvater war der Chef der Familie und damit stand er auch Meilen über mir. Ich bin keine starke männliche Autorität in meiner deutschen Familie gewohnt und konnte mich nur teils und mit großen Bemühungen daran gewöhnen bzw. mich unterordnen. Bereits nach einer Woche setzte ich mich einer Diskussion über Geschlechtergleichheit aus, demnach auch Mansplaining. Vor meinem Gastvater habe ich meine Bedrücktheit nicht geäußert, denn sonst hätte er meine Emotionalität mit meiner Weiblichkeit begründet. In meinem Zimmer, das für mich als mein Rückzugsort diente, konnte ich dann meine Tränen zulassen. Es tat gut mit meinen Freunden und meiner Familie in Deutschland zu telefonieren, welche die gleichen politischen Werte wie ich vertreten.
Leider gab es des Öfteren Konfliktpotenzial. In Form von abendlichen Lehrstunden versammelte mein Gastvater die ganze Familie, inklusive mir. Er zeigte Videos oder hielt
Reden, die homophobe und antifeministische Meinungen oder gar Verschwörungstheorien enthalten, als auch das kreationistische Weltbild vertreten. Oft fanden diese Lehrstunden als Monolog statt oder er ließ die Kinder teilnehmen, in dem sie genau die Aussagen des Vaters wiedergeben mussten. Für mich war das eine Zumutung, denn ich bin mit gegenseitigem Respekt und Austausch aufgewachsen. Da diese Lehrstunden an meinen Kräften zehrten, habe ich Wege gefunden, um nicht mehr dabei sitzen zu müssen. Anfangs fand ich Ausreden, bis ich irgendwann mit meiner Gastmutter das Gespräch suchte. Obwohl sie selbst der Meinung war, mich dem Christentum näher zu bringen, respektierte sie meine Bedürfnisse und war für mich immer eine Vertrauensperson.
Für die Beziehung zu ihr bin ich unglaublich dankbar. Sie hat mir immer Rückhalt geboten. Durch die Auseinandersetzungen habe ich gelernt, Menschen, die nicht in meine politische Bubble gehören, trotzdem zu allererst als Mensch wahrzunehmen. Ich konnte zu ihm eine väterliche Beziehung aufbauen, mit ihm Witze austauschen und über den Alltag sprechen. Er hat meine politische Meinung nicht geteilt, aber dennoch gehört und gelobt, wie ich mich bereits als junge Erwachsene politisch positionieren und wie ich argumentieren kann.
Arbeitsplatz
Mein Projekt gefiel mir im Gesamten sehr gut. Es fiel mir nicht schwer, meine Rolle als Freiwilligendienstlerin in der Grundschule einzunehmen. Meine Schuldirektorin fragte mich, welche Fähigkeiten und Kenntnisse ich besitze und welche Aufgaben mir gefallen könnten. Durch mein Engagement in der Kinder- und Jugendarbeit, bin ich es gewohnt mit Kindern im Grundschulalter zu arbeiten. Somit beschäftigte ich mich fortan mit Kindern ab sechs Jahren, denn zu Kindern unter 5 Jahren hatte ich zuvor noch keinen Bezug. Das hätte mich gegruselt. Als Lehrerassistentin half ich im Deutschunterricht, ich übernahm die Hausaufgabenkontrolle, erklärte Grammatik an der Tafel, las mit ihnen aus den Lesebüchern und verbesserte deren Aussprache. Dadurch, dass wir mit mir eine zusätzliche Kraft hatten, konnten wir uns auch den Kindern mit Lernschwäche widmen. Schwierig fand ich Autorität und Disziplin durchzusetzen. Dafür wäre das Lehramtsstudium wohl die bessere Vorbereitung gewesen als mein Jugendleiterschein.
Für die Schulfeste durfte ich mir für zwei Klassen Theaterszenen ausdenken und übte diese mit ihnen ein. Mein Arbeitstag an der Grundschule dauerte 8 Stunden. Vor allem in den ersten drei Monaten war ich sehr erschöpft. Deshalb war es für mich eine Entlastung, donnerstags und freitags ausschließlich bei meine Empfangsorganisation zu arbeiten.
Während eines Wochenende fuhren wir für ein Schülerseminar unserer Organisation in eine andere Stadt. Dort halfen wir beim Fotografieren und beim Austeilen von Verpflegung und Material. Irgendwie mangelte es an Kommunikation mit der Organisation, sodass die Aufgaben unklar waren und unzureichend waren. Vor allem nach dem Ausflug gab es nicht so richtig Arbeit für uns.
In den Sommerferien gab es dafür umso mehr zu tun. Wir arbeiteten vier Wochen lang sechs mal in der Woche in einem Feriencamp, hielten eigene Workshops für Kinder und brachten Spiele und Gesänge mit. Ich fühlte mich sehr nützlich, konnte meinen Wunsch für Umweltschutz zu sensibilisieren erfüllen und hatte deshalb auch sehr viel Freude.
Da ich mich vor den Ferien teils unterfordert fühlte, suchte ich mir eine zusätzliche Arbeitsstelle. Auch hier musste ich mich an bestehende hierarchische Strukturen und
mangelnde Organisation gewöhnen. Es forderte Eigeninitiative einen Raum für Freiwilligenarbeit zu schaffen. Die Schule hat keine Aufgaben für Freiwillige vorgesehen,
sodass es Zeit und Bemühungen erforderte. Dies entmutigte mich zum Teil, denn ich wollte in wenig Zeit viel schaffen und mein Freiwilligendienst hatte ja auch Deadline. Mit einem selbstgeschriebenem Konzept konnte ich mehrere Unterrichtssequenzen an den zwei Gymnasien vorbereiten. Ich habe Mülltrennung, Recycling und Kompostierung thematisiert, in Form von Quiz-Shows, Rollenspielen und Mini-Experimenten. Als Projekt habe ich eine Wandbemalung zum Thema Umweltschutz initiiert und mit
Schüler*innen einen Komposter gebaut und bemalt. Mehrere Schulklassen haben aus leeren Wasserkanistern dekorative Müllbehälter recycelt und Schilder zur Mülltrennung gestaltet.
Am liebsten hätte ich die Schule noch länger im Progress begleitet, eine nachhaltige Schule zu werden. Im Prozess fiel es mir schwer, meine Leistung als genügend zu sehen, rückblickend finde ich, dass ich das Bestmögliche realisiert habe, ohne dabei meine Work-Life-Balance ins Wanken zu bringen.
Der Arbeitsweg war durch meine drei verschiedenen Arbeitsstellen unterschiedlich lang. Ich entschied mich für eine Schule, einen langen Weg (90 Minuten) in Kauf zu nehmen, da mir dort die Arbeitsatmosphäre sehr gefiel. Mich stören lange Taxi/Busfahrten nicht und in Kamerun ergeben sich immer unterhaltsame Gespräche.
Sprache und Kommunikation
Die Menschen sind neugierig, was ich hier mache, fragen viel nach oder wollen einfach mit mir quatschen, so wie es die Kameruner*innen auch unter sich tun.
Das Gemeinschaftsgefühl überkam mich. Denn die Frauen auf der Straße wurden zu „Maman“, die Gleichaltrigen zu „ma soeur/ mon frère“ und die Kameruner*innen scheinten mir in einer Gesamtheit wie eine immense Familie, in der ich eingeladen war, am Familientisch zu sitzen. Ich verständigte mich in meiner Gastfamilie, auf der Straße und in zwei von drei Schulen auf französisch. In der dreisprachigen Schule sollte ich ausschließlich deutsch sprechen, damit die Kinder angeregt sind, ihre Deutschkenntnisse zu nutzen und zu erweitern.
Glücklicherweise besaß ich dank meines Leistungskurses in der Schule schon zu meiner Ankunft einen umfassenden Wortschatz. Allerdings war ich die typisch kamerunische Aussprache nicht gewohnt und so konnte ich zwar meine Bedürfnisse artikulieren, aber das Verstehen fiel mir ungemein schwer. Auch meine Gastgeschwister waren über meine Aussprache, die eher den Franzosen gleicht, verwirrt. Und wir lernten gegenseitige Rücksicht. Manchmal vergaßen sie, dass sie für mich langsam und deutlich sprechen müssen und ich musste sie stündlich erinnern. Manchmal zeigte sich das Gegenüber ungeduldig und anstatt sich geduldig auf französisch zu wiederholen, wurde auf englisch gewechselt. Für mich war es umso mehr überfordernd, zwischen den Sprachen zu wechseln und ich kommunizierte, dass ich Französisch bevorzuge.
Über die kommenden Wochen gewöhnte ich mich an den besonderen Klang und ich konnte mich sehr gut mit den Kameruner*innen verständigen. Interessant fand ich, wie sich die Aussprache von französischen Begriffen je nach Bevölkerungsgruppe/Stamm unterscheidet. Je nachdem, welche der über 250 kamerunischen Muttersprache zuerst gelernt wurde, so bekam das gesprochene Französisch seinen eigenen Charakter. Und mir wurde schnell klar, dass mein gelerntes Französisch aus der Schule auch nicht das einzig Richtige oder das Wahre ist. Inzwischen empfinde ich die Betonung von Kameruner*innen als sehr charismatisch und energetisch.
Globales Lernen
Diese Erkenntnis, die mit einschließt, dass meine eigene Lebensweise (wie ich sie aus Deutschland/Europa kenne) nicht die „Normale“ ist, war nur im Rahmen des globalen Lernens möglich. Ich war daran gewöhnt, meine europäischen Lebensumstände als den „Standard“ und das „Normale“ zu sehen. All das, was ich von anderen Ländern hörte, setzte ich in den Vergleich dazu und ich ließ sie mit europäischen Maßstäben messen. Dass aber nicht jedes Land sein Glück an materialistischen Gütern/Wohlstand misst, sondern andere Prioritäten hat, wurde mir in Kamerun vorgelebt. Ich hörte nicht nur, wie ein Bekannter mir sagte, dass ihm der Erhalt von Traditionen und Ritualen wichtig ist. Nein, ich durfte selbst dabei sein, wie er im Waldstück, in dem einst seine Vorfahren kultivierten, Brot und Wasser in die Natur verteilt und in seiner Muttersprache seine Vorfahren lobte, bittet und dankt.
Die Bedeutung der Familie ist mir klar geworden, als es in der Familie Krankheitsfälle gab oder als die Cousine bei ihrer Tante einzog, um in ihrer Stadt zur Schule zu gehen. Glück bedeutet manchmal auch einfach gutes und traditionelles Essen, das die Familie mit Liebe und Geduld gekocht hat.
Globales Lernen bedeutet für mich ein internationaler Austausch auf Augenhöhe. Und dafür ist es essentiell einfach auch mal zuzuhören, zu beobachten und den Willen zu zeigen, von der nicht-eigenen Kultur zu lernen.
Entwicklungszusammenarbeit bedeutet nicht, den Globalen Süden in eine Abhängigkeit zu drängen und ihn zur Kopie seiner selbst zu machen. Entwicklungszusammenarbeit profitiert gerade davon, dass jedes Land so unterschiedliche Erfahrungen in den letzten Jahrtausenden gemacht hat und seine eigenen Weisheiten mit sich bringt. Ich fand es so schön, mich von dem Lebensstil anderer inspirieren zu lassen. Obwohl es mir zu Anfang schwer fiel, dass der Alltag spontan ist und Verabredungen nicht pünktlich beginnen. Obwohl es in mir eine Unruhe ausgelöst hat, denn ich wurde in Deutschland zu Effizienz und Pünktlichkeit erzogen. So habe ich trotzdem gelernt, dass in manchen Momenten oder an manchen Tagen Warmherzigkeit und Menschlichkeit glücklicher machen und für eine gesamte Gesellschaft wichtiger sein kann, als „voranzukommen“ / „vorbei zu eilen“, um einen Fortschritt zu erzwingen.
Ich möchte mich mit meinen Erfahrungen für globale Entwicklung einsetzen, indem ich weitere interkulturelle Austausche von AFS wie weltwärts unterstütze. Ich könnte kommende Freiwilligendienstleistende im Vor- und Nachbereitungsseminar begleiten. Zudem mag ich die Vorstellung, Freiwillige aus dem Globalen Süden zu empfangen und ihnen dieselbe Gastfreundlichkeit entgegenzubringen, die ich auch erfahren durfte.
Lasst uns vorurteilsfreie, tolerante und weltoffene Menschen fördern und vernetzen. So können wir eine Gesellschaft frei von Diskriminierung und Rassismus schaffen. Damit wäre schon einmal viel Frieden und Glück gestiftet!