Eine Familie auf Zeit

Zum Schüleraustausch kam Özgü Öz von Istanbul nach Hamburg. An der Elbe lernte die 17-Jährige Deutsch, die Kultur, viele Freunde und die Binkerts kennen, ihre Gastfamilie. Ein Hausbesuch.

Ding Dong! Barbara Binkert öffnet die Tür, schüttelt die Hand und der Reihe nach treten auf: Gastvater Andreas, wie seine Frau Barbara 53 Jahre jung, Sohn Konrad, 18 Jahre alt, und die 17-jährige Özgü Öz, die vor acht Monaten in Istanbul mit einem großen Koffer und noch größeren Erwartungen in den Flieger nach Hamburg stieg.

Özgü grinst und schüttelt freundlich die Hand, während Andreas in der Küche den Kaffee aufbrüht. Hinter der jungen Türkin und der deutschen Familie liegen aufregende Monate: Für beide Seiten war das eine Premiere, Özgü lebte zum ersten Mal bei einer Gastfamilie, Familie Binkert hat zum ersten Mal eine Gastschülerin aufgenommen.

Eine interkulturelle Erfahrung auf engstem Raum – Wie sind sie dazu gekommen? Wie lief das Kennenlernen? Gab es Probleme? Was haben sie dabei gelernt?

Ein Hausbesuch mit offenen Fragen und spannenden Antworten.

Die Entscheidung

Binkerts ältester Sohn Johann war vor zwei Jahren für einen Schüleraustausch mit AFS in Panama. „Im vergangenen Sommer haben wir gemeinsam seine Gastfamilie dort besucht“, erzählt Gastmutter Barbara, „wir wurden so herzlich aufgenommen, wir wollten dieses Gefühl gern auch jemandem ermöglichen.“

Nachdem Johann nach dem Abitur auszog, um ein Freiwilliges Soziales Jahr zu absolvieren, sah die Familie das leer gewordene Zimmer als Chance, eine Schülerin oder einen Schüler aus einem anderen Land zu sich nach Hamburg einzuladen. Dann kamen drei Vorschläge von AFS-Partnern aus der ganzen Welt, unter ihnen auch der Steckbrief von Özgü Öz aus Istanbul.

Die Auswahl

„Wir wussten zunächst gar nicht, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen aufnehmen sollen“, sagt Gastvater Andreas, „wir haben zwei Jungs, mit Mädchen hatten wir gar keine Erfahrung. Wenn du dann noch Türkei hörst, dann fragst du dich natürlich auch, wie es mit der Religion aussieht und der politischen Einstellung, ob das passt.“ Auf dem Steckbrief sei Özgü dann aber sehr herzlich rübergekommen, sagt Andreas: „Uns war klar, das passt.“

Gleiche Zeit, anderer Ort: 2353 Kilometer entfernt in Istanbul wartet Özgü auf eine Gastfamilie. Sie hat sich bei AFS in der Türkei für einen Schüleraustausch beworben, hat einen Test geschrieben und wurde angenommen. „Ich hatte gar keine Ahnung von Deutschland“, sagt sie heute und lacht. „Und ich konnte kein Wort Deutsch.“ Als sie am Hamburger Flughafen landet, ist sie aufgeregt. Familie Binkert steht mit einem Plakat am Gate. „Von diesem Moment an war alles gut“, sagt Özgü.

Der Alltag

Jetzt sitzen die vier auf einem schwarzen Ledersofa in einem Hamburger Szenestadtteil und wirken wie eine eingeschworene Familie. „Am Anfang haben wir englisch gesprochen und hatten dann eher ein Problem, ins Deutsche zu kommen“, sagt Gastmutter Barbara. Jetzt klappt die Kommunikation auf Deutsch wunderbar.

In den vergangenen Monaten haben sie zusammen Plätzchen gebacken, Ostern am Wohnwagen gefeiert, Bulgursalat und Sigara Börek zubereitet. Sie haben Ausflüge gemacht, sind nach Süddeutschland und Berlin gefahren, nach Frankreich und in die Schweiz, und haben viele Abende mit langen Gesprächen und hitzigen Gesellschaftsspielen verbracht. „Özgü hat frischen Wind in unser Familienleben gebracht“, sagt Barbara.

Özgü Öz, Austauschschülerin aus der Türkei

„Hier gibt es immer Spieleabende. Die mag ich sehr gerne.“

„In meiner türkischen Familie sitzen wir einfach so zusammen und reden, aber wir spielen nicht“, sagt Özgü. Sie lacht: „Hier gibt’s immer Spielabende, ich mag das sehr gerne.“ Gastmutter Barbara erinnert sich besonders gern an gemeinsame Kochabende. „Wir haben zusammen im türkischen Supermarkt eingekauft und gekocht“, sagt sie, „das war für mich etwas Besonderes.“

Die Schule

Özgü besucht dieselbe Stadtteilschule in Hamburg wie Gastbruder Konrad. „Am Anfang war es schwer“, sagt sie. Mit der Sprache habe sie immer mehr Fortschritte gemacht. „Ihre Leistungen sind super“, sagt Gastvater Andreas stolz. Freundinnen und Freunde in der Klassengemeinschaft zu finden, war für Özgü trotzdem nicht leicht. „Dafür habe ich viele Kontakte zu anderen Gastschülern, die auch mit AFS ein Jahr in Hamburg verbracht haben.“

Und dann ist da ja auch noch die Gastfamilie: Ob Konrad viel mit seiner neuen Gastschwester unternimmt? „Wenn sie Zeit hat“, sagt er und grinst. Vor allem am Anfang habe er Özgü viel in der Stadt herumgeführt. „Was Stadtführungen angeht, bin ich mittlerweile Profi“, sagt der 18-Jährige. „Und ich habe noch einen anderen Blick auf meine Heimatstadt gewonnen.“

Das Fazit

Bald geht es für Özgü wieder zurück in ihre Heimat. Der Abschied fällt ihr schwer. „Ich bin 70 Prozent für bleiben und 30 Prozent für wegfahren“, sagt sie. „Du kannst uns ja auch mal besuchen“, sagt Gastmutter Barbara.

Barbara Binkert, Gastmutter

„Es heißt immer, dass man nach einer solchen Erfahrung offener auf Menschen aus anderen Kulturen zugeht. Ich kann das voll unterschreiben.“

Die Zeit als Gasteltern hat für sie noch einmal ein Stück Familienleben zurückgebracht. „Jetzt ziehen die Kinder langsam aus, für uns war der Besuch sehr belebend.“ Auch bei sich selbst habe sie eine Veränderung festgestellt. „Es heißt immer, dass man nach einer solchen Erfahrung offener auf Menschen aus anderen Kulturen zugeht“, sagt sie, „ich kann das voll unterschreiben. „Bei mir in der Firma arbeitet ein Mann aus Syrien, auf den ich jetzt viel offener zugegangen bin, mit anderen Fragen und Erfahrungen.“





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